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debatteDie Kluft wird tiefer

Unter der Regierung von Merz und Klingbeil sind die Aussichten auf soziale Gerechtigkeit düster. Beide beweisen verteilungspolitische Ignoranz

Mit dem „Gesetz für ein steuerliches Investitionssofortprogramm zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland“ soll unser Land noch konkurrenzfähiger auf den Weltmärkten werden. Das ist das Leitmotiv der schwarz-roten Koalition unter Friedrich Merz. Der neue Kanzler geht, wie sein Vize Finanzminister Lars Klingbeil, von der Grundüberzeugung aus, dass man nur die Gewinnerwartungen der (großen) Unternehmen verbessern muss, um die Konjunktur in Schwung zu bringen. Auf diese Weise – so hoffen die beiden allen Ernstes – lasse sich „Wohlstand für alle“ schaffen, wie es die Präambel ihres Koalitionsvertrages in Anlehnung an Ludwig Erhard verspricht.

Der neoliberalen Standortlogik folgend setzen CDU, CSU und SPD als erste wichtige Maßnahme den „Investitionsbooster“ um. Eine degressive „Turbo-Abschreibung“ auf bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens von jeweils 30 Prozent in den Jahren 2025, 2026 und 2027 verschafft großen Unternehmen höhere Gewinne, die anschließend geringer besteuert werden, weil der Körperschaftsteuersatz ab 2028 in fünf Jahresschritten von 15 auf 10 Prozent sinkt. Nur zur Erinnerung: Unter dem christdemokratischen Bundeskanzler Helmut Kohl betrug die Körperschaftsteuer, gewissermaßen die Einkommensteuer der Kapitalgesellschaften (AGs und GmbHs), noch 30 oder 45 Prozent, je nachdem, ob die Gewinne ausgeschüttet oder einbehalten wurden.

Gerade angesichts der Exportlastigkeit von Deutschlands Industrie wäre es viel sinnvoller, die unberechenbare Außenwirtschaftspolitik, allen voran die Zollpolitik des US-Präsidenten Donald Trump, mit einer Stärkung der Binnenkaufkraft zu beantworten. Dem britischen Ökonomen John Maynard Keynes folgend, sollte man durch eine deutliche Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns sowie der Sozialtransfers die Geringverdiener/innen und die Menschen im Transferleistungsbezug materiell besserstellen, weil sie das zusätzliche Einkommen zeitnah ausgeben und dadurch die Konjunktur ankurbeln würden. So könnte man die Unternehmen – eher als mit Steuer­vergünstigungen und Subventionen – veranlassen, mehr zu investieren, um die wachsende Nachfrage zu befriedigen.

Verteilungspolitisch steht die CDU/CSU/SPD-Koalition unter Bundeskanzler Friedrich Merz jedoch nicht aufseiten der Armen und sozial Benachteiligten, sondern aufseiten der Wohlhabenden, Reichen und Hyperreichen. Ihr erstes wichtiges Gesetzgebungsverfahren bezweckt denn auch nicht eine materielle Besserstellung von Menschen im Niedriglohnsektor oder im Transferleistungsbezug, sondern eine Verbesserung der Gewinnaussichten von Unternehmen.

Foto: imago

Christoph Butterwegge

hatvon 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt und zuletzt die Bücher „Deutschland im Krisenmodus“ sowie „Umverteilung des Reichtums“ veröffentlicht.

Auch von einer weiteren Maßnahme des Investitionssofortprogramms profitieren gemäß der sozialdarwinistischen Maxime, die Starken anstelle der Schwachen zu unterstützen, praktisch nur gewinnträchtige, nicht aber notleidende Betriebe. Anstatt das milliardenschwere Dienstwagenprivileg für leitende Angestellte, die ihren Firmenwagen auch für Privatfahrten nutzen, endlich abzuschaffen, erhöhen CDU, CSU und SPD die Bruttopreisgrenze bei der steuerlichen Förderung von elektrisch betriebenen Dienstwagen auf 100.000 Euro. Wer solche Nobelkarossen kauft, braucht aber definitiv keine Förderung durch den Fiskus. Will man damit etwas für den Schutz der Umwelt und die Transformation der heimischen Autoindustrie tun, wäre eine breite Streuung der staatlichen Fördermittel sehr viel effektiver.

Angeblich stehen „alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages“, wie dort ausdrücklich festgehalten wird, „unter Finanzierungsvorbehalt.“ Für die jetzt geplanten Maßnahmen gilt das aber offenbar nicht. Denn obwohl sie wahrscheinlich die teuersten der gesamten Legislaturperiode sind, wenn man von Rüstungsprojekten absieht, werden sie beschlossen, ohne dass der Bundeshaushalt steht. CDU, CSU und SPD rechnen mit Steuer­ausfällen von beinahe 46 Milliarden Euro allein in der laufenden Legislaturperiode. Sie glauben allerdings, die Ausfälle durch Einnahmen aus einer florierenden Wirtschaft mit der Zeit kompensieren zu können, was an den „Lügenbaron“ Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen erinnert, der sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen haben will.

Trotz knapper Finanzmittel und extrem teurer Aufrüstungspläne, die zwar über Kredite finanziert werden sollen, deren Zinsen und Tilgung aber den Bundeshaushalt enorm belasten werden, verteilt die CDU/CSU/SPD-Koalition großzügige Geldgeschenke an Kapitaleigner. Da die Länder und vor allem die Kommunen hohe Steuerausfälle treffen, sorgt der Bund zunächst für eine Kompensation. Zu erwarten ist mehr öffentliche Armut als Folge einer weiteren Konzentration des privaten Reichtums.

Man muss kein Prophet sein, um vorhersehen zu können, dass die soziale Ungleichheit zunehmen wird, was Gift für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und eine akute Gefahr für die Demokratie ist. Wenn noch mehr Bevölkerungskreise die soziale Ungerechtigkeit in Deutschland wachsen sehen, wird die AfD bei Wahlen weiter zulegen. Der organisierte Rechtsextremismus ist nicht durch „gutes Regieren“ im technokratischen Sinne zu bannen, wie Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Markus Söder behaupten, sondern nur durch richtiges Regieren im Interesse der Bevölkerungsmehrheit.

Die schwarz-rote Koalition steht aufseiten der Wohlhabenden, der Reichen und Hyperreichen

Notwendig wäre daher ein Sofortprogramm der Bundesregierung zur Bekämpfung der wachsenden Alters-, Kinder- und Familienarmut durch die Einführung einer Kindergrundsicherung, Maßnahmen zur Belebung des öffentlichen Wohnungsbaus, um Wohnungsnot und Mieten­explosion entgegenzuwirken, und nötig wären Schritte zur Beendigung des Pflegenotstandes sowie zur Verbesserung der sozialen, Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur.

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