heute in bremen: „Zweigeschlechtlichkeit ist auch Gewalt“
Simo* Wörmann,
47, ist Soziolog_in und Sozialarbeiter_in in einem Jugendzentrum in Burg-Lesum
Interview Teresa Wolny
taz: Simo* Wörmann, welche Gewalt erleben Jugendliche?
Simo* Wörmann: Häusliche Gewalt ist immer noch ein großes Thema. Dazu kommen Mobbing und auch neue Formen von digitaler Gewalt. Auch sexualisierte Gewalt ist ein Thema. Um über Sexualität, Selbstbestimmung und Körper zu reden, gibt es sowohl gegenderte als auch gemischte Tage. Die Jugendlichen können sich hier unter Gleichen oder in angeleiteten Gesprächen austauschen. Auch die, die sich nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen.
Wie weit ist dieses Thema heute in der Gesellschaft angekommen?
Es ist leider immer noch die Ausnahme, dass die dritte Option mitgedacht wird. Wenn sich Menschen als inter*, trans*, nicht- binär definieren, ist das für viele immer noch eine Provokation, viele erfahren verbale Drohungen oder körperliche Übergriffe. Und es gibt die kleineren, subtileren Formen von Gewalt, die unsichtbar gemacht werden und nach wie vor Alltag für geschlechtlich nicht konforme Menschen sind.
Was bedeutet das?
Wenn Menschen nicht den normativen Anforderungen an Geschlecht entsprechen, nehmen sie Räume, die zweigeschlechtlich strukturiert sind und mehrheitlich von cisgeschlechtlichen Menschen dominiert werden, ganz anders wahr, sie kommen sich unsichtbar vor. Das fällt den meisten Menschen, die sich einem Geschlecht zuordnen, nicht auf, genauso wie weiße Menschen Rassismus oft nicht wahrnehmen. Wenn Menschen anders gelesen werden, als sie sich fühlen, wenn Geschlecht systematisch zugeordnet und nicht erfragt wird, wenn automatisch von einer Zweigeschlechtlichkeit ausgegangen wird, handelt es sich dabei auch um Gewalt.
Wie helfen Sie diesen Jugendlichen?
Dass es viele Formen von Männlichkeit und Weiblichkeit gibt und auch Menschen, die sich gar nicht in der Zweigeschlechtlichkeit verorten, ist kein Tabuthema mehr. Aber was in Debatten über Trans*- und Inter*sexualität diskutiert wird, ist oft gar nicht auf Jugendliche übertragbar, weil viele noch gar nicht wissen, wie sie sich definieren. Es geht also gar nicht so sehr um helfen, sondern vielmehr darum, die eigenen Normen zu hinterfragen und Vielfältigkeit bewusst Raum zu geben. Wir haben eine geschlechterneutrale Toilette für alle Geschlechter eingerichtet, um Jugendliche die sich weder als Junge noch als Mädchen definieren, oder solche, die in einer Transition sind, nicht in die Situation zu bringen, sich permanent outen zu müssen oder womöglich auf das Trinken zu verzichten.
Poetry Slam „Über. Gewalt. Sprechen. – Gewalt an Mädchen* und jungen Frauen*“ 18 Uhr, Martinsclub, Vegesacker Fähre 12
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