Zwei neue Bücher von Dave Eggers: Ein strunzdummer Typ
Dave Eggers hat eine Trump-Satire und eine parabelhafte Abenteuergeschichte geschrieben. Die beiden Bücher sind gleichzeitig auf Deutsch erschienen.
Zwei Männer sind in ein südliches Land eingeflogen worden, um eine Straße zu bauen, die erstmals den armen Süden mit dem reichen Norden des Landes verbinden soll. Der eine Mann, er wird von seiner Firma nur „Vier“ genannt, ist ein arbeitsamer, disziplinierter Typ, der sich penibel an alle Regeln hält, die ihm vorgegeben sind und die darauf hinauslaufen, nicht nach links und rechts zu gucken und stur seinen Job zu machen. Der andere – Vier nennt ihn „Neun“ – ist ein Lebemann, der es genießt, in vollen Zügen und dabei komplett naiv in das fremde Leben einzutauchen, das ihn umgibt.
Vier und Neun sind extreme Ausprägungen zweier konträrer Prinzipien. Dave Eggers, in dessen Werk das Parabelhafte zunehmend eine Art Markenzeichen zu werden scheint, arbeitet gern mit auf das Wesentliche reduzierten Charakteren. Es ist eine demonstrative Versuchsanordnung als Literatur, aus der in dem Roman „Die Parade“ eine kleine interkulturelle Abenteuergeschichte erwächst.
Die Zusammenarbeit der Kollegen Vier und Neun verläuft natürlich nicht konfliktfrei. Während Vier auf der großen Maschine sitzt, die Tag für Tag viele Kilometer asphaltierter Straße durchs Land legt, ist es Neuns Aufgabe, auf einem Quad vorauszufahren und Hindernisse von der Strecke zu räumen. Die Ausflüge, die er dabei in die Umgebung macht, werden immer länger.
Eines Tages hat Vier während einer unerlaubten Abwesenheit des Kollegen ein kleines Abenteuer: Er muss ein Kind retten, das vor seiner Maschine auf der Straße auftaucht und einfach nicht zur Seite weicht. Doch Vier bekommt keine Gelegenheit, seinen Zorn über den Vorfall an Neun auszulassen. Als der Pflichtvergessene wieder auftaucht, ist er nicht nur schwer krank, sondern wird auch noch von der selbst ernannten örtlichen Ordnungsmacht gesucht.
Im Laufe des folgenden Abenteuers scheint es mehr und mehr so, als würde der allzu prinzipientreue Vier einen eigenen kleinen Entwicklungsroman durchlaufen. Doch die Freude, die man daran haben mag, wird vom Autor mit einer jähen Erzählvolte wieder abgewürgt.
Ambivalenzen westlicher Entwicklungsarbeit
In narrativ hochkonzentrierter, komprimierter Form führt Eggers in diesem kleinen Roman ein paar sehr grundsätzliche Ambivalenzen westlicher Entwicklungsarbeit vor: Wie an Vier und Neun exemplarisch zu beobachten, haben prinzipiell beide Haltungen – die neutral-effiziente wie die unbedarft-teilnehmende – gute wie schlechte Seiten. Könnte eine Mischung aus beiden die Lösung sein? Nur bedingt, denn es bleibt ein übergeordnetes Problem: die politischen Verhältnisse im fremden Land.
Dave Eggers:
„Die Parade“. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020. 178 Seiten, 20 Euro
„Der größte Kapitän aller Zeiten“. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020. 125 Seiten, 14 Euro
Die Verwirklichung eines großen Infrastrukturprojekts, wie Vier und Neun es realisieren, mag auf den ersten Blick eine Verbesserung für die Bevölkerung darstellen. Doch was, wenn entsprechend zerstörerische Machtverhältnisse dazu führen, dass Errungenschaften als Unterdrückungsinstrumente einer Diktatur eingesetzt werden?
Zeitgleich mit dieser parabelhaften Geschichte aus der Welt der internationalen Entwicklungspolitik erscheint ein kleines Büchlein, in dem Eggers das symbolhafte Erzählen in wieder eine andere Richtung treibt: ins Humoristische.
„Der größte Kapitän aller Zeiten“ ist eine flotte Satire von fast altmodisch bissiger Art, wie man sie heutzutage eigentlich gar nicht mehr schreibt. Das liegt möglicherweise mit daran, dass es auch schon lange kein Objekt mehr gegeben hat, dessen reale Existenz so nah am Satirischen lag, wie es beim gerade amtierenden Präsidenten der USA der Fall ist.
Regime des Schreckens
Der titelgebende Kapitän des Eggers-Büchleins ist ein strunzdummer, penisfixierter Geck mit einer gelben Feder im Haar, der mehr oder weniger aus Versehen von seinen Mitpassagieren auf dem großen Schiff zum Kapitän gemacht wird. In einer Mischung aus Blödheit, Bösartigkeit und Nachlässigkeit errichtet er ein gleichsam von selbst entstehendes Regime des Schreckens, das unter anderem dazu führt, dass das Schiff manövrierunfähig wird, während der Kapitän sich von gewieften Schurken aus dem Freibeutermilieu an der Nase herumführen lässt.
Man kann sich vorstellen, dass noch vor wenigen Monaten (das englische Original erschien im Dezember) ein solcher frech-satirischer Angriff auf die herrschenden Machtverhältnisse in den USA eine erfrischende mentale Wirkung auf viele LeserInnen hatte. Die befreiende Wirkung des Lachens steht einem jedoch in Zeiten tiefer Krisen nicht im selben Maße zur Verfügung. So wirkt sogar eine böse kleine Satire wie diese im Lichte der aktuellen Situation wie ein heiteres Manifest aus besseren Tagen.
Am Ende des Buchs flüchtet der Kapitän heimlich mit dem letzten verbliebenen Rettungsboot aus dem ausgeplünderten Schiff.
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