Zivilorganisation über Push-Backs: Kroatiens Gewalt gegen Migranten
An der EU-Außengrenze in Kroatien werden Geflüchtete wiederholt illegal zurückgedrängt. Human Rights Watch prangert das in einem Bericht an.
Auch unbegleitete Kinder und Familien mit Kleinkindern werden von der kroatischen Polizei weiter zurückgedrängt. Das geschehe „trotz offizieller Dementis und wiederholter – nicht eingehaltener – Zusagen, das Recht auf Asyl und andere Menschenrechtsnormen zu respektieren“, so HRW. „Die Grenzpolizei stiehlt oder zerstört häufig Telefone, Geld, Ausweispapiere und andere persönliche Gegenstände und setzt Kinder und Erwachsene oft einer erniedrigenden und entwürdigenden Behandlung aus.“
Die Menschen würden „regelmäßig und oft gewaltsam“ nach Bosnien und Herzegowina zurückgeschoben, ohne ihre Asylanträge oder Schutzbedürfnisse zu prüfen, gibt HRW an. Die kroatische Polizei übergebe die Menschen nicht an den regulären Grenzposten an die Behörden von Bosnien und Herzegowina. Befragte gaben gegegnüber HRW an, dass sie durch Flüsse oder Bäche waten, über Felsen klettern oder sich einen Weg durch dichte Wälder bahnen mussten, oft nachts und ohne zu wissen, wie sie die nächste Stadt erreichen könnten.
HRW befragte nach eigenen Angaben mehr als 100 Personen, darunter mehr als 20 unbegleitete Kinder und zwei Dutzend Eltern, die mit kleinen Kindern reisten, die von den oft brutalen Zurückdrängungen berichteten, teils erst im April 2023. Einige sagten, die kroatische Polizei habe sie Dutzende Male zurückgedrängt und ihre Asylanträge routinemäßig ignoriert. Andere Gruppen wie das Border Violence Monitoring Network (BVMN) oder das Geflüchtetenhilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) sind seit Jahren zu ähnlichen Ergebnissen gekommen.
EU finanziert Grenzschutz in Kroatien
Zwischen Januar 2020 und Dezember 2022 hat der Dänische Flüchtlingsrat fast 30.000 solcher Zurückweisungen – oft auch Pushbacks genannt – erfasst. Etwa 13 Prozent der im Jahr 2022 so dokumentierten Zurückschiebungen betrafen Kinder, allein oder mit ihren Familien. Afghanistan ist das häufigste Herkunftsland.
Alan Mitchell, CPT
„Die kroatische Regierung hat die Institutionen der Europäischen Union mit Ablenkungsmanövern und leeren Versprechungen hinters Licht geführt“, so Michael Garcia Bochenek, der Autor des HRW-Berichts. „Diese abscheulichen Menschenrechtsverletzungen – und die offizielle Heuchelei, die sie begünstigt – sollten ein Ende nehmen.“
Die EU finanziert den Grenzschutz in Kroatien mit erheblichen Summen. Ein von der EU finanzierter Grenzüberwachungsmechanismus, der 2021 eingerichtet wurde, sei „nicht unabhängig“, kritisiert HRW.
Kroatien bestreitet trotz erdrückender Beleg die Pushbacks bis heute. Eine Ausnahme war ein TV-Interview, das die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović 2019 in der Schweiz gab. „Ich habe mich beim Innenminister, dem Polizeichef und den Polizisten vor Ort erkundigt, und sie haben mir versichert, dass sie keine übertriebene Gewalt anwenden. Natürlich ist ein bisschen Gewalt nötig, wenn sie Pushbacks durchführen“, sagte Grabar-Kitarović damals.
Deutsche Beamte als Grenzschützer in Kroatien
Hintergrund der kroatischen Praxis war lange die Anwärterschaft auf die Vollmitgliedschaft in die Schengen-Gemeinschaft, die Bewegungsfreiheit ohne Passkontrollen an den Landesgrenzen innerhalb der Europäischen Union (EU) ermöglicht. Für den Wegfall dieser Binnengrenzkontrollen mussten die Schengen-Innenminister überzeugt sein, dass ein Kandidat seine Grenzen effektiv sichert. Im Dezember 2022 war es nach neun Jahren so weit: Kroatien wurden volles Mitglied des Schengenraums.
Nach einer Erhebung der Nichtregierungsorganisation Border Violence Monitoring Network (BVMN) hat Deutschland von 2016 bis 2021 insgesamt 24 so genannte Verbindungsbeamt*innen für den Grenzschutz in Kroatien stationiert, dazu 129 Bundespolizist*innen mit Mandat der EU-Grenzschutzagentur Frontex. 2,8 Millionen Euro flossen aus Deutschland an den kroatischen Grenzschutz in Form von Fahrzeugen, Wärmebildkameras und Überwachungstechnologie. 87 Seminare und Besuche wurden abgehalten – Gesamtkosten: 422.000 Euro. „Begünstigt wurden nachweislich auch solche Einheiten, die an gewaltsamen Pushbacks und Misshandlungen beteiligt sind“, so das BVMN.
Jenseits solcher Trainings hat Kroatien operative Einsätze der EU-Grenzschutzagentur Frontex auf seinen Territorium weitgehend abgelehnt – offensichtlich um ungestört an den Pushbacks festhalten zu können, die von der EU offiziell kritisiert und abgelehnt werden.
Ende März 2023 hatte der Europarat einmal mehr Pushbacks an den EU-Außengrenzen angeprangert und dabei ausdrücklich auch Kroatien kritisiert. Die Regierungen sollten „Mechanismen entwicklen, um jede Art von Misshandlung an den Grenzen zu verhindern“, erklärte der Vorsitzende des Anti-Folter-Komitees (CPT) der Straßburger Organisation, Alan Mitchell. „Pushbacks sind illegal, inakzeptabel und müssen aufhören“, fügte er hinzu. Das CPT forderte von den Staaten eine ordnungsgemäße Registrierung von ankommenden Migranten und die Möglichkeit für diese, Asyl zu beantragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag