Zuwanderung aus Osteuropa: Neue Unterstützer für den Sozialstaat
Experten begrüßen die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Über 70 Prozent von denen, die schon da sind, zahlen in die Sozialversicherungen ein.
BERLIN taz | Geht es um die Freizügigkeit für Bürger der 2007 der EU beigetretenen südosteuropäischen Länder, warnen Kritiker immer wieder vor den Folgen einer möglichen „Armutszuwanderung“, die sie vor allem durch den verstärkten Zuzug von Roma aus Bulgarien und Rumänien befürchten. Auf die Vorteile der EU-Freizügigkeit verweist hingegen der Wirtschaftswissenschaftler Klaus F. Zimmermann vom Bonner Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA).
Die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit sei eine „gute Chance“ für den deutschen Arbeitsmarkt, so der ehemalige Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Er rechnet wie andere Migrationsexperten damit, dass ab 2014 bis zu 200.000 Neuzuwanderer aus Bulgarien und Rumänien in die Bundesrepublik kommen könnten. Insgesamt seien schon jetzt knapp 170.000 Menschen aus diesen Ländern hier beschäftigt, allein im vergangenen Jahr sollen mehr als 70.000 zugewandert sein. Und: Mehr als 70 Prozent von ihnen zahlten regelmäßig in die Sozialversicherungen ein, so Zimmermann.
Seine Zahlen decken sich mit den Erkenntnissen anderer Migrationsforscher: So hat der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) schon Mitte 2013 ein Jahresgutachten vorgelegt, in dem er die europäische Freizügigkeit als „Erfolgsmodell“ bezeichnete. Von einer Einwanderung in die Sozialsysteme könne keine Rede sein: Das Ausmaß des Sozialhilfebezugs von EU-Staatsangehörigen in Deutschland werde in der öffentlichen Diskussion regelmäßig weit überschätzt, so die Forscher.
Auch eine Studie der Europäischen Kommission, die im Oktober 2013 veröffentlicht wurde, konnte keine überdurchschnittliche Belastung der Sozialkassen durch Einwanderer aus anderen EU-Staaten nachweisen. Und das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Berlin legte im August 2013 einen Kurzbericht vor, in dem es zeigte, wie sehr Deutschland bereits von seinen Zuwanderern aus Bulgarien und Rumänien profitiert habe: zum einen durch deren Beiträge in die Rentenkasse, zum anderen, weil diese den Fachkräftemangel linderten.
Künftig sollte sich Deutschland jedoch besser auf die neuen Zuwanderer einstellen, fordert nicht nur der Ökonom Klaus Zimmermann. Er plädiert für Sprachkurse und Integrations- und Qualifizierungsprogramme, um die Neuankömmlinge gezielt in jenen Städten zu fördern, auf die sie sich erfahrungsgemäß konzentrieren. Zugleich könne ein befürchteter „Sozialtourismus“ durch klare Regeln verhindert werden.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden