Zum Tod des Skandalkardinals George Pell: „Pell goes to hell“
Kardinal George Pell, einst Nummer drei im Vatikan, ist tot. Der Australier war wegen Kindesmissbrauchs verurteilt, später aber freigesprochen worden.
Kardinal Pell sei „atemberaubend arrogant“, „gefühllos“ und „brutal“. So hatte Richter Peter Kidd 2018 den Charakter des höchsten Katholiken Australiens zusammengefasst, als er diesen wegen Kindesmissbrauchs zu sechs Jahren Haft verurteilte. Es war eine Charakterisierung, die wohl jeden Menschen treffen würde, insbesondere einen Geistlichen. Nicht Pell. Seine fast zwei Meter hohe Statur sackte nicht etwa in sich zusammen. Im Gegenteil: der Kardinal demonstrierte weiter Dominanz und Macht, so wie er das seit Jahrzehnten getan hatte. Selbst in der Niederlage hatte er die Kontrolle.
Als ranghöchster Vertreter der katholischen Kirche war er zu sechs Jahren Haft verurteilt worden, weil ihm vorgeworfen worden war, er habe 1996 als Erzbischof von Melbourne zwei jugendliche Chorknaben in einer Kathedrale belästigt. Er saß 404 Tage im Gefängnis.
Dann kam der Schock, der unter Überlebenden sexuellen Missbrauchs durch den Klerus bis heute nachhallt: 2020 wurde Pell nach einer Berufungsverhandlung freigesprochen. Das Argument dieses Gerichts war, dass die Geschworenen, die Pell verurteilt hatten, nicht in Betracht gezogen hätten, er könne unschuldig sein. Auch gab es Zweifel an der Glaubwürdigkeit eines psychisch belasteten Zeugen.
Pell hatte großen Einfluss auf konservative Politik
Unschuldig aber war Pell zumindest nicht in seinem Amt als führender Funktionär der katholischen Kirche. 2017 hatte eine Regierungskommission festgestellt, dass der Obergeistliche bereits in den siebziger Jahren von sexuellem Missbrauch durch seine Priester wusste, aber nichts dagegen unternommen hatte. Stattdessen verschob er die mutmaßlichen Kinderschänder von einer Gemeinde zur anderen, von einem potenziellen Opfer zum nächsten.
Pell hatte entsprechende Vorwürfe immer zurückgewiesen. Doch der Druck der Öffentlichkeit wurde so groß, dass eine Untersuchung eingeleitet werden musste. Kein einfacher Entscheid gegen einen Mann, der fast bis zum Ende einen überragenden Einfluss auf die australische Politik hatte, ganz besonders auf deren konservative Seite.
Was Pell sagte, floss in das Denken und Handeln konservativer Politiker ein. Für nicht wenige war er geistiges und geistliches Oberhaupt. Und am Schluss ein Märtyrer.
Abtreibung beschrieb Pell als schlimmer als Mord. Homosexualität verurteilte er aufs Schärfste, als unnatürlich und als Sünde. Trans Menschen schien er zu verachten. Und er war ein vehementer Klimawandelleugner, der auf internationalen „Skeptiker“-Kongressen gefeiert wurde wie Jesus.
„Karriere vor die Sicherheit der Kinder gestellt“
Was viele Australierinnen und Australier befremdete, war die Kälte, die er gegenüber Missbrauchs-Opfern und deren Angehörigen zeigte. Kein Verständnis für deren Leiden, für deren Bitten um Wiedergutmachung. Er fürchtete einzig um den Ruf der Kirche.
Es muss kaum erstaunen, dass in den Stunden nach Bekanntwerden seines Todes die wenigen Zeichen von Trauer von der rechten Seite der australischen Politik kamen. Der frühere Premierminister Tony Abbott, selbst einst katholischer Priesteranwärter, bevor er in die Politik wechselte, bezeichnete die Vorwürfe gegen Pell und seine Inhaftierung als „moderne Form der Kreuzigung“.
Sonst reagierte Australien mit einer Mischung aus Mitgefühl für die Angehörigen Pells, Gleichgültigkeit, Schadenfreude und purer Verachtung für den 81-jährigen. LGBTQI-Organisationen erinnerten daran, dass Pell homosexuellen Katholiken die Kommunion verweigert hatte.
Der Autor und Pell-Experte David Marr meinte, Pell sei zwar hoch intelligent gewesen und habe es in die höchsten Stufen der katholischen Kirche geschafft. Aber er habe dabei „die Karriere vor die Sicherheit der Kinder“ gestellt. Eine Journalistin warnte, der Tod Pells könne bei Missbrauchsopfern weiteres Trauma auslösen. Die Stimmung in den australischen Sozialen Medien fasste am besten ein Kommentar auf Facebook zusammen: „Pell goes to hell“ – Pell fährt zur Hölle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter