Zweite Bundesliga: Gelingen und Misslingen
Der 1. FC Magdeburg spielt eine starke Saison in der 2. Liga, verliert aber zu Hause 3:4 gegen Nürnberg. Scheitert der FCM am Heimnachteil?
![Magdeburg-Trainer Christian Titz Magdeburg-Trainer Christian Titz](https://taz.de/picture/7518311/14/37628476-1.jpeg)
Die Erlösung schien so nahe am frühen Samstagnachmittag. Wild ging es in den letzten Minuten hin und her. Und die Magdeburger Anhänger setzten noch einmal ihre ganze geballte Energie frei, als könnten sie den Ball ins gegnerische Tor schreien. Doch mit dem Treffer des Nürnberger Julian Justvan in der vierten Minute der Nachspielzeit war der kühne Traum vom ersten Heimsieg in dieser Saison ausgeträumt.
„Bitter“, nannte das Eigentorschütze und Torschütze Jean Hugonet. „Für uns ist ein 3:3 kein gutes Ergebnis, auch wenn wir mit 1:3 zurücklagen. Wir wollen jedes Spiel gewinnen.“ Schon die persönliche Statistik des Franzosen symbolisierte die Magdeburger Geschichte vom Misslingen und Gelingen. Im Grunde genommen ist dies eine Erzählung, die sich durch die gesamte, extrem ausgeglichene 2. Liga zieht und Woche für Woche für spektakuläre Unberechenbarkeit sorgt.
Nur der Traditionsklub aus dem Osten hat in diesem Durcheinander ein unorthodoxes Ordnungsprinzip etabliert. In der Fremde gewinnen die Blau-Weißen fast immer (neun von elf Spielen) und führen die Auswärtstabelle souverän an. Immer wieder schüren sie andernorts massiv Hoffnung – die letzten drei Auswärtspartien gewannen sie jeweils 5:2 – um ihr treues Publikum dann zu enttäuschen. Sieben Punkte stehen nach zehn Heimspielen zu Buche, weniger hat kein anderes Team.
Christian Titz, Magdeburger Trainer
Gegen Nürnberg haben sie die vielleicht kurioseste Statistik des deutschen Fußballs weiter ausgebaut. Der deutsche Fußballwortschatz muss um das Wörtchen „Heimnachteil“ ergänzt werden. „Zu Hause ist es etwas schwerer für uns“, untertrieb Martjin Kaars maßlos, der nach seinen vier Toren auf Schalke immerhin auch zu Hause mal wieder einen eigenen Treffer bejubeln konnte.
Was die Angelegenheit noch spezieller macht: Der 1. FC Magdeburg wird allerorten zu Recht für seinen schönen und dominanten Ballbesitzfußball gelobt, den Trainer Christian Titz mit besonderer Intensität in der eigenen Arena spielen lässt. Gegen den 1. FC Nürnberg lag die Magdeburger Ballbesitzquote wieder einmal bei 65 Prozent. Torhüter Dominik Reimann war wie üblich nicht selten bis in den Mittelfeldkreis vorgerückt, um den Druck nach vorne erhöhen zu können.
Vom Ende der Liga drei zur Spitze Liga zwei
Titz bekam nach Spielschluss trotz aller Enttäuschung auch freundlichen Applaus, als er die Haupttribüne entlang schritt. Der Klub, der mit der unglücklichen Niederlage gegen Nürnberg erst aus den Aufstiegsrängen rutschte, steht prächtig da – und das mit dem halben Etat des Hamburger SV. Im Februar 2021 hat Titz das Team in der 3. Liga in Abstiegsgefahr übernommen und Stück für Stück weiterentwickelt. Die Stadt ist von den Erfolgen elektrisiert. Aus dem Regionalzug wird man am Hauptbahnhof mit besten Wünschen für das Spiel des 1. FC Magdeburg entlassen. Und der Straßenbahnfahrer fährt mit blau-weißer Kopfbedeckung und ausgelegtem Vereinsschal an der Frontscheibe.
Nicht wenige stellen sich die Frage, wo die Blau-Weißen stehen könnten, würde man ab und an mal zu Hause gewinnen. Vom Kopfproblem ist die Rede. Die Negativserie von 15 nicht gewonnenen Heimspielen reicht immerhin bis zum 24. Februar 2024 zurück, als Schalke 3:0 geschlagen wurde. Titz will davon nichts wissen. Verständlich, ein Kopfproblem kann man schließlich nicht wegtrainieren. Das Thema, sagt er, spiele in der Öffentlichkeit eine große, in der Mannschaft aber eine untergeordnete Rolle.
So bekam sein Resümee nach der Partie gegen den FCN nicht zufällig eine einzelschicksalhafte Note: „Manchmal gibt es Tage, da kannst du dich nur selbst schlagen, heute war so ein Tag.“ Er beklagte drei individuelle Patzer bei den ersten drei Gegentoren und ein kollektives Versagen beim Verteidigen in der Nachspielzeit. „Ich weiß“, sagte Titz auf Nachfrage, „dass das in einem Fußballspiel vorkommt. Du hast Stress, du hattest gerade selbst den Gedanken, du willst das Spiel für dich holen, und dann hat der ein oder andere Spieler abgeschaltet.“ Man konnte es als verstecktes Eingeständnis interpretieren, dass die spürbare Sehnsucht nach einem Heimsieg den ungünstigen Ausgang begünstigt hatte. Andererseits hätte in der Sturm-und-Drang-Phase beim Stand von 3:3 Neuzugang Alexander Ahl Holmström per Kopf den erlösenden Magdeburger Treffer erzielen können.
Letztlich bleibt diese statistische Absonderlichkeit unerklärlich und wird somit immer mystischer. Die Magdeburger sind zu bedauern, zumal sie nächsten Freitag schon wieder zu Hause antreten müssen. Der 1. FC Köln ist dann zu Gast.
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