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das portraitWie Greta Thunberg: Israel schiebt auch die EU-Abgeordnete Rima Hassan ab

Foto: Apaydin Alain//imago

Die Hälfte der zwölf Besatzungsmitglieder des Hilfsschiffs „Madleen“, das Israel am Montag vor seiner Küste aufbrachte, stammt aus Frankreich. Vier von ihnen weigerten sich, eine Erklärung zu unterschreiben, um – wie Greta Thunberg – sofort abgeschoben zu werden. In der Erklärung sollten sie zugeben, illegal eingereist zu sein. Unter ihnen ist die 32-jährige EU-Abgeordnete Rima Hassan von der linken Partei La France insoumise, sie saß in Israel in Haft. Am Donnerstag meldete sie sich wieder auf X: sie sei frei, schrieb sie, und rief zu einer Kundgebung in Paris auf.

In Frankreich ist Hassan eine Ikone der Solidarität mit Palästina. Am Montag demonstrierten Zehntausende in mehreren Städten für ihre Freilassung. Die Regierung in Paris dagegen rührte keinen Finger für sie.

Rima Hassan ist bekannt dafür, kompromisslos für die Rechte ihrer palästinensischen Landsleute einzutreten. Dafür wird sie heftig attackiert und verunglimpft, doch das scheint sie in ihrem Kampf nur noch zu bestärken. Bei öffentlichen Auftritten, ob Demo oder Solidaritätsveranstaltung, trägt sie stets die schwarzweiße Kufija, das Palästinensertuch, wie eine Fahne um die Schultern. Die französische Komikerin Sophia Aram nannte sie deswegen „Lady Gaza“. Häme, die Hassan eher als Auszeichnung empfinden dürfte.

In einem Interview mit Le Monde bezeichnete sie sich nicht als französisch-palästinensische Doppelbürgerin, sondern nannte drei Identitäten: „Geflüchtete, Palästinenserin und meine Klassenzugehörigkeit.“ Auf die Frage, wo sie geboren wurde, antwortete sie: „Im Zorn.“

1992 kam sie im syrischen Flüchtlingslager Nayrab bei Aleppo zur Welt. Die Dörfer, aus denen ihre Großeltern nach 1948 wie 700 000 andere Palästinenser vertrieben wurden, sind heute Teil des israelischen Staatsgebiets. Mit neun Jahren zog Hassan nach Niort, wo ihre Mutter bereits im französischen Exil lebte. Das Schicksal ihrer Familie und das Leben als Flüchtling will und kann sie nicht vergessen – und schon gar nicht verzeihen.

Mehrere Jahre arbeitete Hassan für die französische Asylbehörde Ofpra. Ihr Jurastudium schloss sie 2015 an der Pariser Sorbonne mit einer Masterarbeit ab, in der sie die Apartheid in Südafrika mit der israelischen Besetzung der palästinensischen Gebiete verglich. Der Kampf für die Rechte der Vertriebenen und im Speziellen der Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen wurde ihr in die Wiege gelegt. Ihre Mutter war in der Association France Palestine Solidarité aktiv. Von ihr hat Rima Hassan den Zorn und den Wunsch nach Revanche geerbt.

Zwar verurteilte Rima Hassan die Massaker vom 7. Oktober als Kriegsverbrechen. Sie findet aber auch, dass die Hamas nicht auf eine Terroristengruppe reduziert werden könne, sondern auch eine legitime politische Bewegung sei, zumal sie an Wahlen teilgenommen hat. Dies legten ihr manche als Apologie oder Verharmlosung von Terrorismus an. Dass sie Israel eine „Monstrosität“ nennt und nicht mehr an eine Zweistaatenlösung glaubt, wird ihr als „krasser Antisemitismus“ angelastet.

Diese Vorwürfe empören sie: „Mit welchem Recht könnte ich dem jüdischen Volk das Recht auf eine nationale Zuflucht absprechen, die es nach der Vernichtung von sechs Millionen Juden (im Holocaust) schützt“, sagte sie der Zeitung Le Monde zu der Frage nach dem Existenzrecht Israels. Doch das „Rima-Hassan-Bashing“ gehört in manchen Kreisen längst zum guten Ton. Für jene, die wie ihre Partei La France insoumise von einem Genozid in Gaza sprechen, ist sie dagegen die Passionaria mit Palästinensertuch. Rudolf Balmer, Paris

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