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Kann es nicht sein, dass in Rumänien und Bulgarien ,die Schulpflicht der Romas nicht überprüft wird, aus rassistischen Gründen. Weil man sich mit ihnen nicht rumplagen will oder sie einfach ausgrenzen will? Und bei uns die Schulpflicht eher verbindlich gilt und geahndet wird?
“Wer nicht in eine Sozialwohnung darf, baut sich eben eine Papphütte am Bahndamm, und wer kein Hartz IV bekommt, muss betteln oder stehlen […] So schlecht, dass die Armen lieber zu Hause bleiben, können wir die Bedingungen gar nicht gestalten. Zwischen Rumänien und Deutschland liegt kein Mittelmeer, in dem man ertrinken kann.”
Sehen wir ab davon, dass die meisten entrechteten Arbeiter_innen lieber Flaschen sammeln als polizeilich in Erscheinung zu treten, denn der bloße Aufenthalt in Deutschland macht strafbar. Hier spricht der Biodeutsche, der sein Bakfiets nachts nicht in den Hof stellen möchte. “Wie stellen wir den Pöbel ruhig?”
Statt enthusiastisch den Aufstand zu predigen, verlangt die TAZ in zynischer Selbsterkenntnis Bismarcksche Sozialpolitik. So adressiert dieser Artikel auch schamlos ausschließlich deutsche “Leistungsträger_innen”, mit den Beschriebenen zu reden wäre ja eh sinnlos.
“Wer dagegen will, dass sich in Deutschland keine Slumverhältnisse breitmachen, muss für die bessere Alternative erst einmal die Voraussetzungen schaffen. Etwas verlangen kann man nur von einem Menschen, der etwas zu verlieren hat.”
Hurrah. Sozialdemokratische Zuckerbrot-und-Peitsche Politik. “Lasst die Proleten auch etwas besitzen, auf dass sie Besitzängste herausbilden.”
Der heutige Staat ist eine Fiktion. Nur solange auf der Welt “Slumverhältnisse” herrschen, kann Deutschland existieren. Der Angriff auf die Verhältnisse ist ein Angriff auf Deutschland!
“Eine nach unseren Maßstäben vernünftige Ökonomie”
Der gute alte bürgerliche Gleichheitsbegriff: Gleiche Maßstäbe für ungleiche Menschen.
“Man nennt das die Ökonomie der Armut. Sie ist nicht weniger vernünftig als unsere Ökonomie des Sparens und Investierens; nur ist sie eben den Bedingungen des Dauerelends angepasst.”
Also haben “die” doch keine anderen Gene oder Kultur als wir, aber eine andere Ökonomie? Wessen Volkswirtschaft hetzt denn Millionen Menschen quer über den Globus?
“unsere Ökonomie des Sparens und Investierens” - danke für die Entblößung deines neoliberalen Grundverständnis. Das ist der Kern der Öko-Theologie. Anders: Die Ökonomie der Deutschen. Man kann getrost den stalinistischen Vorwurf der “Arbeiteraristokratie” wieder aufwärmen. Solange die deutsche Weltminderheit “spart und investiert” hungert die Weltmehrheit.
“Deshalb hat es auch keinen Sinn, sich den Bewohnern von Elendsvierteln in volkserzieherischer Absicht zu nähern.”
Das deutsche “Staatsvolk”, das sich wenn auch nicht emotional, stets ökonomisch mit seinen Herrscher_innen identifiziert, braucht eher eine “sehr rauhe Erziehung” durch die anderen Völker. Wir brauchen uns den Unterdrückten nicht nähern. Die einzige Hoffnung für eine Zukunft ist, dass sie unsere Paläste niederbrennen.
“Eine ganze Generation hat die Erfahrung gemacht, dass Bildung es eben nicht bringt […] aber der Nachbarsjunge, der die Schule abgebrochen hat, um finsteren Geschäften nachzugehen, fährt heute mit einem Porsche Cayenne durchs Viertel ”
Schulbildung hat noch nie was gebracht. Sie ist Sammlerstück der Mittelschicht, Ausdruck des sozialen Aufstiegs, nicht seine Ursache. Danke, dass sie nun ganz Bulgarien als kriminell stigmatisieren. Wer baut denn Porsches?
Mein Eindruck ist das die Hetze gegen die "Armutsmigranten" einzig dazu dient weitere Einschnitte in den Wohlfahrtsstaat zu rechtfertigen. Die Streikhäufigkeit hat seit Hartz 4 deutlich abgenommen und die Kapitaleigner haben sehr erfolgreich die Staatslast auf Lohnsteuer und Verbrauchssteuern abgewälzt, während die Körperschaftssteuer und Ertragssteuern zurückgegangen sind. Die "Armutsmigration" wird meiner Ansicht nach absichtlich von den Regierungen verursacht. Es hilft uns nicht für Mitleid zu werben - stattdessen sollten wir das Streikrecht für EU Ausländer ausweiten: jeder Streiktag kostet die Arbeitgeberseite eine bestimmte Summe. Eine Streikserie sollte die Armutslöhne an die Tariflöhne anpassen.
"Mein Eindruck ist das die Hetze gegen die "Armutsmigranten" einzig dazu dient weitere Einschnitte in den Wohlfahrtsstaat zu rechtfertigen."
So ist es, bzw., so werden die Sündenböcke dafür konstruiert - Stück für Stück gehen die Geschenke auf Zeit (des "Wirtschaftswunders" mit den "sozialen Errungenschaften") wieder zurück in die Taschen derer, die über den "Kalten Krieg" auch noch Sonstiges mit "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei" gewinnen wollen!
Wenn man älter als 50 ist, hat man am Arbeitsmarkt kaum noch Chancen, oder man bekommt einen Job, wo man 11 bis 12 Stunden am Tag arbeiten muss und nicht mal 1.000 € verdient. Hinzu kommt die Masche mancher Firmen, das sie nur Zeitverträge machen, (Übernahme nicht vorgesehen im Vertrag), bevor die Probezeit von 6 Monaten vorbei ist, werden die Leute schnell gekündigt. Mein Süßer hat den Fehler gemacht sich wegen Mobbing der Kollegen zu beschweren, doch auch all die Leute, die mit ihm im gleichen Zeitraum eingestellt hat, wurden alle gefeuert, keiner weis warum.
Es mag vieles stimmen, was hier geschrieben wurde. Aber dem deutschen Wahlvolk ist diese Sichtweise nicht zu vermitteln. Weil es dann eben heißt, warum müssen wir als "Sozialamt Europas" einspringen. Also verfallen CSU-Politiker in einen Vorzeige-Aktionismus. "Wir tun was dagegen." Es ist genauso verlogen wie der Einbürgerungstest, der m.E. nur deshalb eingeführtwurde, um dem einheimischeen Pöbel zu zeigen "Wir lassen hier nicht jeden rein". In Wirklichkeit sind die Fragen so, dass da kaum jemand durchfällt. Ich habe den Test mitgemacht, ohne jegliche Vorbereitung, mit 33 von 33 Fragen bestanden. Und selbst Leute, die einen wenig schlauen Eindruck machten, brachten es auf 17-18 richtige Antowrten, was bereits reichte. Und genauso eine Symbol-Vorzeige-Geschichte ist es hier: Poltern um zu zeigen: Wir retten Deutschland!
Das ist wirklich zutreffend: (Formale) Bildung allein ist eben kein Allheilmittel, wenn es auch noch so oft verkündet wird. Siehe dazu Martin Luther King http://www.livableincome.org/aMLK-deutsch.htm
Und es braucht eine sichere materielle Basis für alle Menschen, damit sie überhaupt etwas aus sich und ihrem Leben machen können. Und zwar am besten diskriminierungsfrei, dazu eine aktuelle Avaaz-Petition: https://secure.avaaz.org/en/petition/our_chance_to_end_poverty/?tEvBvab
"So schlecht, dass die Armen lieber zu Hause bleiben, können wir die Bedingungen gar nicht gestalten."
Was sagen denn die "Ökonomen des BGE" dazu??? :-)
Ob Zuwanderer Willens sind zu arbeiten oder nicht, spielt keine Rolle. Es zählt ob sie am Ende im Sozialsystem landen oder nicht.
Ein wirklich sehr gelungener und realitätsnaher Artikel, der die ganze Roma-Diskussion/ Integrationsdebatte differenziert darstellt! Danke!
der beste artikel seit langem, danke dafür! nicht nur de muss umdenken, die ganze weltbevölkerung muss aufwachen. KEIN MENSCH IST ILLEGAL
Sehr guter Artikel! Das bringt wirklich einmal neue Argumente in die Debatte!
Im Übrigen wundert mich immer, wieso in der Diskussion um die Roma die Verfolgung der Roma in der NS-Zeit praktisch überhaupt keine Rolle spielt. Vielleicht wäre das auch einmal ein Thema für einen Artikel?
Für die Roma hätte man eben bei den Beitrittsverhandlungen zur EU bereits einen Hilfsplan zur Lebensverbesserung in ihren Herkunftsländern erstellen sollen. Die hat man wohl einfach vergessen. Aber man könnte diesen Hilfsplan immer noch erstellen. Aber vielleicht besteht der Plan einfach nur in einer Art Vertreibung aus Deutschland. Deutschland hat sich wirklich gewandelt, seit dem Dritten Reich.
Ein kluger und nachdenklich machender Artikel jenseits Hysterie einerseits und Schönfärberei andererseits. Danke dafür.
Und wieviele Menschen wurden in Afrika besonders im Kongo ermordet, Millionen waren es die von den Kolonialherren ermordet wurden. Dennoch dürfen sie hier nicht bleiben, nur weil sie nicht zur EU gehören.
Die Armut in den ehemaligen Kolonien ist erheblich und immer noch wird Afrika ausgeplündert, nur mit diesen Menschen hat man kein Mitgefühl. Dabei sind das Menschen die absolut nicht vom Sozialstaat abhängig sein wollen, werden aber auch die verschwindend wenigen Afrikaner als Sozialschmarotzer stigmatisiert. Wer schreibt über deren Elend in deren Heimatländern oder wie sie hier leben (müssen)??
Es ist eine etwas dümmliche Lüge, dass Bildung hier in der BRD mehr bringen würde als in ärmeren Staaten. Es gibt ausreichend arbeitslose Akademiker, die das 50.Lebensjahr hinter sich haben, von den Massen an ausgebildeten Fachkräften in diesem Alter ganz zu schweigen (die werden schon ein paar Jahre früher abgeschrieben, mit Mitte 40 ungefähr).
Die Propagandamaschine funktioniert hier besser und jeder weiß, dass ihm die Bildung ein zumindest ausreichendes Einkommen für ein, zwei Jahrzehnte einbringen wird.
Wenn dies abgelaufen ist, wird es keinerlei Förderungen mehr geben. Ein 50jähriger, der nochmal die Schulbank drücken will? Da interessiert sich kein Arbeitgeber für, kein Jobcenter fördert das. Nach einem Jahr ALG I weiß auch der aus der BRD stammende Arbeitnehmer, dass er nur noch hoffen kann aus einer einigermaßen reichen Familie zu stammen oder einen wirklich intakten Freundeskreis zu besitzen (altersmäßig gemischt, denn anderen ab 45 geht es ja kaum anders), um mit Hartz überleben zu können. Die Propaganda, dass Bildung was bringen würde, kann imo kaum belegt werden, wenn man sich die älteren Arbeitnehmer anschaut (Älter ist in der BRD eben ab 40.)
"Es ist ein breiter Konsens, der sich nach einer Reihe von Provokationen aus der CSU herausgebildet hat."
Wo ist dieser Konsens? In den Redaktionen der taz, SPON, ARD, ZDF, SZ und den folgenden kleineren alten Medien? Bei den Altparteien bei denen inzwischen auch die CSU "gegen Rechts" käpft? Ja, da gibt es diesen Konsens. Ob es ihn bei den Bürgern gibt kann man nicht wissen, da man sie nie fragte und nicht fragen will. Sie könnten ja nicht mitmachen beim Konsens. Wer Sätze wie "Niemand kommt nach Deutschland, um sich in eine ominöse soziale Hängematte zu legen" als allgemeingültig und die reine, einzig erlaubte Realität ansieht, der wird kaum eine Mehrheit in Deutschland bekommen. Sofern jemand antritt, der das Gegenteil behauptet, es mit seiner Realität abgleicht und gewählt werden kann. Es ist natürlich auch "Konsens", daß es so jemanden nicht geben darf aber das ist es auch in Frankreich wo der Front National gerade durchmarschiert. Da schmilzt jetzt der "Konsens" wie Eis im August. Artikel wie diesen gibt es dort auch aber sie klingen dort wie Durchhalteparolen der Götterdämmerung. Spätestens wenn die Realität auch den Alltag außerhalb der Wohngegend der ärmeren Leute erreicht, ist es zu spät für Korrekturen. Die taz hat zu dem Thema inzwischen weniger Leser als größere Blogs oder youtubebeiträge. Dort klingt der Konsens anders.
"Es ist natürlich auch "Konsens", daß es so jemanden nicht geben darf aber das ist es auch in Frankreich wo der Front National gerade durchmarschiert."
Aha, 5% der Stimmen und 2 (in Worten:ZWEI) von 577 Sitzen nach der letzen Wahl im Novemeber 2012 zur Nationalversammlung sind also ein "Durchmarsch"???
Dann möchte ich nicht wissen, wie da die Verlierer aussehen. Das dauernde Gequatsche von angeblich rechten Siegern in den anderen europäischen Parlamenten soll in der BRD verbreitet werden, damit diejenigen, die ein linkes Weltbild haben und sich noch eine EU wünschen, die für die Menschen in Europa nützlich ist, Angst bekommen sollen und weiter die Freunde der kapitalistischen Internationalen, also der EU, weiter wählen. Hier in der BRD also: CDUCSUSPDFDPGRÜNE und wohl bald auch noch DIELINKE. (Mitsamt der AfD sowieso. Die hat kein einziges Konzept, wie es den Menschen in Europa besser gehen könnte mit dieser EU.)
Gefasel.
Autofahrer:innen stellen ein Viertel aller Verurteilten in Deutschland. Doch vielen fehlt Bewusstsein für ihre Taten.
Essay zur Zuwanderung aus Osteuropa: Die Ökonomie der Armut
Von „Einwanderung in die Sozialsysteme“ kann keine Rede sein. Die Überlebensstrategien orientieren sich schlicht am realen Dauerelend.
Das „Problemhaus“ genannte Haus in Duisburg. Hier wohnen Zuwanderer aus Osteuropa Bild: dpa
Ja, wir wollen Zuwanderung. Nein, wir haben nichts gegen Ausländer und auch nichts gegen Roma, die schließlich Opfer eines Völkermords waren und mancherorts bis heute verfolgt werden. Wir brauchen Fachkräfte, und deren Herkunft ist uns egal. Was wir dagegen nicht wollen, ist eine Einwanderung in unsere Sozialsysteme.
Es ist ein breiter Konsens, der sich nach einer Reihe von Provokationen aus der CSU herausgebildet hat. Bloß: „Einwanderung in die Sozialsysteme“ ist schon an sich ein tendenziöses Schema, das die wirklichen Verhältnisse schlecht beschreibt.
Niemand kommt nach Deutschland, um sich in eine ominöse soziale Hängematte zu legen. Es kann auch niemand, selbst unter rumänischen Roma nicht, Berlin-Neukölln, Dortmund-Nord oder Duisburg-Marxloh mit dem Schlaraffenland verwechseln, das die Armutszuwanderer angeblich so anzieht. Die Motive für die Zuwanderung sind andere. Hätte jemand genauer hingesehen, hätte die Debatte einen anderen Verlauf genommen.
Die erste größere Gruppe derer, von denen nun ständig die Rede ist, wurde im Dortmunder Norden gesichtet. Anfangs waren es Frauen aus Stolipinowo, einem Elendsviertel im bulgarischen Plowdiw, die sich prostituierten. In Stolipinowo wird vorwiegend Türkisch gesprochen, in Dortmund-Nord auch – das traf sich gut.
Puzzleartige Existenz
Später holten die Frauen ihre Familien nach; die Männer gingen auf den sogenannten Arbeiterstrich oder begannen, Metall zu sammeln. Dass sie Anspruch auf Kindergeld hatten, wussten die Zuwanderer gar nicht. Folglich bekamen sie auch keines. Erst allmählich hat sich herumgesprochen, dass es Ansprüche auf Sozialleistungen gibt.
Wer in einem südosteuropäischen Elendsviertel lebt und dort großgeworden ist, verhält sich so, wie es Slumbewohner überall aus guten Gründen tun: Er setzt sich seine Existenz puzzleartig zusammen. Man verrichtet Gelegenheitsjobs, sammelt Eisen oder Flaschen, treibt ein wenig Handel, beantragt Transferleistungen, wenn es so etwas gibt. Reicht das nicht, kommen Betteln, Prostitution und kleine Diebereien hinzu.
taz am Wochenende
Daniel Suarez hat in seinen Science-Fiction-Romanen prophezeit, was heute alle wissen: Die Überwachung im Netz ist total. Der Autor und Hacker hat sich ein neues Internet ausgedacht. Wie das aussieht, erklärt er im Interview in der taz.am wochenende vom 18./19. Januar 2014 . Darin außerdem: Eine Hommage an den 100. Geburtstag von Arno Schmidt, eine Geschichte von einem traumatisierten Soldaten, der gegen die Geister des Krieges kämpft und eine Reportage über die Tram Linie 1 in Jerusalem, die die gespaltene Stadt dennoch verbindet. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Das Grundgesetz des Überlebens im Slum lautet: Nie alles auf eine Karte setzen! Ein Arbeitsplatz, eine Lohnersatzleistung – das sind flüchtige Versprechen. Man nimmt sie mit, wenn man kann. Aber es wäre zu gefährlich, deswegen den Wohnort zu wechseln. Der Job oder die Leistung sind schnell weg, und dann steht man wieder vor dem Nichts. Es gilt: Nie das Netzwerk aufgeben, nie sich vereinzeln lassen! Wenn es ernst wird, hilft kein Staat und kein Arbeitgeber, nur die Familie tut es und vielleicht die engsten Freunde.
Die Logik der Armut wird nicht verstanden, auch in Osteuropa nicht. Überall hört man dort immer wieder die traurige Geschichte von dem begabten Roma-Jungen, dem wir alle helfen wollten, dem wir schließlich sogar unter erheblichen Mühen einen Arbeitsplatz beschafft haben – und der dann schon eine Woche später unentschuldigt der Arbeit fernblieb, weil er dem Onkel bei der Reparatur seiner Hütte zur Hand gehen musste. Die Interpretation der Geschichte ist dann meistens, dass sich da das „Ewigzigeunerische“ durchgeschlagen habe. Dabei hat der Junge in der Geschichte nur vernünftig gehandelt. Der Job kann schnell wieder weg sein. Der Onkel bleibt.
Man nennt das die Ökonomie der Armut. Sie ist nicht weniger vernünftig als unsere Ökonomie des Sparens und Investierens; nur ist sie eben den Bedingungen des Dauerelends angepasst. Deshalb hat es auch keinen Sinn, sich den Bewohnern von Elendsvierteln in volkserzieherischer Absicht zu nähern. Sie wissen besser als wir, was ihnen nützt.
Bildung ist nicht der Schlüssel
Bildung, Bildung, Bildung, pflegen wohlmeinende Politiker zu sagen, wenn sie einen Ausweg aus der Misere weisen sollen. Bildung sei der Schlüssel, heißt es in den einschlägigen Papieren der EU-Kommission, des Europaparlaments und des Europarats. An der Botschaft ist natürlich nichts auszusetzen – außer, dass sie nicht stimmt.
Bildung ist nicht der Schlüssel, oder wenigstens nicht dort, wo die Armutszuwanderer herkommen. Überall in Ost- und Südosteuropa ist der Zusammenhang zwischen Bildung und gutem Leben zerrissen, und zwar für alle, nicht nur für Roma. Eine ganze Generation hat die Erfahrung gemacht, dass Bildung es eben nicht bringt. Sie haben es an ihren Eltern gesehen. Der Vater war Ingenieur, die Mutter Russischlehrerin. Heute geht die Mutter putzen, und der Vater säuft – aber der Nachbarsjunge, der die Schule abgebrochen hat, um finsteren Geschäften nachzugehen, fährt heute mit einem Porsche Cayenne durchs Viertel.
Erst wenn die Verhältnisse sich ändern, ändert sich auch die Einstellung zur Bildung. Eine Studie der Soros-Stiftung unter Roma in Italien und Spanien auf der einen und in Rumänien und Bulgarien auf der anderen Seite hat gezeigt, dass die Bereitschaft, die Kinder zur Schule zu schicken, in den Aufnahmeländern deutlich höher ist als in den Herkunftsländern, und zwar bei denselben Familien.
It’s the economy, stupid: Wo Bildung etwas bringt, wird sie prompt nachgefragt. Manche Armutszuwanderer stellen mit ihrem Integrationsfleiß und ihrem Bildungshunger die Behörden in den Aufnahmeländern schon so vor Probleme.
Für die weitere Debatte über Armutszuwanderung, wenn sie denn ehrlich wäre und nicht bloß Instinkte wach kitzeln soll, gilt zweierlei. Erstens: Du sollst die Armutswanderung nicht verhindern wollen. Zweitens: Wer der Misere abhelfen will, muss die Grundbedürfnisse der Betroffenen erfüllen, und zwar bedingungslos und ohne volkspädagogische Absicht.
Wer meint, er könne die Bewohner südosteuropäischer Elendsviertel durch Versagung von Sozialleistungen von der Emigration abhalten, kriegt exakt das, was er vermeiden möchte: Slums, Probleme, Kriminalität. Wer nicht in eine Sozialwohnung darf, baut sich eben eine Papphütte am Bahndamm, und wer kein Hartz IV bekommt, muss betteln oder stehlen.
So schlecht, dass die Armen lieber zu Hause bleiben, können wir die Bedingungen gar nicht gestalten. Auch das berühmte „Schließen der Grenzen“ wird nicht funktionieren. Zwischen Rumänien und Deutschland liegt kein Mittelmeer, in dem man ertrinken kann. Wer die Grenzen schließt, kriegt eine Schlepperindustrie, und wer den Zuwanderern das Freizügigkeitsrecht entzieht, bekommt die gleiche Zahl an Illegalen. Die forcierte Abschiebung von Roma aus dem Kosovo seit 2008 hat es gezeigt. Alle die lange hier gelebt haben, hier ihre Verwandten und Freunde haben, sind wieder zurückgekommen. So oder so.
Menschenwürdige Behandlung
Wer dagegen will, dass sich in Deutschland keine Slumverhältnisse breitmachen, muss für die bessere Alternative erst einmal die Voraussetzungen schaffen. Etwas verlangen kann man nur von einem Menschen, der etwas zu verlieren hat. Eine nach unseren Maßstäben vernünftige Ökonomie seines Lebens kann nur entwickeln, wer sicher sein darf, dass es morgen noch genug zu essen gibt, dass er nicht nächste Woche auf der Straße steht oder festgenommen und irgendwo hingeflogen wird.
Das heißt nicht, dass Deutschland „das Sozialamt der ganzen Welt“ werden muss. Es muss aber auch in seinem eigenen Interesse die Menschen, die hier leben, menschenwürdig behandeln. Dass dann „alle kommen“, ist bloß Propaganda – ebenso wie die Rede von den „ganzen Landstrichen“, die schon „entvölkert“ seien, weil alle jetzt im Ruhrgebiet leben würden. Die Ärmsten der Armen, die in Rumänien überwiegend auf dem Lande leben, migrieren so gut wie überhaupt nicht.
Glauben wir weiterhin, die Zuwanderer kämen wegen unserer tollen Willkommenskultur, weil wir netter zu ihnen wären als alle die angeblich finsteren Osteuropäer, und bilden wir uns ein, wir müssten ihnen zeigen, wie man die Kühe melkt, so werden wir an ihnen scheitern.
Irgendwann wird es dann wieder heißen: Sie sind nicht integrierbar. Wir haben ja alles versucht. Und dann werden wir auch wieder lernen, die Roma zu hassen.
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Kommentar von
Norbert Mappes-Niediek
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