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Soziologe Andrej Holm über Wohnpolitik„Der Mietendeckel ist notwendig“

Ein bundesweiter Mietendeckel wäre verfassungsrechtlich machbar, sagt der Stadtsoziologe Andrej Holm. In Hamburg stellt er seine neue Publikation vor.

In Berlin ist der Mietendeckel Dauerthema: Demonstration am Potsdamer Platz im Juni 2024 Foto: dpa | Paul Zinken
André Zuschlag
Interview von André Zuschlag

taz: Herr Holm, ist die Forderung nach einem von der Politik beschlossenen Mietendeckel nicht vollkommen hoffnungslos?

Andrej Holm: Ich habe mir kürzlich die Wahlkampfpositionen vor der letzten Bundestagswahl 2021 angesehen: Auch die Partei des amtierenden Bundeskanzlers forderte damals einen mehrjährigen Mietenstopp. Ein bundesweiter Mietendeckel ist keine unrealistische Forderung, sondern vor allem eine notwendige Maßnahme. Die Neubauziele werden regelmäßig verfehlt, die Zahl der Sozialwohnungen schmilzt unvermindert ab und die Mietpreisbremse konnte die Eskalation der Wiedervermietungsmieten nicht verhindern. Ein bundesweiter Mietendeckel kann dieses Vakuum an zielführenden Maßnahmen füllen und wäre sofort wirksam. Es lohnt sich also, für die entsprechenden politischen Mehrheiten zu mobilisieren.

taz: Ist die Forderung nicht aber hoffnungslos, weil das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig erklärt hatte?

Holm: Das Argument, Maßnahmen gegen steigende Mietpreise seien verfassungswidrig, ist eine ritualisierte Reaktion der Immobilienlobby auf fast alle mietenpolitischen Reformvorschläge. Gegen einen bundesweiten Mietendeckel zieht das Argument jedoch nicht: Das Gericht hatte den Berliner Mietendeckel für nichtig erklärt, weil das Land Berlin nicht zuständig war. Die Verantwortung beim Mietrecht liegt nicht bei Landesregierungen, sondern beim Bund. Ein bundesweiter Mietendeckel wäre in dieser Hinsicht also verfassungskonform.

Bild: dpa | Jörg Carstensen
Im Interview: Andrej Holm

54, ist Stadtsoziologe an der Humboldt-Universität Berlin. Ab Ende 2016 war er kurzzeitig Staatssekretär für Wohnen im rot-rot-grünen Berliner Senat.

taz: Würde ein bundesweiter Mietendeckel dann jede Mietwohnung in Deutschland zu einem festen Quadratmeterpreis deckeln?

Holm: Der Mietendeckel wäre ein bundesweites Instrument zur regional abgestuften Begrenzung der Miethöhe. Je angespannter die Marktlage, desto strenger sollen die Auflagen des Mietendeckels greifen. Die Basis für die Festlegung von Kappungsgrenzen des Mietendeckels soll die Gesamtheit der lokal tatsächlich gezahlten Mieten sein und nicht nur die Mieten, die in den vergangenen vier oder sechs Jahren abgeschlossenen oder erhöht wurden, wie es bei den Mietspiegelerhebungen üblich ist. Neu am Mietendeckelvorschlag ist auch, dass neben den Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt auch eine Gebietskategorie „Wohnungsnotlage“ eingeführt werden soll, um dort ein zeitlich befristetes Mietenmoratorium zu ermöglichen.

taz: Ein Mietendeckel ändert nichts daran, dass in den Ballungszentren Wohnungen fehlen. Das Problem lässt sich durch einen Mietendeckel nicht lösen, oder?

Holm: Ein Regenschirm schützt vor Regen, aber schafft keinen Sonnenschein. So ist das auch beim Mietendeckel: Er soll Mietpreise kappen, aber ist natürlich keine universale Antwort auf alle mietenpolitischen Probleme.

taz: Wenn Ver­mie­te­r:in­nen weniger Miete kassieren, werden sie kaum mehr die für die Klimapolitik notwendige energetische Sanierung wuppen können oder wollen. Da rollt dann direkt die nächste große Aufgabe auf die Politik zu?

Buch­vorstellung und Diskussion

„Schöner Deckeln! Mythen und Fakten zum bundesweiten Mietendeckel“: Do, 9. 1., 19 Uhr, Tschaikowsky-Saal, Tschaikowskyplatz 2, Hamburg

Holm: Dafür werden wir sicherlich andere Instrumente brauchen, etwa öffentliche Investitionsprogramme oder sinnvolle Formen der Umverteilung. Diese Instrumente sind aber ohnehin notwendig, denn auch ohne Mietendeckel wird bislang nicht ausreichend energetisch saniert. Ein Mietendeckel könnte aber die Akzeptanz der Mie­te­r:in­nen für energetische Maßnahmen erhöhen, weil Modernisierungen dann nicht mehr zu Mietsteigerungen führen.

taz: Gerade wird um die Fortsetzung der Mietpreisbremse gerungen, mit Chancen auf eine Verlängerung. Müsste das nicht erst in Angriff genommen werden?

Holm: Seit 2015 gibt es die Mietpreisbremse und sie hat die Erhöhung von Mieten offensichtlich nicht wirksam begrenzt: Angebotsmieten sind massiv gestiegen, Bestandsmieten steigen weiter, vor allem Haushalte mit mittleren und kleinen Einkommen haben Mietbelastungsquoten von über 30 Prozent. Alle, die es mit der sozialen Wohnversorgung wirklich ernst meinen, kommen um einen Mietendeckel nicht umhin.

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8 Kommentare

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  • Ein Mietendeckel ist das mindeste.



    Nur wie wird die soziale Bewegung aus der Bevölkerung stärker als die Immo-Lobby, um die Bundesgesetze zu ändern?

  • Es müsste demnach also ein vollständiges Mietenkataster angelegt werden (mit verschiedenen Einordnungen der Wohnungen) und das soll dann "sofort wirksam" sein?

    Und was Mietendeckeapologeten dann absolut verdrängen ist die Tatsache, dass sich wohlhabendere Mieter für das gleiche Geld einfach größere Wohnungen mieten; der vorhandene Wohnraum damit noch schlechter verteilt wird. Mein Bruder (alleinstehend) hat sich in der Zeit des Mietendeckels eine 120 qm Wohnung gemietet, weil es ja fast nicht gekostet hat.

  • "Die Neubauziele werden regelmäßig verfehlt, die Zahl der Sozialwohnungen schmilzt unvermindert ab und die Mietpreisbremse konnte die Eskalation der Wiedervermietungsmieten nicht verhindern."

    Da war doch was mit Preisbildung durch Angebot und Nachfrage. So eine furchtbare libertäre Theorie.

    Nein, nein, durch staatlichen Eingriff in die Preisbildung wird alles besser. Und wenn die Bremse nichts bringt, dann wird der Mietenstopp sicher Wunder wirken. Die Investoren werden sich darum reißen, Wohnungen zu bauen und zu staatlich festgelegten Preisen vermieten zu dürfen.

    Und wenn das wider Erwarten nicht klappt: Dann werden "andere Instrumente" ausgepackt. Den Bürgern vorher abgeknöpftes Steuergeld als "öffentliche Investitionsprogramme" oder besser noch gleich ganz die Kohle/Immobilien abgenommen für "Formen der Umverteilung".

  • Mietpreisbremse, bundesweiter Mietendeckel, unabhängig von Lagen, gar mit Ausrufung von Gebietskategorie „Wohnungsnotlage“ okay, okay, klingt gleichwohl unangemessen bürokratisch gutgemeint rechtschaffen gemütlich, angesichts massiver Widerstände von Akteuren fern und nah im Wohnungs-, Immobilienmarkt und Politik in Bund, Ländern, Kommunen, samt innovativer Mietpreisgestaltung u. a. auf Wohnungsangebotsseite in bestimmten Lagen vermehrt nur möblierte Wohnungen zu vermakeln, damit Mietpreisbremse, Mietendeckel zu unterlaufen. Da Wohnungsunternehmen zwar keine Anstalten öffentlichen Rechts sind wie TV-, Rundfunkanstalten, gleichwohl aber im öffentlichen Raum agieren wie die Post AG unterm Dach Deutscher Bank, die jede Postwertzeichen Preiserhöhung bei der Bundesnetzagentur beantragen muss, warum sollten Wohnungsbauunternehmen da bei einer Bundeswohnungsnetzagentur nicht auch Mietpreiserhöhungen, die über Inflationsausgleich hinausgehen sollen, mit Vorlage von Businessplan Gründen beantragen müssen? Dazu müsste allerdings bundesweiter Inflationsausgelich aus steuerlichen Mitteln in Deutschland wie in Belgien für Einkommen zusätzlich auch für Mietpreisentwicklung eingeführt werden.

  • Sicher könnte eine Gesellschaft als solche beschließen einen bundesweiten Mietendeckel einzuführen, daher ist das keine Neuigkeit.



    Aber auch Herr Holm räumt ein, dass die Folgen sehr viel weiterreichen würden. Daher kann das Thema weiterhin nur in sehr kleinen Diskussionskreisen überleben.

  • Warum jemand bei steigenden Baukosten und dann noch weiter abgesenkten Renditeerwartungen bauen, oder auch nur sanieren, sollte bleibt das Geheimnis von Herrn Holm.

    Die Mietrendite reicht anscheinend ja zusammen mit der Hoffnung auf Wertsteigerungen schon lange nicht mehr aus, als das in den Mangelregionen ausreichend gebaut wird.

    "Eingefrorene" Renditen bei gleichzeitig anziehenden Preisen wird die Misere noch verschlimmern.

  • Der Mietendeckel vertreibt die kleinen Vermieter und nutzt den Konzernen



    Die Mieten sind zu hoch, das steht völlig außer Frage.



    Trotzdem führt ein Mietendeckel dazu, dass die privaten Vermieter immer weniger werden, weil sie dem Risiko Mietwohnungen aus dem Weg gehen. Zurück bleiben die Löwen, welche die verbleibenden Objekte durch Tricks immer teurer vermieten und ganz andere Baukosten haben, wenn sie gleich 5000 Wohnungen bauen.

    • @Hans Dampf:

      Ja da ist was dran. Die Medaille hat zwei Seiten.



      Jeder Schutz für Mieter, bedeutet auch immer, eine höhere Hürde wenn man es werden will.



      Ich hab vor etwa ~10 Jahren das letzte mal etwas angemietet und mich erschrocken was die alles sehen wollten. Einkommensnachweis, Schufa Auskunft, Vorvermieterbescheinigung, Kontoauszüge. Hab ich irgendwie als Würdelos empfunden. An Fragen fehlte eigentlich nur noch, welche Blutgruppe ich hab.



      Private kleinere Vermieter sind die Einzigen wo das noch nicht so krass läuft.