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Zum Tod von Esther Bejarano„Wir dürfen nicht schweigen!“

Die Holocaust-Überlebende und Anti-Rechts-Aktivistin Esther Bejarano ist am Samstag im Alter von 96 Jahren gestorben. Ein persönlicher Nachruf.

Bis zuletzt wurde sie nicht müde, ihre Stimme gegen rechts zu erheben: Esther Bejarano Foto: dpa

Auf den Tag genau sechs Wochen ist es her, dass wir Esther Bejarano bei uns auf dem Gutshof Neuendorf im Sande gemeinsam mit der Band Microphone Mafia zu Gast hatten. Es war ihr letztes Konzert. Am 10. Juli 2021 ist sie gestorben.

Mit Neuendorf, einem ehemaligen jüdischen Landwerk bei Fürstenwalde im Osten Brandenburgs, verband sie eine besondere Geschichte. 1941 war Esther Bejarano als 16-Jährige auf dem Gutshof Neuendorf interniert worden. Sie musste in einem Blumenladen in Fürstenwalde Zwangsarbeit leisten, bis sie im April 1943 mit anderen jüdischen Jugendlichen von Neuendorf aus zunächst nach Berlin in die Große Hamburger Straße und von dort aus mit dem „37. Osttransport“ in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurde.

Bei ihrem Besuch teilte sie mit uns ihre Erinnerungen an diese Zeit. Daran, dass sie mit den anderen Mädchen im ehemaligen sogenannten Schloss des Gutshofes untergebracht war, an die harte Arbeit, an die Unterdrückung durch die SS, an die beschwerlichen Momente auf dem Hof und nach ihrer Deportation. „Als wir im Konzentrationslager waren, haben sich einige Freundinnen von mir das Leben genommen: Sie sind in den Stacheldraht gegangen, der elektrisch geladen war. Das hätte ich niemals gemacht.“

In Auschwitz-Birkenau war Bejarano Teil des Mädchenorchesters. Im Auftrag der SS musste die polnische Violinistin Zofia Czajkowska im Frühjahr 1943 eine Musikgruppe zusammenstellen und war auf der Suche nach einer Akkordeonspielerin. Eigentlich spielte Bejarano Klavier. Doch sie wusste, sie musste weg von der schweren Arbeit, vom Steinbrocken schleppen, um „nicht zu Grunde zu gehen“. Also meldete sie sich bei Czajkowska und spielte mit dem damals beliebten Schlager „Du hast Glück bei den Frau'n, Bel Ami“ aus dem Musikfilm „Bel Ami“ des Wiener Regisseurs Willi Forst auf.

Auch dieses Lied interpretierte sie bei ihrem Auftritt in Neuendorf. Der Schlager steht für ihr Überleben in Auschwitz und gleichermaßen für den Horror des Naziregimes. Die Musik begleitete den Weg der Mitgefangenen zur Arbeit und ins Lager zurück. Und es wurde aufgespielt, wenn die Todeszüge zu den Gaskammern fuhren. „Das ist das Schlimmste, was ich erlebt habe in Auschwitz. Ich meine, ich habe ganz schreckliche Dinge gesehen, aber das ist, was mich am meisten bewegt und über die Jahre gequält hat, und das ist bis heute so geblieben“, schreibt sie in ihren „Erinnerungen“. Esther überlebte Auschwitz und Ravensbrück und konnte auf einem der Todesmärsche schließlich fliehen, gemeinsam mit einigen Freundinnen aus der Zeit in Neuendorf.

1945 wanderte Bejarano nach Palästina aus. Aber vor allem ihr Mann Nissim drängte darauf, wieder nach Deutschland zurückzukehren. 1960 verließ die Familie mit den beiden Kindern Edna und Joram Israel und zog nach Hamburg.

Für den 8. Mai als Feiertag

Esther Bejarano gab uns mahnende Worte mit auf den Weg. „Wenn die Regierung nichts gegen die Nazis tut, dann müssen wir das tun. Wir dürfen nicht schweigen!“ Diese Worte hallen weit über ihren Besuch bei uns nach. Gerade in Zeiten, in denen rechtsextremes Gedankengut und antisemitische Angriffe nahezu salonfähig geworden sind. „Wir überleben trotzdem. Wir sind da!“ sagte Esther Bejarano während ihres Konzerts in Neuendorf.

Bei all ihren Auftritten zog sie immer wieder Analogien zur AfD, zum rechten Terror, zu den Verbrechen des NSU. Sie trat auf etlichen Demonstrationen, Gedenkveranstaltungen, in Schulen auf und wurde nicht müde, ihre Stimme gegen rechts zu erheben. „Ich habe mich daran gewöhnt, dass die Menschen von mir wissen wollen, was damals geschehen ist. Und ich sehe darin auch einen Sinn. Ich mache es nicht, weil ich meine Geschichte erzählen will, sondern damit diese Geschichte nie wieder passiert.“ Ihre Botschaft ist auch für uns ein Auftrag.

Sie war Vorsitzende des Auschwitz-Komitees in der BRD e.V. und Ehrenpräsidentin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten. 2020 forderte sie die Bundesregierung auf, den 8. Mai, den Tag der Befreiung vom Naziterror, zum Feiertag zu erklären. In Berlin wurde dieser Wunsch zum 75. Jahrestag einmalig umgesetzt. Bundesweit nicht.

96 Jahre alt wurde Esther Bejarano. Ein unglaubliches Alter. Als sie nach mehr als sieben Stunden Autofahrt in Neuendorf im Sande eintraf, wollte sie nichts weiter als auf die Bühne, zu ihrem Publikum. Ein Paar Tassen Schwarztee, eine Wärmflasche und eine Decke gegen das unwirtliche Wetter an diesem kühlen Tag Ende Mai – mehr brauchte sie nicht. Fast zwei Stunden lang begeisterte sie uns mit ihren Erzählungen, ihrer Geschichte, ihrer Musik. Uns Erwachsene wie unsere Kinder. „Ich muss was bewirken, und wenn ich es mit meiner Musik tun kann, das macht mich glücklich“, beschrieb Bejarano ihren Antrieb, auch im hohen Alter noch auf der Bühne zu stehen. „Für mich ist das wie eine Therapie.“

Auf Esther Bejaranos Auftritt in Neuendorf haben wir lange gewartet. Als sie zum Abschluss des Tages mit uns in unserem Gemeinschaftsraum zu Abend aß, haben wir noch abgemacht, dass wir uns auf jeden Fall wiedersehen. „Wenn es euch mit mir so gut gefallen hat, dann komme ich nächstes Jahr wieder“, sagte sie. Daraus wird nun nichts.

Wir haben eine Frau kennengelernt, die eine unfassbare Kraft und Stärke ausstrahlte, einen Menschen, der nie ans Aufgeben dachte, sondern nur ans Überleben, ans Weitermachen. Wir sind sehr traurig. Wir werden sie nie vergessen.

Tanja Tricarico ist Vorstand des Vereins Geschichte hat Zukunft – Neuendorf im Sande e.V.

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17 Kommentare

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  • Danke Esther! Danke Danke Danke!

    Jetzt ist es endgültig an uns.

  • Eigentlich ist zu dieser grossartigen Frau bereits alles gesagt.



    DANKE, Esther Bejarano!

  • "Wir dürfen nicht schweigen..." und dann schweigt die TAZ und fast alle anderen in der deu-Medienlandschaft darüber, dass der Schwerpunkt in Esther Bejaranos Leben war der Einsatz für Menschenrechte für Palästinenser, und die Unterstutzung für BDS - Boykott, Sanktionen, + Deinvestment gegen Israels Apartheid-Regierung.

  • Danke für diesen Artikel!

  • 8G
    82289 (Profil gelöscht)

    Esther Bejarano war immer gegen den Zionismus und gegen die Antideutschen, sie hielt die Unterstützung der BDS-Bewegung für berechtigt und notwendig. Bejarano sagte in einem Interview: "Ich möchte sagen: ich war schon immer gegen die unmenschliche Politik gegenüber den Palästinensern und gegen den Krieg gegen sie Und wenn ich das sage, werde ich des Antisemitismus beschuldigt."

  • Wieder eine Zeitzeugin weniger, die uns Jüngeren (Nachkriegsgeborene) das



    NIE WIEDER



    überzeugend, und aus selbst gelebter Erfahrung, in dieser "Einzelfallrepublik" nahe gebracht hat.



    Bon voyage



    PS.: Augen und Ohren offen halten. Unterstützung an VVN-BdA!

  • Wir haben dich gehört und wir kämpfen weiter!



    Nie wieder!

    Rest in Power

  • Soviel Kraft.



    Soviel Mut.



    Soviel Kampf.

    Ich verneige mich.

  • Liebe Esther



    mag sein das deine Stimme auf ewig verstummt ist - deine mahnenden Worte, dein Engagement, dein Lebenswerk werden niemals sterben. Wir schwören Dir niemals zu schweigen. Dankeschön das wir Dich erleben durften.

  • "Wir dürfen nicht schweigen!"



    Wir schweigen viel zu oft!



    Zum Beispiel, wenn Ultrarechte-Aufmärsche, getarnt als Demos, von Richtern legitimiert, in Knobelbechern und Plakaten und T-shirt in Schriftart Tannenberg (die Schriftart der Nazis) durch die Straßen ziehen und in ihren Parolen Hass predigen und Spaltung betreiben.



    Wir schweigen viel zu oft!

  • Ich danke ihr für alles



    für die unerschöpfliche Motivation.



    Der 8. Mai sollte ein Feiertag sein.

  • Du wirst uns fehlen, Esther.

  • .. „Es ist was ganz anderes als Geschichtsunterricht, wenn man sich wirklich vorstellt, dass diese Frau die Hölle durchgemacht hat.“..

    Gute Reise Esther Bejarano

    • @Ringelnatz1:

      Stimmt, diese Erfahrungswerte aus erster Hand werden fehlen. Und ich wünsche mir, dass Geschichts- und (!) Deutschunterricht an Schulen sich künftig mit lokalen/regionalen Opfern beschäftigen, einzelne Menschen und ihre Wege herausarbeiten.

      Ich hatte das Glück, bereits in den Neunzigern auf diese Weise in der Schule zu den Zahlen auch Gesichter und Geschichten, u.a. Ralph Giordano, kennenzulernen.

      Ruhe in Frieden, Esther Bejarano!

    • @Ringelnatz1:

      Ich schließe mich an.

      "Die amerikanischen und die russischen Soldaten fielen sich daraufhin in die Arme. Das war wunderbar! Ein russischer Soldat hat dann ein großes Bild von Hitler aus einem Laden geholt und es auf den Marktplatz gestellt. Gemeinsam mit einem amerikanischen Soldaten hat er es angezündet. Das hat ungeheuerlich gebrannt. Alle tanzten um das brennende Bild herum. Ich stand mit meinem Akkordeon daneben und habe Musik gespielt. "

      Esther Bejarano in einem Interview.

      • @Jim Hawkins:

        Esther Bejarano hält die Unterstützung der BDS -Bewegung für berechtigt und notwendig.

        Esther Bejaranoin einem Interview:

        „Ich möchte sagen: ich war schon immer gegen die unmenschliche Politik gegenüber den Palästinensern und gegen den Krieg gegen sie ... Und wenn ich das sage, werde ich des Antisemitismus beschuldigt."

        Zum Kampf der Bewohner des Gaza-Streifens sagt sie:

        „Ich bin der Meinung, die Palästinenser haben das Recht, sich gegen das, was Israel ihnen antut, zur Wehr zu setzen. Das ist völlig berechtigt. Sollen wir zulassen, dass sie von den Israelis umgebracht werden? Es wird gesagt, die Hamas habe Israel mit Raketen beschossen, deswegen trüge sie die Verantwortung für den Krieg. Ja, wer hat denn den Krieg begonnen? Das waren nicht die Palästinenser!“

        • @Ninetto:

          Jede und jeder hat das Recht auf der Irrtum.

          Kochen Sie Ihre Suppe woanders.