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Zug von Deutschland nach GroßbritannienMit 20 Jahren Verspätung nach London

Zwei Bahnen arbeiten an einer Direktstrecke von Deutschland in die britische Metropole London. Zugverkehr ist wieder in, lange Reisen schrecken kaum ab.

So könnte der Zug nach Deutschland etwa aus­sehen: Eurostar in London Foto: Alberto Pezzali/imago

Berlin taz | Viel Prominenz hatte sich damals auf dem Londoner Bahnhof King’s Cross versammelt. Der damalige Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und sein britischer Amtskollege begrüßten im Herbst 2010 den ersten ICE, der direkt von Deutschland aus durch den Kanaltunnel in die englische Hauptstadt gefahren war. Es sollte nur der Auftakt sein. Ab 2013, so versicherten die Festredner, werde der ICE London regelmäßig ansteuern. Mit rund 20 Jahren Verspätung soll es Anfang der 30er Jahre tatsächlich einen direkten Linienverkehr geben. „Wir sind vom großen Potenzial einer Direktverbindung überzeugt“, bestätigte die Deutsche Bahn am Dienstag Medienberichte.

Gemeinsam mit dem britischen Bahnunternehmen Eurostar will die Bahn die neue Route betreiben. Reisen werden die Fahrgäste nicht im ICE, sondern in neuen Zügen von Eurostar. Die heutigen ICEs erfüllen die technischen Anforderungen für die Nutzung der Schienenwege in England nicht. Eine entsprechende Nachrüstung käme teuer.

Bis zu 50 neue Züge will das mehrheitlich der französischen Staatsbahn SNCF gehörende Unternehmen Eurostar bestellen, um seinen grenzüberschreitenden Verkehr auszubauen. Dazu gehören den Plänen nach täglich vier Direktverbindungen nach Deutschland.

Wo der Zug hierzulande starten wird, ist offen. Frankfurt und Köln sind die favorisierten Standorte. Das Problem: Aufgrund der schwierigen Rechtslage muss die Grenzabfertigung schon am Startbahnhof erfolgen. Dafür wird ein eigener, abgeschlossener Terminal benötigt. Das erfordert Platz an den ohnehin stark geforderten Knotenbahnhöfen – und muss finanziert werden.

Aufwändige Fahrt durch den Kanaltunnel

Mindestens fünf Stunden soll die Fahrt dauern, eine erhebliche Konkurrenz für den Flugverkehr auf die Insel. Derzeit gibt es schon sechs tägliche Verbindungen, allerdings mit Umsteigen in Brüssel. Auch dauert die Reise in der kürzesten Variante sechseinhalb Stunden. Wer Pech hat, steigt vier Mal um und verbringt mehr als acht Stunden im Zug.

Wie aufwändig eine Fahrt mit dem ICE durch den Kanaltunnel ist, hat die Bahn schon beim ersten Anlauf vor 15 Jahren erfahren. Damals durften eigentlich nur durchgängig begehbare Züge mit wenigstens 400 Metern Länge das Bauwerk passieren. Mit Hunderten Komparsen musste die Bahn auf Testfahrten beweisen, dass auch zwei gekoppelte kurze ICEs notfalls in der Röhre sicher geräumt werden können. Inzwischen dürfen zwar auch kürzere Züge unter dem Meer fahren, doch lohnen sich angesichts der hohen Trassengebühren dort nur Verkehre mit möglichst vielen Passagieren und entsprechend langen Waggonreihen.

Der internationale Bahnverkehr zieht immer mehr Fahrgäste an. Erst kürzlich hat die Deutschen Bahn gemeinsam mit der italienischen Staatsbahn betriebene neue Linienverkehre von München in italienische Metropolen angekündigt. Mit der Einweihung von Stuttgart 21 soll auch ein Linienverkehr zwischen München und Paris aufgenommen werden. Hier rechnet die Bahn mit einer so großen Resonanz wie auf anderen Strecken.

Lange Reisezeiten schrecken wenige ab

Zwischen Stuttgart und Paris hat das Unternehmen Insidern zufolge im Vergleich zum Luftverkehr einen Marktanteil von 90 Prozent erreicht. Fünf Mal täglich sollen die Münchner künftig in die französische Hauptstadt reisen können. Länger dauern wird eine dreistündige Reise von Hamburg nach Kopenhagen. Sie wird allerdings erst mit der Fertigstellung des Fehmarnbelt-Tunnels angepeilt. Im kommenden Jahrzehnt ist damit noch nicht zu rechnen.

Im Gegensatz zu bisherigen Annahmen schrecken lange Reisezeiten nur wenige Fahrgäste ab. Im Gegenteil: Eine aktuelle Studie der Bahn belegt, dass gerade grenzüberschreitende Verkehre mit Reisezeiten von mehr als vier Stunden starke Wachstumsraten verzeichnen. Auf kurzen und mittleren Strecken stiegen die Fahrgastzahlen um 1,5 Prozent, auf den beliebtesten internationalen Relationen um 5,6 Prozent.

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5 Kommentare

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  • "Das Problem: Aufgrund der schwierigen Rechtslage muss die Grenzabfertigung schon am Startbahnhof erfolgen." Wenn für jede neue Zugverbindung ins Ausland quasi ein neuer Bahnhof gebaut werden muss, darüber hinaus die technischen Anforderungen für Züge je Strecke so unterschiedlich, gleichzeitig enorm hoch sind, kann man diese Pläne im Grunde sofort vergessen. Denn damit wird der entscheidende Vorteil des Zuges gegenüber anderen Verkehrsmittel zunichte gemacht: dass er unkompliziert und flexibel einsetzbar ist.



    Weiter: Lange Zugfahrten wären, wie Beispiele zeigen, sehr viel beliebter, wenn der Service stimmen würde: Schlaf- und Liegewagen zu einem tragbaren Preis, ansprechende Gastronomie, Autoreisezüge.



    In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, warum ein attraktiver internationaler Fernverkehr 35 Jahre nach dem Fall des "Eisernen Vorhangs" so verdammt lückenhaft bleibt. Das gilt neben den Routen nach London und Paris auch für u.a. Polen, Skandinavien, Südeuropa.



    Auch hier gilt: Angebot schafft Nachfrage. Zudem wird ein attraktiver Schienenverkehr niemals zum Selbstkostenpreis angeboten werden können. Das ist eine Illusion.

    • @Vigoleis:

      Das mit der Grenzabfertigung am Startbahnhof gilt doch nur für Züge die durch den Eurotunnel ins Nach-Brexit-London wollen.

      • @Saile:

        Okay. Darf man sich das so vorstellen wie den Bhf. Berlin- Friedrichstraße vor dem Mauerfall? Auch nicht schön.

        • @Vigoleis:

          Eher vergleichbar mit einem Check-In wie am Flughafen…ist in Paris und Brüssel schon immer so gewesen, da das Vereinigte Königreich ja nie dem Schengener Abkommen beigetreten ist.

  • "Auf kurzen und mittleren Strecken stiegen die Fahrgastzahlen um 1,5 Prozent, auf den beliebtesten internationalen Relationen um 5,6 Prozent."



    Diese Wachstumsraten sind nur den horrenden Gebühren, die bei Flügen mit Start aus Deutschland anfallen, geschuldet.



    "Bei einem Start eines typischen Mittelstreckenflugs an einem deutschen Flughafen fallen staatliche Abgaben (Luftverkehrsteuer, Luftsicherheitsgebühr, Flugsicherungsabgaben für An- und Abflug) in Höhe von 4500 Euro an – in Spanien beispielsweise sind es nur 660 Euro. Daher sind neben der Abschaffung der Luftverkehrsteuer weitere Entlastungen nötig, zum Beispiel bei der Luftsicherheitsgebühr."



    Deutschland steht nach wie vor massiv auf der Bremse, es wird sich zeigen ob Merz seine Versprechen halten wird und endlich wieder den Fokus der deutschen Regierung auf Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit lenkt.



    Drei Jahre Rezession haben nur bei der AfD eingezahlt.



    Wohlstand vor Ideologie - jetzt.



    Quelle: www.bdl.aero/press...%201%2C7%20Prozent.