Zum Tod von Burkhard Hirsch: Ein unbeugsamer Liberaler
Der frühere Bundestagsvizepräsident ist im Alter von 89 Jahren gestorben. Sein Kampf für Freiheitsrechte war eine Lehre aus der NS-Zeit.
Die letzte Begegnung liegt schon etwas zurück. Es war eine kurze Unterhaltung am Rande der Bundesversammlung Anfang 2017 in Berlin. Gerade war Frank-Walter Steinmeier zum neuen Bundespräsidenten gewählt worden. Was auf Burkhard Hirschs Zustimmung traf. Gerade jetzt sei eine „Stimme der Vernunft“ wichtig, sagte der Altliberale der taz. Denn da seien „in letzter Zeit Geister aufgestiegen, von denen ich glaubte, dass ich mich nie wieder mit ihnen auseinandersetzen müsste“.
Diese Geister haben Hirsch ein Leben lang umgetrieben. Denn die Zeit des Nationalsozialismus hatte den drei Jahre vor der Machtübergabe an die NSDAP in Magdeburg Geborenen tief geprägt. Aufgewachsen in Halle an der Saale war Hirsch als kleiner Junge dem „Jungvolk“ der Hitlerjugend beigetreten worden, wie er es formulierte.
„Zu Hause wurde über Politik nicht gesprochen, nicht einmal, als ich als ‚Pimpf‘ in dieser merkwürdigen Uniform auf der Straße fast mit einer alten Frau zusammenstieß, die sich vor mir Kind ängstlich zur Seite drückte und einen großen gelben Stern am Mantel hatte“, erinnerte er sich noch Jahrzehnte später beschämt. „Ich würde sie noch heute erkennen.“
Nie wieder! – Das war für Hirsch eine unverrückbare Lehre, die ihn äußerst sensibel machte für jedweden Versuch, Grund- und Freiheitsrechte einzuschränken.
Seit 1949 FDP-Mitglied
Mit 18 Jahren trat Hirsch im Juli 1948 der Liberal-Demokratischen Partei bei, der nach Kriegsende neugegründeten liberalen Partei in der Sowjetischen Besatzungszone. Kein Jahr später siedelte er nach Westdeutschland über. Im Mai 1949 schloss sich Hirsch in Marburg der FDP an.
„Ich fand mich in einer Welt wieder, die mir völlig fremd war“, konstatierte er in einem im vergangenen Jahr veröffentlichten Buchbeitrag. Denn die Gesellschaft habe über alle sozialen Grenzen hinweg die Ablehnung jeder Abrechnung mit der Vergangenheit geeint – „sie hätte ja zu unangenehmen Einsichten geführt“. Stattdessen habe man „Persilscheine“ produziert, „die größte Lügensammlung der deutschen Geschichte“.
Hirschs politische Karriere begann mit seinem Umzug nach Düsseldorf Mitte der 1950er Jahre. Der Jurastudent engagierte sich in den Jungdemokraten, der damaligen Jugendorganisation der FDP, wo er auch den zwei Jahre jüngeren Kölner Gerhart Baum kennenlernte. „Die gemeinsamen Ziele, für die wir mit vielen Umwegen, auch internen Differenzen kämpften, waren gleichlautend und haben mich über Jahrzehnte bewegt“, so Hirsch. Zu ihrem Bürgerrechtsliberalismus zählte dabei stets auch der Kampf „gegen Alt-Nazis, Reaktionäre und Erzkonservative bei uns und in den ‚bürgerlichen‘ Parteien“.
1964 zog Hirsch für die FDP in den Düsseldorfer Stadtrat ein. 1972 wurde er erstmals Mitglied des Bundestags. 1975 ernannte ihn der sozialdemokratische Ministerpräsident Heinz Kühn zum Innenminister in Nordrhein-Westfalen.
Nachdem die FDP 1980 den Wiedereinzug in den Landtag verpasst hatte, kehrte Hirsch zurück in den Bundestag. In der FDP-Fraktion war er zusammen mit Baum, Hildegard Hamm-Brücher, Ingrid Matthäus-Maier und Helga Schuchardt einer der führenden Vertreter des sozialliberalen Flügels, der vehement, aber vergeblich gegen den Koalitionswechsel 1982 von der SPD hin zur CDU ankämpfte.
Während Matthäus-Maier und Schuchardt mit vielen weiteren Linksliberalen die Partei danach verließen, blieb Hirsch. Trotz alledem und mit der Faust in der Tasche.
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerden
Bis 1998 gehörte Hirsch dem Bundestag an, zuletzt als Vizepräsident. Eine seiner letzten parlamentarischen Aktivitäten: Als einziger FDP-Abgeordneter stimmte er am 16. Oktober 1998 gegen die Beteiligung der Bundeswehr am völkerrechtswidrigen Jugoslawien-Krieg.
Seine größten politischen Erfolge feierte Hirsch nach dem Ausscheiden aus dem Parlament. So war er an der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde gegen das „Luftsicherheitsgesetz“ von Rot-Grün beteiligt, das im Fall einer Flugzeugentführung durch Terroristen den militärischen Abschuss erlaubt und damit die Tötung Unschuldiger in Kauf genommen hätte.
Ebenso erfolgreich ging er gemeinsam mit Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vor dem Bundesverfassungsgericht gegen Teile des sogenannten Großen Lauschangriffs von Schwarz-Rot vor. Den Staatstrojaner im NRW-Polizeigesetz brachte Hirsch ebenso mit zu Fall wie die uneingeschränkte Vorratsdatenspeicherung.
Burkhard Hirsch war ein Individualist, bisweilen knorrig und nicht immer einfach. Vor allem jedoch war er ein aufrechter, unbeugsamer Liberaler. Am Mittwoch ist er im Alter von 89 Jahren in Düsseldorf verstorben.
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