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Filmemacherin über Doku „Blinder Fleck“„Ich gebe den Betroffenen ein Sprachrohr“

Es gibt Menschen, die erinnerten sich an Missbrauch in ihrer Kindheit, aber die Justiz kann nichts finden. Liz Wieskerstrauch lässt sie zu Wort kommen.

Schreckliche Erinnerungen: Nachgestellte Verhörszene mit der Darstellerin Alina Levshin aus dem Film „Blinder Fleck“ Foto: Miriam Bauer / © Flemming Postproduktion
Interview von Wilfried Hippen

taz: Frau Wieskerstrauch, was ist der „blinde Fleck“, über den Sie diesen Film gemacht haben?

Liz Wieskerstrauch: Es geht darin um Menschen, die unter dissoziativen Identitätsstörungen leiden. Das ist eine Traumafolgestörung, bei der Erinnerungen abgespalten werden. Dies ist eine Überlebensstrategie des Gehirns, die genial ist, aber den Nachteil hat, dass die Menschen diese innere Aufspaltung ihr ganzes ­Leben lang behalten und darum Erinnerungslücken haben.

taz: Und sehr oft erinnern sich diese Frauen an ritualisierte sexuelle Gewalt in ihrer Kindheit. Was verstehen Sie darunter?

Wieskerstrauch: Es ist erwiesen, dass es pädokriminelle Organisationen gibt, die kinderpornografische Aufnahmen produzieren, mit denen sich Kriminalbeamte weltweit beschäftigen müssen. Die Kinder darin müssen lange trainiert werden, um dann so zu funktionieren, wie die das brauchen.

Bild: Miriam Bauer
Im Interview: Liz Wieskerstrauch

geboren 1955, ist eine Regisseurin und Autorin, die viele Dokumentationen für ARD, ZDF und Arte produziert hat. Darunter die Serien „Frauengeschichten“ und„Kampf gegen die Krankheit“ sowie den Zweiteiler „Höllenleben“.

taz: Und der blinde Fleck besteht darin, dass diesen Frauen meist nicht geglaubt wird?

Wieskerstrauch: Ja! Es gibt unfassbar viele Menschen, die solche Erinnerungen haben, und ich thematisiere das deshalb, weil es keine einzige wissenschaftliche Studie gibt, die erklärt, wo das alles herkommen kann, wenn es nicht wahrheitsbasiert ist.

taz: Sie haben vor 20 Jahren schon einmal für die ARD eine zweiteilige Dokumentation zu diesem Thema mit dem Titel „Höllenleben“ gemacht. Gab es danach juristische Konsequenzen?

Wieskerstrauch: Es wurden Ermittlungen in Gang gebracht, die dann aber zu nichts führten. Die Menschen erinnerten sich an schwerste Gewalt in frühester Kindheit aber die Justiz konnte nichts finden.

taz: In Ihrem Film befragen Sie den renommierten Fallanalytiker Axel Petermann und auch der sagt, dass er intensiv zu diesem Thema ermittelte und dennoch keine Belege für Verbrechen gefunden hat. Unterminieren Sie damit nicht selber ihre Grundthese von einer weitverbreiteten ritualisierten Gewalt?

Wieskerstrauch: Es ist wichtig, dass man bei solch einem Film auch die Infragestellung mit einbaut und immer alles selber hinterfragt. Das gilt auch für das Gespräch mit der Opferanwältin Ellen Engel, die ja auch vorsichtig ist und nicht alles ein zu eins übernimmt. Das halte ich für die richtige Haltung.

Der Film

„Blinder Fleck“, 23.4., 17.30 Uhr, Kino City 46, Bremen und 24.4., 19.30 Uhr, Abaton, Hamburg. Dies ist der Beginn einer Kinotour, bei der Liz Wieskerstrauch ihren Film bei 50 Kinovorstellungen in ganz Deutschland vorstellen wird. Weitere Termine gibt es hier.

taz: Glauben Sie, dass im Vergleich zu den Publikumsreaktionen vor 20 Jahren den Frauen nach dem Paradigmenwechsel durch die Me-Too-Bewegung jetzt mehr geglaubt wird?

Wieskerstrauch: Im Gegenteil! Als die Dokumentation damals in der ARD gesendet wurde gab es eine überraschend hohe Einschaltquote und nur positive Kritik von allen Seiten. Jetzt ist es so, dass ich alleine dadurch, dass ich den Betroffenen ein Sprachrohr gebe, eine Verschwörungstheoretikerin genannt werde. Aber ich möchte im journalistischen Sinn ausgewogen sein. Natürlich bin ich empathisch auf der Seite der Betroffenen. Auch weil die Kritiker diese Frauen gerne lächerlich machen. Aber wenn es tatsächlich einmal wissenschaftlich erwiesen würde, dass diese Erinnerungen nur Hirngespinste sind, dann wäre das auch für mich eine große Erleichterung. Das muss aufgeklärt werden und dies ist der Impuls, warum ich „Blinder Fleck“ gemacht habe.

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