Zombie-Krankheit bei Hirschen: Die Untoten aus dem Wald
Immer mehr Hirsche erkranken an CWD. Schon wird von der „neuartigen Zombie-Krankheit“ schwadroniert. Dabei ist der Erreger lange bekannt.
Was haben sich zu Lebzeiten der Piraten noch alle lustig gemacht über diese Partei, als sie im Berliner Abgeordnetenhaus eine Kleine Anfrage gestellt hat, ob die Hauptstadt denn für den Fall einer „Zombie-Katastrophe“ gerüstet sei. Dazu bestehe keine Notwendigkeit, antwortete der Berliner Senat damals kühl. An der These lassen aktuelle Medienberichte allerdings gewaltig zweifeln. Sie sind da!
Jetzt könnte man denken, dass das massenhafte Auftauchen von Untoten keine so große Neuigkeit ist. Sahra Wagenknechts „Aufstehen“-Bewegung wankt schließlich schon eine ganze Weile durch die Gegend, und auch an die Gestalten aus all den AfD-Fraktionen hat man sich allmählich bereits gewöhnt.
Doch anders als solche offensichtlichen Monster kommt die aktuelle Zombie-Bedrohung mit unschuldigen Reh-Augen daher. Sie entstammt nämlich der Familie Cervidae, also den Hirschartigen, und betroffen sind beispielsweise Wapitis, Elche, Weißwedel- und Maultierhirsche sowie Rentiere. Die Tiere magern ab, torkeln apathisch durch den Wald, haben erhöhten Speichelfluss, zittern am ganzen Körper und werden manchmal auch aggressiv. Kein Wunder also, dass die Krankheit in den USA, wo sie zuerst auftrat, den Nickname „zombie deer disease“ erhielt. Ihre medizinische Bezeichnung bezieht sich auf den dramatischen Gewichtsverlust: Chronic Wasting Disease, chronische Auszehrungskrankheit, kurz CWD.
Auch wenn die Untoten in der Redaktion von Bento nun von einer „neuartigen Zombie-Krankheit“ schwadronieren – das Problem ist seit Langem bekannt. Bereits 1967 wurde CWD in einer in einem Gatter gehaltenen Herde Maultierhirsche in Colorado identifiziert, 1981 gelang der Nachweis in freier Natur, und inzwischen ist sie mehr oder weniger flächendeckend aus 24 US-Bundesstaaten mit Schwerpunkt im Mittleren Westen bekannt, aber längst sind auch Fälle in Kanada, Norwegen, Finnland und sogar Südkorea diagnostiziert worden.
Übertragung auf den Menschen?
Schlagzeilen verursacht CWD nun vor allem, weil Anfang Februar bei einer Expertenanhörung vor dem State Capitol von Minnesota Michael Osterholm, der Direktor des Center for Infectious Disease Research and Policy der University of Minnesota, in drastischen Worten vor den Gefahren der sich zunehmend ausbreitenden Krankheit warnte: „Es ist wahrscheinlich, dass beim Menschen Fälle von CWD in Zusammenhang mit dem Verzehr von kontaminierten Fleisch auftreten werden; es ist möglich, dass in einigen Jahren eine erhebliche Zahl an Menschen betroffen sein wird“, zitiert die lokale Zeitung Twin Cities Pioneer Press ihn, und weiter: „Wenn Stephen King einen Roman über eine Infektionskrankheit schreiben würde, würde er eine wie diese nehmen.“
Denn CWD gehört zu den sogenannten spongiformen Enzephalopathien, sie ist also vergleichbar mit dem Rinderwahnsinn BSE, der Schafsseuche Scrapie oder der menschlichen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Verursacht werden diese Krankheiten durch fehlgebildete Proteine, sogenannte Prionen, die sich im Gehirn ansammeln, es dadurch langsam zerstören und dabei all die Zombie-Schocker-Effekte auslösen. CWD verläuft immer tödlich.
Ursprung und Übertragungswege in der Natur sind noch nicht aufgeklärt, vermutlich verläuft die Infektion über kontaminierten Speichel oder Kot. Im Freien sind die Erreger äußerst zäh und können vermutlich Jahre überdauern, die Infektion kann also auch über die Umwelt erfolgen, etwa beim Äsen auf der Wiese.
Krähen verbreiten die Krankheit
Um das Horror-Szenario noch ein bisschen aufzupeppen, ist inzwischen zum einen der Nachweis gelungen, dass Krähen als Vektoren dienen, wenn sie die Krankheitserreger aufnehmen und dann später mit einem Gaulandschen Vogelschiss irgendwo wieder fallen lassen. Zum anderen ist im Experiment die Infektion von Affen nachgewiesen worden. Und wenn Affen an CWD erkranken können, dann ist es ziemlich wahrscheinlich, dass das auch beim Menschen möglich ist.
Ein Problembewusstsein für die Krankheit gibt es in den USA schon lange. In manchen Bundesstaaten wird Jägern empfohlen, von geschossenen Hirschen eine Probe auf den Erreger testen zu lassen, in anderen ist das sogar bereits Vorschrift. Generell wird empfohlen, bei der Verarbeitung der Tiere Handschuhe zu tragen und Kontakt mit dem Gehirn zu meiden. Auch von Wildunfallopfern soll man sich fernhalten.
Trotz dieser Maßnahmen breitet CWD sich immer weiter aus. Ist das jetzt wirklich die Zombie-Apokalypse? Ausgehend von ein paar sabbernden Elchen? Immerhin 7.000 bis 15.000 infizierte Tiere werden jedes Jahr vom Menschen gegessen, gab Osterholm an, und jährlich sei mit einem Anstieg um 20 Prozent zu rechnen. Da sei es nicht unwahrscheinlich, dass früher oder später auch beim Menschen ein Erreger den Sprung über die Artgrenze schaffe.
Allerdings ist bislang noch kein einziger solcher Infektionsfall bekannt geworden. Weshalb Jägerei-Vertreter die Sache auch deutlich entspannter sehen und vor Alarmismus warnen. Vielleicht, weil sie ja ohnehin immer bewaffnet in den Wald ziehen. Da schreckt sie die Begegnung mit einem Zombie-Hirsch womöglich weniger.
Andererseits: Vielleicht sollten sie doch besser gewarnt sein. Man weiß schließlich aus jedem ordentlichen “Walking Dead“-Drama, dass die Typen mit der Knarre immer als Erste dran glauben müssen.
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