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Zweiter Roman von Christian BaronBürgerlichkeit und Lumpenproletariat

Der Schriftsteller Christian Baron erzählt in seinem Roman „Schön ist die Nacht“ atmosphärisch dicht aus einer untergehenden Schicht.

Im Roman „Schön ist die Nacht“ jubeln die Arbeiter noch dem selben Verein zu wie die Väter Foto: imago

Gute Freunde kann niemand trennen. In dieser Schlager gewordenen Beckenbauer-Weisheit steckt zugleich der Kern des Verhängnisses Willy Wagners. Der ist seit einer nächtlichen Begegnung im ausgebombten Untergangsdeutschland dem Tunichtgut und Kleinkriminellen Horst Baron freundschaftlich verbunden. Doch Horst zieht Ärger wie magisch an, seine Fäuste sitzen locker wie die von Bud Spencer und überhaupt ist er nicht der richtige Umgang für einen beflissenen Arbeiter wie Willy.

In seinem Roman „Schön ist die Nacht“ wagt Christian Baron eine Art Zwillingsexperiment. Was passiert, wenn man zwei Männer einer Generation mit recht ähnlichen Voraussetzungen, aber unterschiedlichen moralischen Ansprüchen, ein und derselben Situation aussetzt? Wird der eine erfolgreich sein, muss der andere scheitern? Oder ist die Sache noch viel trauriger?

Schauplatz für die Verquickung der beiden Biografien ist das Kaiserslautern der 70er. Willy ist korrekt und fleißig, während Horst sich durchwurstelt. Horst ist der klassische Hallodri, im Grunde das, was Marx unter dem Label „Lumpenproletariat“ für den Klassenkampf abqualifizierte.

Kein Klassenbewusstsein

Aber auch Willy geht, bei allem Bemühen, das rechte Klassenbewusstsein ab: Mit den „Gastarbeitern“ und ihren Anliegen will er nicht sympathisieren. Von den internationalistisch-kommunistisch geprägten Vorstellungen der Mutter ist er meilenweit entfernt. Jeder muss sehen, wo er bleibt.

Das Buch

Christian Baron: „Schön ist die Nacht“. Claassen Verlag, Berlin 2022, 384 Seiten, 23 Euro

Eigentlich will er nur ankommen, sich eine gute Existenz aufbauen. Selbst als Polier müsste man doch einen Platz an der Sonne ergattern können. Auch mit den Frauen läuft es nicht; und von ihren Kindern haben sich beide Männer entfremdet – eher ein Glück angesichts des schlechten Einflusses, den Horst auf seinen Ältesten hat.

Dass Horst den Nachnamen „Baron“ trägt und somit in die Genealogie des Autors rückt, als ein Großvater etwa, verwischt nicht nur Grenzen zwischen Roman und Wirklichkeit, sondern liefert auch eine Art imaginäre Vorgeschichte zu Barons Bestseller „Ein Mann seiner Klasse“.

In „Schön ist die Nacht“ erzählt Baron atmosphärisch dicht aus einer untergehenden Schicht. Es ist die Ära Brandt/Schmidt, die Wirtschaftswunderboomjahre sind vorüber. Die als Gastarbeiter angeworbenen Türken, Italiener und Griechen hätten gern einen Teil des Kuchens oder jedenfalls menschenwürdige Lebensbedingungen.

Ölpreiskrise, schwächelnde Konjunktur

Gab es in den 60ern noch ein historisches Zeitfenster, das einen bescheidenen Aufstieg der Arbeiterklasse und Bildungsexpansion versprach, werden die Hoffnungen nun jäh zertrümmert. Ölpreiskrise, schwächelnde Konjunktur – wer jetzt kein Haus hat, der baut sich keines mehr. Der Traum von der wirtschaftlichen Teilhabe, vom bescheidenen Aufstieg mit dem Leben im Eigenheim, in dem es gelingt, den Kindern eine gute Ausbildung zu finanzieren – ausgeträumt.

Nun kann schon froh sein, wer seine Arbeit behält und nicht auf die Straße gesetzt wird. Es ist eine Ära der fiskal- und finanzpolitischen Umbrüche, der Beginn der Globalisierung, wie wir sie heute kennen, in dem Kapital freizügig ist, die Arbeiter aber noch nicht.

Wiederholt wird im Roman die autochthone Qualität der Arbeiterleben gezeigt: Man jubelt demselben Verein zu, dem schon die Väter zujubelten, man ist dem Stadtteil verbunden, selbst wenn er als raues Pflaster gilt. Und über die Grenzen der Stadt kommt man allenfalls für einen Knastaufenthalt hinaus.

Antihelden

Bei aller gefühlsmäßigen Aufladung wird die Arbeiterklasse nicht sentimental verkitscht. Vielmehr erscheint sie als immer schon tragische, weil ihre Angehörigen in wichtigen sozialen und emotionalen Funktionen beschneidende Assoziation von Subjekten. Interessanterweise taugen beide (Anti-)Helden nicht zur Identifikation, man kommt ihnen nicht nahe.

Der Traum von der wirtschaftlichen Teilhabe, vom Aufstieg – ausgeträumt

Das mag, trotz der Wahl eines personalen Erzählers, der genauestens über die Gedanken der Figuren unterrichtet, an dem Zug ins Neusachliche und Expressionistische liegen. Gerade aus dem Überschuss der Mitteilungen aus dem Innenleben der Figuren ergibt sich der Eindruck, dass sie kein emotionales Innenleben besitzen. Dass sie affekt-, aber nicht gefühlvoll sind. Insbesondere Horst, dieser Biberkopf 2.0 mit seiner Grob- und Gefühlstaubheit, könnte ebenso einem 20er-Jahre-Milieu-Roman entsprungen sein.

So wirken Willy und Horst zeitlos und anachronistisch zugleich. Als Figuren wie aus der Zeit gefallen, jedenfalls aus der Perspektive der Gegenwart, als seien sie schon in ihrer erzählten Gegenwart Relikte einer entfernten Vergangenheit, in der es so etwas wie Arbeiterstolz gab. Baron zeigt die Männer, um es Neudeutsch zu fassen, im permanenten Zustand des ­Hustles. So sind sie für sich und andere nur mehr die Verkörperung ihrer Rolle im Produktionsprozess.

Es gibt es eine tragische Pointe in diesem melancholischen Roman: Dass nämlich das, was im Roman Empathie mit den beiden Männern verhindert, auch in der Realität, in der gelebten Arbeiterwirklichkeit, gesellschaftliches Mitfühlen jäh unterbindet. Und dass die Freunde, von denen man sich nicht trennen kann, zuletzt zum Verhängnis werden.

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