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das portraitMopsa Sternheims Roman steigt aus dem Koffer

Nicht irgendwer: Mopsa Sternheim, hier in ParisFoto: Annemarie Schwarzenbach

Mopsa Sternheim war nicht irgendwer, schreibt die dpa, sondern: „die Tochter sehr bekannter Leute.“ Na dann! Dabei war Sternheim auch selbst nicht „irgendwer“, sondern: Bühnenbildnerin, Widerstandskämpferin der Résistance, Lebensretterin noch aus dem KZ heraus. Eine intelligente, chaotische, widerspenstige Exilantin. Eine Süchtige. Und: Eine Autorin. Endlich auch mit Anerkennung: 71 Jahre nach ihrem Tod wird ihr einziger Roman „Im Zeichen der Spinne“ im Wallstein-Verlag veröffentlicht.

Lange galt er als verschollen; vor ihrem Tod 1954 hatte Sternheim alle Seiten in einen Koffer gepackt und ihn einem Freund zukommen lassen. Kümmere dich darum, war ihr Wunsch. Doch ein leichtes Vermächtnis war das nicht: Päckchen, lose Seiten, in Handschrift und Schreibmaschine, auf jeder Seite überklebt mit Korrekturen. Der Freund Gert Schiff, später Kunsthistoriker, damals Student und 28, fand keinen Verleger. Vor zehn Jahren ging der ganze Wumms an die Oldenburger Landesbibliothek. „Der Koffer wurde gleich wieder zugemacht“, sagt Corinna Roeder, Direktorin der Landesbibliothek: Zu viel Chaos, zu viel Arbeit. Vergessen wurde das Manuskript nicht: Der ehemalige Leiter Rudolf Fietz hat zwei Jahre lang rekonstruiert, geordnet, Entscheidungen getroffen.

Die Zeit, in der der Roman spielt, sind die 1920er und 30er Jahre. Die Hauptfigur ist nicht Mopsa, aber vieles von dem, was der Protagonistin widerfährt, ist autobiografisch: Die unglückliche kurze Liebe zum ewig vergötterten Gottfried Benn (als „Dr. Groll“); der Selbstmordversuch, der sich daraus ergibt; das Leben im Berlin der Zwanziger; schließlich Verfolgung und Folter durch die Gestapo.

Mopsa, 1905 geboren, lebt ab Mitte der Zwanziger Jahre in Berlin; die Tochter von Thea und Carl Sternheim, Schriftstellerin und Dramatiker, verkehrt im literarischen Brennpunkt der Stadt, den Salons und Partys. Befreundet ist sie mit Klaus und Erika Mann; mit Ruth Langsdorf, die oft als It-Girl der 1920er bezeichnet wird, verbindet sie eine Freundschaft oder Affäre oder Beziehung – die Übergänge sind fließend.

Geld verdient sie als Bühnenbildnerin und mit Übersetzungen; irgendwann heiratet sie auch, aber das wohl eher am Rande. Viel mehr durch ihr Leben begleiten wird sie ab 1927 das Morphium: Sie lebt eine On-Off-Beziehung mit der Droge, immer wieder unterzieht sie sich Entzugskuren – und fällt zurück in die Sucht. Nie aber in die Belanglosigkeit: ab Anfang der Dreißiger schreibt sie gegen die Nazis für den Manchester Guardian. 1933 folgt sie ihrer Mutter ins Exil nach Paris.

Später engagiert sie sich in der Resistance und wird enttarnt. Im KZ in Ravensbrück wird sie noch einmal über sich hinaus wachsen: Als Blockälteste im Krankenrevier schreibt sie Mitgefangene auf die Liste der Verstorbenen, die so der Deportation entgehen. Sie legt sich an mit den Machthabern im Lager – später konnte sie gegen sie als Zeugin aussagen.

Sternheim stirbt mit 48 Jahren an Darmkrebs. Es ist ein schmerzhafter Tod: das Morphium, das ihr als Schmerzmittel verabreicht wurde, wirkt bei ihr nicht mehr. Ihr letztes Wort als Autorin, das spricht Sternheim erst jetzt, mit ihrem Roman. Lotta Drügemöller

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