Australien Kurienkardinal Pell ist frei: Urteil gegen George Pell aufgehoben
Der im vergangenen Jahr wegen Kindesmissbrauch verurteilte australische Kurienkardinal George Pell ist frei. Das Oberste Gericht hob das Urteil auf.
Zuvor hatte das Oberste Gericht Australiens in einem Berufungsverfahren Schwächen in den Beweisen gegen den ehemaligen Finanzchef des Vatikans gesehen und das Urteil gekippt.
Der frühere Erzbischof von Melbourne war im März 2019 wegen des sexuellen Missbrauchs von zwei Chorjungen in den neunziger Jahren zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden. Pell hatte die Beschuldigungen immer zurückgewiesen. Seine Verteidiger waren im August letzten Jahres mit einem Berufungsantrag bei einem Gericht in Melbourne abgeblitzt. Danach gingen sie zum Obersten Gericht, der letzten Berufungsinstanz.
In einer Presseerklärung bezeichnete Pell den Entscheid als Heilmittel gegen die „ernsthafte Ungerechtigkeit“, die er erlebt habe. Er hege „keinen Groll“ gegen seine Beschuldiger. Auch sehe er den Prozess nicht als „Referendum“ über die katholische Kirche und deren Umgang mit Pädophilie unter Priestern. Vielmehr sei es um die Frage gegangen, „ob ich diese schrecklichen Verbrechen begangen hatte, und das habe ich nicht“, schreibt Pell.
Vor den Kindern in der Sakristei entblößt
Ein Geschworenengericht hatte den Geistlichen im letzten Jahr für schuldig befunden, sich 1996 als Erzbischof von Melbourne im Anschluss an eine Messe an zwei Chorjungen sexuell vergangen zu haben. Der damals 55jährige Geistliche soll die beiden 13 Jahre alten Kinder in der Sakristei beim Trinken von Messwein ertappt haben. Danach habe sich der Kardinal – laut Anklage noch immer in voller Messrobe – vor den Kindern entblößt. Einen der Jungen habe er zum Oralverkehr gezwungen. Einen Monat später habe er eines der Kinder in einem Korridor der Kathedrale noch einmal sexuell bedrängt. Der eine Chorknabe starb Jahre später ein einer Drogenüberdosis.
Im Prozess letztes Jahr waren die Aussagen des überlebenden damaligen Chorjungen' zentral gewesen. Das Oberste Gericht befand, dass die Geschworenen den heute 30 Jahre alten Mann für „glaubwürdig, überzeugend und ehrlich“ hielten. Sie hätten aber andere Beweise berücksichtigen müssen, die dessen Aussagen in Frage stellten.
So hatten mehrere Zeugen gesagt, es sei unwahrscheinlich gewesen, dass Pell in der Sakristei mit den Kindern alleine war. Es habe deshalb „eine erhebliche Möglichkeit bestanden, dass eine unschuldige Person verurteilt wurde, weil die Beweise nicht den erforderlichen Beweisstandard für eine Schuld begründeten“, so die Richter am Dienstag.
Die Opferhilfegruppe Snap erklärte am Dienstag, sie sei enttäuscht, dass „Kardinal George Pell seiner Verurteilung erfolgreich entkommen ist und aus dem Gefängnis entlassen wird“.
Juristisch ist der Fall wohl abgeschlossen, politisch nicht
Eine andere Gruppe, die Überlebende sexuellen Missbrauchs durch Priester repräsentiert, fürchtet. „dass dieses Urteil andere dazu bringen wird, ihren Glauben an das Strafrechtssystem zu verlieren, und dass es die Botschaft vermitteln wird, dass die Überlebenden im Verborgenen bleiben und schweigen sollten, anstatt sich zu melden und Gerechtigkeit zu suchen.“
Die Suizid-Präventionsorganisation Lifeline forderte Opfer auf, sich bei ihr zu melden, falls sie als Folge des Entscheides in Not kommen.
Der Erzbischof von Sydney, Anthony Fisher, meinte, die Entscheidung habe bestätigt, dass „seine Verurteilung falsch war. Ich freue mich, dass der Kardinal nun freigelassen wird, und ich bitte darum, dass die Verfolgung des Kardinals, die uns zu diesem Punkt gebracht hat, nun eingestellt wird.“
Während der Entscheid des Obersten Gerichts den Fall juristisch beendet, wird Pell kaum in den Ruhestand treten können. Nicht nur hat der Vater des verstorbenen Jungen eine Zivilklage gegen den Geistlichen begonnen. Die Behörden können nun die noch ausstehenden Ergebnisse einer Untersuchung zum Umgang der katholischen Kirche mit pädophilen Priestern veröffentlichen.
George Pell, einst der mächtigste Katholik in Australien, war schon Jahre vor seiner Verurteilung vorgeworfen worden, verdächtige Geistliche geschützt, und sie in andere Kirchgemeinden versetzt zu haben, statt sie bei der Polizei anzuzeigen. Zudem soll er Opfer abgewiesen haben – zum Teil sehr aggressiv und ohne jegliches Mitgefühl zu zeigen. Er habe sie zum Leiden im Stillen verurteilt, weil ihnen niemand glauben wollte, klagen Angehörige.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was