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Autobahnbau und biologische VielfaltHessens Hirsche treiben Inzucht

Weil sie durch Autobahnen in abgeschotteten Gebieten leben, vermehren sich Rotwildtiere häufig untereinander. Das macht krank und schwach.

Verbotene Liebe: Hirsche in Hessen machen's zu oft mit Verwandten Foto: dpa

Reizthema Autobahn: Die deutschen Fernwege genießen ohnehin einen miserablen Ruf. Vielfahrer mokieren sich über Baustellen, Umweltschützer*innen kritisieren Raserei. Doch auch für ein tiermedizinisches Problem scheint das Straßennetz zumindest mitverantwortlich: Hirsche in Hessen treiben Inzucht. Das zeigt eine Studie des Veterinärmediziners Gerald Reiner an der Uni Gießen. Gefährdet sei der langfristige Erhalt unserer größten Säugetierart.

Rotwildgebiete wie der südhessische Odenwald oder der Reinhardswald im Norden beschreibt Reiner als „hochgradig isoliert“, etwa durch Siedlungen oder Autobahnen. Im historischen Vergleich von 1300 Gewebeproben abgelegter Geweihe (sogenannter Abwurfstangen) ermittelte die Studie, dass sich zwischen 2002 und 2012 eine Verringerung der Genvarianten um 15 Prozent gegenüber früheren Jahrzehnten eingestellt hat.

Das Problem: „Gerade diese Genvielfalt benötigen die Tiere, um auf sich verändernde Umweltsituationen wie die Klimaerwärmung reagieren zu können“, so Gerald Reiner zur taz. Verringert sich die Genvielfalt, können sich unbemerkt defekte Genvarianten ausbreiten. Bis zwei Defektträger verpaart werden und statistisch gesehen jeder vierte Embryo den Defekt auf beiden Chromosomen trägt. Diese „sterben ab oder entwickeln sich zu einem Tier mit geringerer Vitalität“, so Reiner.

So fand man bei einem im vergangenen Jahr in Hessen erlegten Hirsch einen stark verkürzten Unterkiefer vor. In einem schleswig-holsteinischen Gebiet kommen Hirschkälber ohne Augen zur Welt. Kein gänzlich neuer Missstand – Wissenschaftler Reiner erklärt, schon Charles Darwin habe Sorgen in Bezug auf englisches Rotwild artikuliert. Doch moderne Bebauung mit Autobahnen und Zäunen verunmöglicht den Austausch zwischen Populationen zunehmend. Ein Phänomen, dass auch andere Spezies betrifft.

Abhilfe schaffen sollen Grünbrücken quer über die Straßen, aber auch Naturbiotope, die großflächig miteinander vernetzt werden. Acht solcher Brücken gibt es bereits in Hessen, zwölf weitere werden vom Landesjagdverband gefordert. Zusätzlich verlangt Gerald Reiner: „Junge wandernde Rothirsche müssen zwischen den ausgewiesenen Gebieten geschont werden, sonst können sie ihre Mission nicht erfüllen“. Kurzerhand Tiere aus anderen Regionen überzusiedeln sei keine Option: „Das macht aus unseren Naturräumen Tierparks“, sagt der Experte. Im ersten Paragrafen des Bundesnaturschutzgesetzes heißt es indes, der Schutz der biologischen Vielfalt sei auf Dauer zu sichern.

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6 Kommentare

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  • " Hirsche in Hessen treiben Inzucht"



    das ist gar nicht möglich-denn dazu brauchen sie hirschkühe.

    die vernetzung der wälder durch grüne brücken ist nicht nur für hirschkühe und hirsche gut sondern auch für viele andere tiere und insbesondere auch für die wolfsrudel,denen die jäger*innen in zukunft keine konkurrenz mehr machen sollen.



    in der auseinandersetzung mit den raubtieren haben die beutetiere eine gewisse chance zu überleben,.ein hirsch der den wolf frühzeitig genug bemerkt oder schneller und ausdauernder ist entkommt vielleicht der gefahr.bei der jagd mit gewehren ist der tödliche erfolg immer garantiert.



    ausserdem entscheiden sich die wölf*innen im gegensatz zu den jäger*innen nicht dafür raubtiere zu sein .ihre natur lässt ihnen diesbezüglich keine andere wahl.

    wenn man wolfsrudel wieder zulässt,gibt es auch einen weiteren grund hecken zu pflanzen ,denn diese können vor wölfen schützen.

    ein netzwerk aus waldstreifen und hecken erhöht die artenvielfalt,,verhindert inzucht verschönert die landschaft,frisst kohlendioxid aus der luft und wirkt der erosion entgegen .

    menschen sollten kein fleisch essen:dann kann der natur sehr viel land zurückgegeben werden.

    mit wäldern kann man auch künstlerisch viel machen:man könnte zum beispiel die namen von landschaften mit waldstreifen auf die landschaften schreiben,so dass man sie vom weltraum aus lesen kann

  • 8G
    83191 (Profil gelöscht)

    Die Tiere haben sich leider längst an diese Grenzen gewöhnt. Ob begrünte Brücken mit einer Dauerlärmbelästigung da helfen wage ich zu bezweifeln.Ich habe vor einer Weile erfahren dass sich das Wild immer noch strikt an die Bayrisch-Tschechische Grenze aus dem Kalten Krieg hält und eine Vermischung dieser Populationen quasi nicht stattfindet.

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Seit konsequenter Einführung einer Kulturlandschaft vor etlichen tausend Jahren haben wir uns klar gegen die Natur im ursprünglichen Sinn entschieden. Jetzt, fast auf die Spitze getrieben, sollen verbundene Reservate die Lösung sein? Es gibt kein „zurück“. Und nicht vergessen: Deutschland ist - zumindest was Rot-, Damm- und Schwarzwild angeht das wildreichste Land Europas.

  • Unsere größte (wildlebende) Säugetierart? Das ist die Kegelrobbe. Dann kommt das Wildschwein. Der Hirsch belegt erst den dritten Platz!

    Rechnet man auch die Wisente im Rothaargebirge zu den Wildtieren, bekommt der Hirsch nicht mal die Bronzemedaille.

  • Ohne Autobahnen geht es leider nicht mehr. Viele Menschen müssen mittlerweile jeden Tag weite Strecken fahren, weil in der Stadt, in der sie arbeiten, keine günstigen Wohnungen mehr verfügbar sind. Die Umsiedelung von langjährigen Arbeitslosen aufs Land ist ja unmenschlich.

    Durch Abschüsse besonders inzuchtgeschädigter Rehe und Hirsche kann der Genpool sicher auch aufgefrischt werden.

  • Herrliches Bild!! So sehen Männer im Liebesrausch aus.....