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debatteHamburg zieht sich aus der Verantwortung

Stagnation und Rückschritt: Bei der Dekolonisierung gibt Rot-Grün ein maues Bild ab. Symptom ist die jüngste Schließung der europaweit einzigartigen Forschungsstelle zur Kolonialgeschichte

Steht bis heute unkommentiert da: Bismarck-Statue vor einem Baukran Foto: Markus Brandt/dpa

Von Petra Schellen

Wer Dinge verzögern will, klärt erst mal langwierig die Zuständigkeiten. Wer blockieren will, verlagert sie. So geschehen bei der Schließung der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“, vor zehn Jahren vom Senat initiiert und finanziert. Im Herbst 2024, kurz nachdem die Bürgerschaft eine Verstetigung erwogen hatte, beschloss der rot-grüne Senat das Aus. Die Erforschung von Hamburgs Kolonialgeschichte sei nicht (mehr) Aufgabe der Stadt, sondern der Wissenschaft. Daher wolle man eine Profil-Initiative „Postkoloniale Ordnungen“ an der Uni Hamburg etablieren, die sich über Drittmittel finanzieren solle.

Das sei aber nicht dasselbe, sagt der Globalhistoriker und Uni-Professor Jürgen Zimmerer, der die Forschungsstelle bislang leitete und auch die neue Uni-Initiative aufbauen soll. „Die geplante Profil-Initiative wird nicht zwingend hamburgspezifisch forschen“, sagt er. Um die nötigen Drittmittel werde man mit internationalen Projekten konkurrieren. Das Argument, die Forschung sei wichtig für Hamburg, ziehe da nur bedingt. „Für kontinuierliche Kolonialismus-Forschung braucht man eine städtisch finanzierte Basis“, sagt Zimmerer. Im Übrigen sei die Schließung der Forschungsstelle nur ein Symptom. „Der Pushback gegen kolonialismuskritische Forschung ist eingebettet in den allgemeinen Trend der Renationalisierung unserer Identitätsvorstellungen.“

In der Tat bedeutet die Schließung auch den Rückzug aus einer bundesweit einzigartigen Selbstverpflichtung einer Stadt, die zu den Hauptprofiteuren des Kolonialismus gehörte. Die Forschungsstelle hatte die Rolle von Hamburgs Kaufmannschaft ergründet und die immer noch grassierende Erzählung der Täter vom „romantisch-exotischen Urlaub“ in den Kolonien widerlegt, die Millionen Opfer verschweigt. Und die Arbeit ist noch lange nicht getan. Da ist es in Zeiten der sich diversifizierenden Einwanderungsgesellschaft ein fatales Signal, sich aus der städtischen Verantwortung zu stehlen.

Doch Hamburg pflegt lieber die alten Heldenerzählungen. So hat man es noch nicht geschafft, die riesige Granitstatue des Reichskanzlers Bismarck, 1906 errichtetet, zu kommentieren. Dabei war es Bismarck, der auf Betreiben hanseatischer Kaufleute die deutschen Kolonien annektierte. Aber anstatt kritisch damit umzugehen, sanierte man das 43 Meter hohe Denkmal von 2020 bis 2023 für rund zehn Million Euro.

Danach sollte es dann doch eine pflichtschuldige Kontextualisierung geben; 2022 schrieb die Kulturbehörde einen Künstlerwettbewerb aus. 76 Beiträge gingen ein, doch das Hemmnis war – bewusst oder nicht – von vornherein eingebaut: Bedingung war nämlich, dass das Bismarck-Denkmal baulich weder verändert noch ergänzt wurde. Das machte jede künstlerische Intervention unmöglich; der Wettbewerb war gescheitert, Stillstand zementiert. Seither wird der umgebende Elbpark saniert, das Denkmal ist abgesperrt. Erst wenn alles fertig ist, will man laut Kulturbehörde Informationstafeln aufstellen und über den Museumsdienst nicht näher definierte Führungen anbieten.

Auch der akademische Betrieb verharrt weitgehend in der Täterperspektive. So hat der Beirat zur Dekolonisierung Hamburgs in seinem Eckpunktepapier zur Erinnerungskultur einen Universitäts-Fachbereich „Black Studies“ empfohlen, der auch Schwarze Biografien herausarbeiten würde und den antikolonialen Widerstand, also die Eigenermächtigung der Kolonisierten, einbezöge. „Dieser Vorschlag ist bis heute nicht aufgegriffen worden“, sagt Dekolonial-Aktivistin Hanni Jokinen. „So bleibt es auch in der Wissensvermittlung bei weißer, wenn auch kritischer, Tätergeschichte. Dabei brauchen wir unbedingt den Perspektivwechsel.

Der findet sich in Hamburg nur punktuell: Zwar hat sich das ethnografische Museum in „Museum am Rothenbaum. Künste und Kulturen der Welt (MARKK)“ umbenannt, kontextualisiert koloniale Bestände und begann mit der Restitution geraubter Bronzen aus Benin. Die Figuren des „Nubiers“ und des „Indianers“ auf dem Alten Eingangstor vorn Hagenbecks Tierpark aber, seinerzeit berühmt durch „Völkerschauen“, bleiben unkommentiert. Eine Aufarbeitung fehlt.

Auch die 2006 auf Initiative von Hamburgs Kultursenatorin Karin von Welck (parteilos) aufgestellte Büste des Sklavenhändlers Heinrich Carl von Schimmelmann im Stadtteil Wandsbek wurde erst nach Protesten und Blutrot-Bemalungen bei Nacht und Nebel durch die aufstellende Firma entfernt.

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Und selbst bei Straßen, die Kolonialgewinnler würdigen, stagniert der Prozess. Die von Aktivisten angeregte Umbenennung der Wissmannstraße und des Dominikwegs etwa wurde 2011 kurz vor den Bezirkswahlen wegen Bürgerprotesten gestoppt. Auch von der Umbenennung der vier Schimmelmannstraßen ist seither nicht mehr die Rede.

Überhaupt scheinen mögliche Anwohnerproteste oft wichtiger als die moralische Pflicht, Kolonialismusopfern wenigstens einen Straßennamen zu gönnen und ein Zeichen auch in die aktuelle Schwarze Community zu senden. Zwar gibt es kleine Fortschritte: Nach acht Jahren haben Aktivisten bewirkt, dass Ende 2024 in Hamburg-Nord zwei Adolph Woermann gewidmete Straßen umbenannt wurden. Sie erinnern jetzt an die von einem Kolonialherrn erschossene Louisa Kamana und den Widerstandskämpfer Cornelius Fredericks. Aber die Umbenennung des nahen Justus-Strandes-Wegs scheiterte: Der von Aktivisten vorgeschlagene Name der hingerichteten Ndekocha sei unaussprechlich, so der Bezirk. Dabei ist etwa der Neuengammer Jean-Dolidier-Weg, der einen KZ-Häftling ehrt, ebenso schwer zu sprechen. Es wurde trotzdem durchgesetzt.

Aber das NS-Regime ist ja auch „erst“ 80 Jahre her und der Kolonialismus über 100. Deshalb mag man nicht wahrhaben, dass auch der Baakenhafen in Hamburgs Hafencity, von dem aus Reeder Woermann 1904 rund 14.000 Soldaten, dazu Pferde und Waffen ins heutige Namibia verschiffte, um den Aufstand der Ovaherero und Nama niederzuschlagen, belastet ist. Und dass dort laut Zimmerer eine „logistische Drehscheibe der Kolonialgenozid-Gewinnler“ war und ein Dokumentationszentrum erforderlich ist. Auch die Black Community und Aktivsten haben seit Jahren darauf hingewiesen. Doch jeder Hinweis vor Ort fehlt.

Noch mehr Kolonialverbrecher

Hermann Wissmann (1853–1905), Offizier, war 1888 bis 1890 Reichskommissar im damaligen Deutsch-Ostafrika (heute Tansania, Burundi, Ruanda und ein Teil Mosambiks), um Kolonien zu annektieren. Er unterdrückte Aufstände brutal, brannte Dörfer nieder, was zwischen 1905 und 1907 zum Maji-Maji-Krieg führte.

Hans Dominik (1870–1910), Offizier, befehligte die gegen Einheimische vorgehende „Schutztruppe“ in Kamerun und leitete „Strafexpeditionen“, deren Brutalität sogar im Berliner Reichstag kritisiert wurde.

Justus Starndes (1859–1930), Kaufmann, unterstützte den für seine Brutalität berüchtigten Hamburger Kolonialisten Carl Peters bei der Gründung der Kolonie Deutsch-Ostafrika und lieferte Waffen für die Niederschlagung des antikolonialen Aufstandes.

Stattdessen plant Hamburg dort eine vom Unternehmer Klaus-Michael Kühne gespendete, rund 330 Millionen Euro teure Oper. Kühnes Branche und Firmengeschichte passen auf zynische Weise zum Ort: Das Logistik-Unternehmen Kühne+Nagel verdiente in der NS-Zeit massiv am Transport geraubten jüdischen Eigentums. Bis heute verweigert Kühne die Aufarbeitung der Firmengeschichte.

Dabei sei er nicht grundsätzlich gegen eine neue Oper, sagt Historiker Zimmerer. „Nur sollte man zuerst den Erinnerungsort gestalten und dann Stadtentwicklung betreiben.“ Die Stadt stehe in der Pflicht, ein angemessenes Erinnerungs- und Dokumentationszentrum zu bauen und den Investor zu einer Beteiligung daran zu verpflichten. Schließlich könne man nicht Geschichte tilgen und überschreiben mit einer Kühne-Oper.

Aktivistin Jokinen formuliert es schärfer: „Kühne will hier kulturelles Whitewashing betreiben. Man sollte ein solches Sponsoring nicht annehmen.“ Aber Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) freut sich über die Gabe wie ein Kind. Und mit ihm das Hamburger Großbürgertum. Kritische Anmerkungen zu NS-Vergangenheit und Kolonialismus stören da nur.

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