Roman zu Frauen in der DDR: Weggesperrte Freigeister
Bettina Wilpert erzählt in „Herumtreiberinnen“ von Frauen, die sich dem DDR-Regime nicht beugten. Sie mussten dafür teuer bezahlen.
Im Sommer 1983 verändert sich für Manja alles. Erst schwänzt die 17-Jährige mit Maxie die Schule, dann brechen die Freundinnen betrunken in eine Laube ein, und schließlich singt Manja in einem Schulaufsatz das Hohelied auf die Freiheit in der BRD.
All das sorgt natürlich für Ärger, wir sind hier in der DDR, aber zum Verhängnis wird ihr die Liebe. Sie verguckt sich in den mosambikanischen Vertragsarbeiter Manuel und besucht ihn in seinem Wohnheim. Dort wird sie bei einer Razzia festgenommen, denn Frauen, die sich mit „solchen Männern“ einlassen, müssen entweder Prostituierte oder asoziale Elemente sein.
In dieser Szene, mit der Bettina Wilperts neuer Roman „Herumtreiberinnen“ Fahrt aufnimmt, wird zweierlei deutlich. Zum einen der strukturelle Rassismus in den DDR-Organen gegenüber den Gastarbeitern aus den sozialistischen Bruderländern, zum anderen die reaktionäre Sexualmoral und Misogynie des Staatsapparats.
Die „Tripperburg“ in Leipzig
Manja wird in die „Tripperburg“ in der Leipziger Lerchenstraße gebracht, eine geschlossene venerologische Station. In die wurden zu DDR-Zeiten Mädchen und Frauen ab dem zwölften Lebensjahr zwangseingewiesen, wenn Verdacht auf eine Geschlechtskrankheit bestand. Dafür reichte es aus, wenn Frauen auf Bahnhöfen oder bei Konzerten allein unterwegs waren. Der Vorwurf der „Herumtreiberei“ und „Arbeitsbummelei“ diente als Vorwand, um mit Unterstützung der Stasi politisch unliebsame Personen aus dem Verkehr zu ziehen.
Diesen Teil der Geschichte greift die in Leipzig lebende Schriftstellerin auf. Sie lässt Manja nach ihrer Entlassung von den Wochen in Gefangenschaft, den brutalen medizinischen Untersuchungen, ihrer inneren Einsamkeit und den anderen Frauen erzählen. So lernen wir Sascha kennen, die beim Trampen festgenommen wurde, Kerstin, die von ihrer gnadenlosen Mutter ausgeliefert wurde, und Marion, die einsaß, weil sie als Prostituierte mit der Stasi aneinandergeriet.
Über die Freiheit und körperliche Selbstbestimmung dieser Frauen verfügte Stationsleiter Höcks, vor dem sie sich ebenso in Acht nehmen mussten wie vor „Kurbeldoris“ und ihren groben Leibesvisitationen. Ihre Brutalität wird auf die Frauen übergreifen, sodass auch Manja nicht frei von Schuld bleibt.
Schon in ihrem Debüt „Nichts, was uns passiert“ ging Bettina Wilpert dahin, wo es wehtut. In dem Roman beschrieb sie die Folgen eines One-Night-Stands, den Anna als Vergewaltigung und Jonas als einvernehmliches Miteinander erlebte. Über diese antagonistischen Figuren führte die Leipziger Autorin ihre Leser:innen in die ungemütlichen Grauzonen der Wirklichkeit.
Unterdrückung, Entmündigung und Isolation
Auch „Herumtreiberinnen“ ist kein bequemer Roman, er leuchtet vielschichtig die verschiedenen Dimensionen von Unterdrückung, Entmündigung und Isolation in unterschiedlichen Zeiten aus. In auktorial erzählten Nebensträngen begegnen wir Lilo und Robin. Lilo kommt im Winter 1945 in die Lerchenstraße. Sie trieb sich im Auftrag ihres im Widerstand aktiven Vaters in der Stadt herum und trug Botschaften von A nach B. Siebzig Jahre später arbeitet Robin im einstigen Durchgangslager Lerchenstraße als Sozialarbeiterin.
Im Keller des Hauses, das jetzt als Unterkunft für Geflüchtete dient, stößt sie auf Unterlagen aus der venerologischen Station. Dieser faktische Brückenschlag schließt leider nicht die logische Lücke, die diese Figur in die Erzählung reißt. Weder ist Robin ein Alter Ego der Autorin, noch kennt sie die Erfahrung von Repression und Isolation, die Lilo und Manja teilen.
Dennoch: „Herumtreiberinnen“ ist ein aufwühlender Roman, in dem mit Motiven und sprachlicher Taktung Zeiten überbrückt werden. Sporadisch erhebt sich immer wieder ein universeller Chor der Inhaftierten. „Wir, in der Lerchenstraße“, heißt es an einer Stelle, „dürfen nicht reden, müssen den Mund halten, stehen in Reih und Glied.“ Bettina Wilpert gibt den entmündigten Frauen aus der Lerchenstraße ihre Stimmen zurück.
Leser*innenkommentare
Ringelnatz1
Kein einziger Arzt von damals mußte sich nach der Wende für die Vorgänge in den Tripperburgen vor Gericht verantworten.
...Entlassen wurden sie erst, wenn sie 30 negative Abstriche vorweisen konnten. Medizinisch notwendig war ein solches Vorgehen nicht. Männer wurden nicht in die geschlossene Venerologische Station eingewiesen. Waren sie etwa an Gonorrhoe erkrankt, konnten sie sich in der Poliklinik ambulant mit einer Penicillinspritze behandeln lassen.....
Ich finde gut, das eine junge Schriftstellerin sich mit diesem Thema auseinandersetzt.
Stimmen im Gemäuer der Tripperburg-: Bettina Wilpert
www.youtube.com/watch?v=R9kHKRzq-Lk
www.aerztezeitung....erburg-224199.html
Ganz nach oben geblickt, damals, fällt mir hier das Beispiel des rumänischen Ehepaares wieder ein!(Das muß raus!)