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Zukunft Falls SPD-Chef Sigmar Gabriel hinwirft, könnten Olaf Scholz und Martin Schulz ihn beerben. Unterwegs mit zwei Männern, die unterschiedlicher kaum sein könntenDie zweite erste Reihe

Olaf Scholz in seinem Berliner Büro, Juli 2016 Foto: Karsten Thielker

Aus Hamburg, Duisburg und Eschweiler Stefan Reinecke und Ulrich Schulte

Wetterleuchten, dunkel und grollend. Aber es kommt nicht näher. Es ist unübersehbar am Horizont der Bundes-SPD, seit Monaten. Aber es wird nicht zu Blitz und Donner, es entlädt sich nicht im Putsch gegen Parteichef und Vizekanzler Sigmar Gabriel.

Was aber, wenn Gabriel von selbst ginge, ob vor oder nach der Bundestagswahl 2017?

Zwei Namen fallen in der SPD oft, wenn es um die Zukunft geht. Olaf Scholz und Martin Schulz. Der eine, ein trockener Norddeutscher, ist Hamburgs Erster Bürgermeister. Der andere, ein jovialer Rheinländer, ist EU-Parlamentspräsident. Der eine wirkt wie ein Buchhalter, der andere kann Rampensau. Könnten sie die SPD wieder beleben?

Olaf Scholz, 58, steigt aus einer schwarzen Limousine und drückt den Umstehenden knapp die Hand. Kein small talk. Er eilt in die Aula der Stadtteilschule Bergstedt am Rand von Hamburg. Er wirkt, klein und zielstrebig, wie ein entschlossener Handballer. In Bergstedt stehen Mittelklassewagen in den Einfahrten der Reihenhäuser mit ihren sauberen Klinkerfassaden. In Pizzerien scherzen 60-jährige Angestellte mit Ohrring mit dem italienischen Kellner. Orte wie Bergstedt sind die Kerngehäuse der Normalität.

Olaf Scholz trägt ein blaues Jackett, einen blauen Schlips, weißes Hemd. Er ist der normale Bürgermeister. Er wohnt noch immer in der Altbauwohnung in Altona, in der er schon als Student lebte. Er ist einer von ihnen.

Rund 200 Bergstedter sind an diesem lauen Juniabend gekommen. Nicht schlecht für den Sommer 2016, in dem die Verachtung für seriöse Politik sich in Europa wie eine Epidemie ausbreitet.

Scholz referiert freihändig über den Brexit, die Erfolge der Stadtteilschulen und die Erfordernisse des Welthandels. Der Auftritt ist ein Heimspiel. Früher, als er SPD-Generalsekretär war, waren seine Schachtelsätze berüchtigt. Jetzt sind die Sätze kurz und klar. „Ich werde erst gehen, wenn ich jede Ihrer Fragen beantworten habe“, sagt er. Scholz absolviert solche Auftritte in den Stadtteilen regelmäßig. Jeder darf fragen, was er will. Allerdings gibt eine SPD-Mitarbeiterin das Mikro nicht aus der Hand. Basis ist gut, Kontrolle über das Mikro besser.

Scholz hat in Hamburg zwei Wahlen gewonnen, 2010 mit absoluter Mehrheit. Er hat die SPD als Partei in Szene gesetzt, die sich um die Alltagsprobleme kümmert. Scholz schreibt regelmäßig Briefe an Hamburger, die eingebürgert werden können. Der Wohnungsbau, Schlüsselthema in der Boomregion, funktioniert besser als unter Schwarz-Grün. Er lobt den Hamburger Flughafen als Jobmotor. „Hamburg brummt“, sagt er zufrieden. Die Welt von Olaf Scholz besteht aus Erfolgen – und aus Problemen, die durch technischen Fortschritt oder gute Verwaltung lösbar sind. Wenn er sagt, dass etwas „Stück für Stück geschieht“, teilt er mit beiden Händen die Luft, um dies gestisch zu untermalen. Wie ein Schauspieler, der etwas einstudiert hat, das er nun auf der Bühne zeigt.

Scholz liest jede Vorlage. Er arbeitet viel. Er schläft wenig. Er ist ein Techniker der Macht, der Herr der Spiegelstriche, der manche Tischvorlagen besser kennt als die Fachleute. Die handwerklichen Fehler, die Sigmar Gabriel bei der Tengelmann-Edeka-Entscheidung machte, wären ihm wohl nicht passiert. Max Faber, der Tatsachenfanatiker und Romanheld aus Max Frischs „Homo faber“, sagt über sich: „Ich bin gewohnt, die Dinge zu sehen, wie sie sind.“ Das ist ein Satz, pragmatisch kühl, der zu Scholz passt.

Pilsener und Filterkaffee

Martin Schulz, 60, Haarkranz um die Glatze, der Bart grau am Kinn, rote Krawatte, weißes Hemd, dreht in der ersten Reihe den Kopf und nickt in die Runde. Gerade hat der NRW-Innenminister vorne „den Martin“ begrüßt. Schön, dass er bei all dem Ärger mit dem Brexit noch Zeit für das Ruhrgebiet gefunden habe. Das Brexit-Votum der Briten ist gerade ein paar Tage her, als Schulz auf eine Bühne in Duisburg-Huckingen klettert.

Die SPD hat an diesem Nachmittag im Juli in ein Bürgerzentrum eingeladen. 450 GenossInnen in einer Halle mit Holzbalkendecke. Es gibt Königs-Pilsener und Filterkaffee. Ein Herr hat seine Haarsträhnen über die Glatze gekämmt, die Damen mögen Seidentücher mit Blumendruck. Neben der Bühne malt eine Zeichnerin einen Live-Comic. Schulz ist ein kleines Männchen mit Eierkopf.

Damals, im Kohleschacht, habe ein Bergmann auf die Solidarität der anderen vertraut, ruft Schulz mit rauer Stimme. „Was in dieser Gesellschaft zu kurz kommt, ist der Respekt vor dem anderen.“ Diese Logik kommt an in Duisburg-­Huckingen. Am Ende klatschen sie rhythmisch. Schulz ist ein guter, emotionaler Redner, der die Leute in ihrem Alltag abholt und stets das Große ins Kleine ordnet. Olaf Scholz klingt spröde, Martin Schulz hemdsärmelig und locker.

Schulz muss jetzt sofort weiter. Die Azubis bei Thyssen-Krupp warten, der Ortsverein in Eschweiler-Dürwiß auch. Er hat mal wieder drei Termine in einen Abend gequetscht.

Die große Liebe von Martin Schulz ist Europa. Seit 1994 sitzt er im EU-Parlament, seit Januar 2012 ist er – mit Unterbrechung – Parlamentspräsident. Er ackert, poltert, reiht einen 16-Stunden-Tag an den anderen, fliegt nach Paris oder Rom, wie andere Politiker aufs Grillfest im Wahlkreis fahren. Früher hatte der Präsident des EU-Parlaments würdig zu schauen und ab und zu mit der Glocke zu läuten. Schulz machte das Amt wichtig, indem er behauptete, es sei wichtig.

Selbstbeschreibung „Ich hatte zuletzt eine enge Beziehung zu Helmut Schmidt. Ich habe von ihm vernünftigen Pragmatismus gelernt“Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz über den Godfather der SPD-Rechten

Gleich zu Beginn seiner ersten Amtszeit machte er dem Europäischen Rat, in dem die na­tio­nalen Regierungschefs das Sagen haben, klar, wie er die Sache sieht. Eine prominent besetzte Runde sollte Ideen für die Zukunft der EU entwickeln. Vorgesehen waren Vertreter des Rats, der Kommission, der Zentralbank und der Eurogruppe, aber das Parlament fehlte. Schulz fand das „nicht akzeptabel“.

Heute ist Schulz eines der bekanntesten Gesichter Brüssels. Er telefoniert täglich mit Kommissionschef Juncker, gerne um 7 Uhr morgens. Der Konservative und der Sozi arbeiten eng zusammen. Juncker warb neulich sogar für eine Jobverlängerung für Schulz.

Sein Lebenslauf sticht aus dem biografischen Juristen-Einerlei in der SPD heraus. Schulz wuchs in Würselen bei Aachen auf. Sein Vater, Polizeibeamter, war der elfte Sohn eines Bergmanns. Schulz machte mittlere Reife, wollte Profifußballer werden, eine Knieverletzung beendete den Traum. Arbeitslosigkeit, Alkohol, irgendwie schaffte er es aus dem Loch. Er wurde Buchhändler, mit 31 Jahren Bürgermeister von Würselen, mit 38 ging er nach Straßburg, mit 48 wurde er Fraktionschef der europäischen Sozialdemokraten.

Viele Politiker gehen in der Blase Brüssel auf. Die Wichtigkeit und der Apparat verführen dazu, die Empfänge, der Fahrdienst. Für Schulz ist Würselen die Verbindung zum echten Leben. Sooft es geht, fährt er die eineinhalb Stunden aus Brüssel her. „Martin interessiert sich. Plötzlich klingelt um elf Uhr abends das Handy, und Martin ist dran. Er fahre gerade durch Würselen und wolle nur mal wissen, wie es geht“, sagt Rudi Bertram.

Bertram, 60, ist der Bürgermeister von Eschweiler, dem Nachbarort. Er lehnt an einem Stehtisch in der Kneipe „Bei Kelche“, Ortsteil Dürwiß – der SPD-Ortsverein feiert sein 70-jähriges Jubiläum. DJ Jürgen Meier spielt Schlager, Halogenspots in der abgehängten Decke, Pokale auf dem Fensterbrett. Martin Schulz hat feine Schweißperlen auf der Stirn und erzählt, wie er als Kind immer über die Grube des Braunkohletagebaus hinüber nach Dürwiß schaute.

Die SPD müsse den Menschen ein Leben in Würde ermöglichen, sagt er. Einen guten Job. Eine Wohnung. Einen Urlaub im Jahr. Und eine gute Ausbildung für die Kinder. Ein grauhaariger Herr nickt vor sich hin.

Als Schulz bei einem Neujahrsempfang sprach, sagt Rudi Bertram, hätten die Leute „Tränen in den Augen“ gehabt. Die Rede haben sie auf CD gebrannt und verteilt. Schulz wärmt wie eine der guten alten Glühbirnen, die die EU verboten hat.

Vielleicht ist eine der wichtigsten Fähigkeiten von Martin Schulz, dass er der Oma aus Dürwiß die EU so erklärt, dass sie sie versteht. Was nicht wenig ist in Zeiten, in denen der Hass auf „die da oben“ wächst.

Schulz will mehr Europa. Eine gemeinsame Steuer- oder Arbeitsmarktpolitik. Das ist sein Traum. Am Tag, als sich die Briten gegen die EU entschieden, veröffentlichte er mit Sigmar Gabriel einen Zehn-Punkte-Plan. Darin forderten sie, die EU-Kommission müsse in eine echte europäische Regierung umgebaut und durch das Parlament kontrolliert werden. So richtig man das finden kann, so ungeschickt war der Zeitpunkt. Warum sollte sich die EU ausgerechnet dann vertiefen, wenn die Skeptiker im Aufwind sind? Schulz ruderte zurück. Ihm sei bewusst, dass ein solcher Plan nicht morgen umgesetzt werde. So ist er. Wie Gabriel hat er etwas Großmäuliges. Er macht gerne wuchtige Aufschläge. Mal klappt’s, mal nicht.

Olaf Scholz steht für das Gegenteil. Für Berechenbarkeit, auch wenn das steif bis zur Langweile wirkt. Dass Verlässlichkeit das Entscheidende ist, hat Scholz auch aus der Agenda-Krise der SPD gelernt. Damals war er Schröders bedingungslos loyales Sprachrohr, als Scholzomat bespöttelt. Als 2002 im Parteivorstand die Fetzen flogen, verkündete Scholz danach stoisch: „Zu der gegenwärtigen Situation hat es eine konstruktive Diskussion gegeben, die mit dem Ergebnis endete, dass der Kurs der Regierungspolitik nicht geändert werden muss.“ Beim Parteitag wurde er mit dem miserabelsten Ergebnis bestraft, das je ein SPD-Generalsekretär bekam.

Scholz, wirtschaftsnah und rechter Flügelmann, steht treu zur Agenda 2010. Der Fehler, den er im Rückblick sieht, war, dass sie wie ein Putsch von oben empfunden wurde. Also in Zukunft keine bösen Überraschungen mehr. Sagen, was man tut, tun, was man sagt. Und nicht die Backen aufblasen, wenn man nicht pfeifen kann. So wie Gabriel es macht, so wie Schulz es macht. Solide, nüchtern, ohne Sprunghaftigkeit. Das ist Scholz’ Image. Damit bringt er sich unauffällig für alle Eventualitäten in Stellung.

Er ist im Berliner Politbetrieb gut vernetzt. Er ist Chef der SPD-Antragskommission. Er verhandelt für die Länder die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs und wird wegen seiner Kompromissfähigkeit geschätzt. Das ist unspektakulär, aber für die innere Architektur der Republik und der SPD wichtig. In Talkshows geht Scholz nicht gerne, weil „dort aus Quoten­interesse der Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet wird. Die meisten Talkshows zielen nicht auf Lösungen, sondern auf Dekonstruktion. Sie machen extreme Positionen interessant.“ Vielleicht beflügelt sein Misstrauen gegenüber Talkshows auch, dass er dort das Mikro nicht kontrolliert.

Wenn und Aber

Martin Schulz trifft spanische Auszubildende bei Thyssen-Krupp in Duisburg, Juli 2016 Foto: Roland Geisheimer/attenzione

Wie sieht Martin Schulz seine Zukunft? Der Rasthof Geismühle an der A 57 in Nordrhein-Westfalen. Schulz wuchtet sich aus der schwarzen Limousine und läuft ins Restaurant. Der Geruch von Bratfett hängt in der Luft. Schulz ist bei einem Teller Nudeln mit Käsesauce angelangt und sagt: „Kinners, ich werd fett.“ Was ist dran an dem Gerücht, dass er nach Berlin will? „Ich arbeite gerne in Brüssel und Straßburg. Gerade jetzt ist dort mein Platz“, sagt er. „Der Laden könnte uns vielleicht auseinanderfliegen, und ich will alles tun, um das zu verhindern.“ Das ist die Karriere, über die Schulz gern redet. Doch wie lange er EU-Parlamentspräsident bleibt, hängt von komplexen Deals ab.

Über die zweite Option redet er nicht. Sie hängt von vielen Wenns ab. Er ist ein Freund von Sigmar Gabriel, vielleicht der letzte, den der Parteichef in der SPD-Spitze noch hat. Schulz wird nichts tun, was Gabriel schadet. Doch was, wenn der SPD-Chef im Herbst zu dem Schluss kommen sollte, keine Chance gegen Merkel zu haben? Wenn sich Gabriel nach einer verlorenen Wahl 2017 zurückzöge? Dann würde Schulz nachdenken. SPD-Chef wäre was für ihn. Schulz betont stets, wie sehr er in Brüssel und Straßburg gebraucht werde. Aber er hütet sich, anderes auszuschließen.

Aus dem Umkreis von Olaf Scholz hört man: Wenn die „Mitte der Partei“ gegen Gabriel aufbegehrt, dann ist Scholz zur Stelle. „Mitte der Partei“ ist eine Chiffre für NRW, den größten Landesverband. Aber Hannelore Kraft kann einen Aufstand gegen Gabriel, der noch nicht mal Aufstand heißen darf, derzeit brauchen wie Muskelkater. Im Mai 2017 will sie wieder Ministerpräsidentin werden. Es wird, hört man nahezu wortgleich aus dem Umfeld von Olaf Scholz und SPD-Linken, aus Nordrhein-Westfalen und Berlin, kein zweites Schwielowsee geben, wo 2008 SPD-Chef Kurt Beck weggeputscht wurde.

Wenn man Olaf Scholz fragt, ob er Sehnsucht nach Berlin hat, sagt er: „Das ist eine zu psychologisierende Frage. In Hamburg ist es gut.“

Dietrich Wersich, 52, ist Arzt, hat als Theatermanager gearbeitet und sieht ein bisschen aus wie Cary Grant. Verglichen mit Scholz, dem zurückhaltenden Anwalt für Arbeitsrecht, hat Wersich geradezu etwas Paradiesvogelhaftes. 2015 war er CDU-Spitzenkandidat und bekam knapp 16 Prozent. Ein Fiasko. Die Wähler trauten Scholz auch bei Wirtschaft und innerer Sicherheit mehr zu. „Scholz führt keine Debatten, er präsentiert Lösungen. Klare Kante, durchaus autoritär, nicht zweifeln. Das gefällt leider auch manchem CDU-Wähler gut“, sagt Wersich. Und: „Er hat den autoritären Stil, mit dem er die SPD aufgeräumt hat, auf die Stadt übertragen. In der Flüchtlingskrise hat er nur auf Staat gesetzt, nicht auf die Zivilgesellschaft. Da ist er Sozialdemokrat alten Schlages, staatsfixiert.“

Mag sein, dass da die Bitternis der Niederlage nachklingt. Doch dass Scholz autoritär ans Werk geht, wissen viele in Hamburg. Sabine Boeddinghaus, 58, war bis 2008 in der SPD, dann kehrte sie der Partei wegen deren mangelnden Engagements für egalitäres Lernen den Rücken. Jetzt ist sie Fraktionschefin der Linkspartei. Scholz hält sie für „autoritär und hochprofessionell“. 2003 hatte er, als SPD-Landessprecher, einen typischen Auftritt. Er kam in eine Arbeitsgruppe, fasste am Ende zusammen, was dort gesagt wurde – und machte die Ansage, wie es weitergeht. „Zugehört hat er nur pro forma“, so Boeddinghaus. Es ist erstaunlich, wie ähnlich die Kritik von CDU und Linkspartei an Scholz klingt.

Scholz hat Partei und Stadt im Griff. Aber Hamburg ist keine Blaupause für die Republik.

Wenn Olaf Scholz aus dem Fenster der Hamburger Vertretung in Berlin schaut, sieht er die Rückseite des Arbeitsministeriums. Vis-à-vis von ihm hängt ein Ölporträt von Helmut Schmidt. Schmidt, Godfather der SPD-Pragmatiker, und das Ministerium in einem Blick – das ist fast zu viel Symbolik.

Das Arbeitsministerium war der Drehpunkt von Scholz’ Karriere. Das Kurzarbeitergeld, das er in der Krise 2008 einführte, wurde national und international mit Lob überhäuft. Ein Musterbeispiel für effektiven rheinischen Kapitalismus, in dem am Staat kein Weg vorbeiführt. Als Arbeitsminister, der für den Mindestlohn trommelte, machte er auch seinen Frieden mit der Parteilinken.

Türen offen halten „Ich arbeite gerne in Brüssel und Straßburg. Gerade jetzt ist dort mein Platz“EU-Parlamentspräsident Martin Schulz äußert sich über die Gegenwart, schließt aber für die Zukunft nichts aus

„Ich hatte zuletzt eine enge Beziehung zu Helmut Schmidt. Ich habe von ihm vernünftigen Pragmatismus gelernt“, sagt Scholz. Bei Schmidts Beerdigung 2015 lobte er, der habe der „romantisch idealistischen Sozialdemokratie“ die Flausen ausgetrieben. Es ist nicht verwegen, darin eine stille Selbstbeschreibung zu erkennen.

Achterbahn und Strich

Martin Schulz’ Biografie hat etwas Vitales. Eine Achterbahnfahrt mit Krise, Absturz, Rettung, Aufstieg. Das Leben von Olaf Scholz hingegen muss man sich als Strich vorstellen. Der Versuch, etwas Biografisches von ihm zu erfahren, ähnelt dem, die Seife in der Badewanne in die Finger zu bekommen. Sein Vater war Geschäftsführer. Ansonsten: kein Kommentar. Vor 1990 war Scholz ein strammer Linker. Wie wurde er vom Marxisten zum Realo? Er hat damals bemerkt, dass die Bundesrepublik ein reiches, liberales Land ist. So schildert er es. Kein Erlebnis, kein Untergang der DDR, kein Bruch. Es ist passiert, so wie man in der Pubertät Haare unter den Achseln bekommt. Das Persönlichste, das die Bergstedter am Juniabend von ihm erfahren, ist, dass er „früher mal einen Kater“ hatte.

Manche Prominente wirken aus der Ferne warm, aber je näher man an sie herankommt, desto kälter wird es. Scholz ist anders. Er wirkt aus der Nähe und der Ferne kühl. Wenn Scholz wirklich sauer ist, sagt ein Mitarbeiter, der ihn lange kennt, schreit er nicht. Dann wird er leise. Das Ruhige, Beharrliche ist seine Stärke. Und seine Schwäche. Reicht es, ein Meister der Geschäftsordnung, ein Ethiker der Verwaltung zu sein? Wenn er wirklich mal in Berlin im Rampenlicht stehen sollte, wartet auf seine Spin-Doktoren viel Arbeit.

Martin Schulz träumt von einem sozialen Europa. Dafür brennt er. Nur ist das eine ferne Vision, die im Moment nicht populär ist.

Olaf Scholz, der Virtuose des Details, steht für die sachgerechte Lösung nach Aktenlage. Und für Ordnung. Er war schon ein paarmal das Rettungskommando. 2001 wurde er Innensenator im strauchelnden Hamburger Senat. 2002 Agenda-Verteidiger in Berlin. 2009 holte ihn die zerzauste, zerstrittene Hamburger SPD. Er glänzt umso mehr, je größer das Chaos ist, das er beseitigt.

Es kann sein, dass Schulz und Scholz die Zukunft der SPD sind. Es kann aber auch sein, dass es Europa besser und der Bundes-SPD noch schlechter gehen muss, ehe die Partei sie ruft.

Stefan Reinecke ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz

Ulrich Schulte leitet es

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