piwik no script img

Zivile Opfer von LuftangriffenVon denen keiner spricht

Menschenrechtsaktivisten werfen Russland die Tötung Unschuldiger vor. Auch die USA würden in Syrien und dem Irak keinen „sauberen“ Krieg führen.

Wer bombardiert wen? Wohnviertel in Douma bei Damaskus nach einem Angriff. Foto: dpa

Istanbul taz | In einem Punkt sind sich Amerikaner und Russen einig. Um den „Islamischen Staat“ (IS) zu schlagen, müsse man sie an ihrer Achillesferse treffen, den Öleinnahmen. Dazu haben amerikanische und russische Kampfjets in jüngster Zeit die vom IS kontrollierten Ölanlagen und Tanklastzüge in der ostsyrischen Provinz Deir ez-Zor bombardiert. Nach eigenen Angaben hat Russland mehr als 1.000 Tanklastzüge sowie ein Lager in der Nähe der inoffiziellen IS-Hauptstadt Rakka zerstört, das US-Militär will knapp 400 Laster zerstört haben.

Zudem sollen durch die Luftangriffe um Deir ez-Zor laut dem russischen Verteidigungsministerium Ende letzter Woche 600 IS-Kämpfer getötet worden sein. Unabhängige Aktivisten sprechen dagegen von einem „Massaker an Zivilisten“. Nach ihren Angaben forderten die Bombardements Dutzende Tote unter der Zivilbevölkerung, unter ihnen Vertriebene, die in einer Schule untergebracht waren. Auf sozialen Medien veröffentlichten sie Bilder von Opfern, unter ihnen auch Kinder. Ob die Aufnahmen tatsächlich nach russischen Luftangriffen gemacht wurden, konnte die taz nicht überprüfen.

Moskau hat sich bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert. Die Aktivisten in Deir ez-Zor sind freilich nicht die Einzigen, die Russland schwere Vorwürfe machen. Ende Oktober seien im Norden Syriens zwölf Notspitäler durch die Luftangriffe zerstört worden, berichtete die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Dabei wurden nach ihren Angaben 35 Patienten, Ärzte und Pfleger getötet und 72 weitere Personen verletzt. Zwar machte die Organisation keine Kriegspartei für das Massaker verantwortlich. Doch lagen die Krankenhäuser in Regionen, in denen ausschließlich das syrische Regime und Russland bombardieren.

Nach übereinstimmenden Angaben von Aktivisten und Experten hat Russland seit Beginn der Luftangriffe in Syrien weitaus häufiger Rebellenstellungen bombardiert als den IS. Die Angriffe seit Ende September sollen Hunderte Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert haben. Nach Angaben der in Großbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden dabei 403 Zivilisten getötet, unter ihnen 97 Kinder. Das Syrische Netzwerk für Menschenrechte spricht von 526 Toten, von denen 137 Kinder gewesen seien. Darüber hinaus haben die russischen und syrischen Angriffe in den Provinzen Aleppo und Idlib mehr als 200.000 Menschen zur Flucht gezwungen.

Ende Oktober sollen im Norden Syriens zwölf Notspitäler durch Luftangriffe zerstört worden sein

Russland setzt auf billige Freifallbomben

Militärexperten führen die hohe Zahl an zivilen Opfern auf die Art der Bomben zurück, die Russland in Syrien einsetzt. Zwar verfügen die russischen Luftstreitkräfte wie die Nato-Armeen über relativ präzise Fernlenkwaffen und Lenkbomben, mit denen sie auch Ziele in Syrien beschießen. Großteils würde Russland jedoch auf sogenannte Freifallbomben setzen, die wesentlich billiger sind, aber auch ungenauer treffen. Darüber hinaus werfen Menschenrechtsorganisationen und syrische Oppositionelle Russland den Einsatz von Streubomben vor, die gerade für die Zivilbevölkerung verheerend sind.

Den „sauberen“ Krieg gibt es freilich auch mit Lenkbomben, lasergelenkten Bomben und Fernlenkwaffen nicht. Auch die Bombardements der Amerikaner und ihrer Verbündeten im Krieg gegen den IS haben zivile Opfer gefordert. Laut der Beobachtungsstelle wurden durch die Luftangriffe der Anti-IS-Koalition seit dem September vergangenen Jahres 250 Zivilisten getötet. Unter den Toten seien 66 Kinder im Alter von unter 8 Jahren und 44 über 18-jährige Jugendliche.

Vergangene Woche räumte das US-Militär ein, dass einem Bombenangriff auf einen mutmaßlichen IS-Konvoi in der Nähe der irakischen Stadt Mossul am 15. März „vier Nichtkombattanten“ getötet wurden, darunter vermutlich ein Kind. Zudem bestätigten die USA die Tötung von zwei Zivilisten durch einen Luftangriff auf die Stadt Hamren. Ein kanadischer Bombenangriff in der Nähe von Mossul soll diesen Monat mindestens fünf Tote gefordert haben.

Da Journalisten keinen Zugang zu den vom IS kontrollierten Gebieten haben, lassen sich die Angaben über zivile Opfer häufig nur schwer oder gar nicht überprüfen. So sind die Fahrer der angegriffenen Tanklastzüge im Deir ez-Zor in der Regel keine IS-Mitglieder, sondern Männer, die einfach einem Job nachgehen. Nach Angaben des US-Miltärs seien sie zuvor durch Flugblattabwürfe gewarnt worden. Doch selbst wenn sie sich retten konnten, haben sie ihren Besitz verloren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Nee, in Douma sind aktuell wie seit vielen Monaten Menschen vom Verhungern bedroht, weil sie umzingelt eingeschlossen sind von den Militärs der Assad-Firma.

    Wie kann ihr Tod verhindert werden?

  • Es gibt keine sauberen Kriege und gab es noch nie! Wann geht das in die Köpfe rein?

  • Einen "sauberen" Krieg gab es noch und wird es nie geben. Dessen muß sich jeder bewußt sein, der an militärische "Lösungen" glaubt.

     

    90% aller Kriegstoten sind Zivilisten. Dessen muß sich jeder bewußt sein, der an militärische "Lösungen" glaubt.

     

    Die Angriffe auf die angebliche Achillesferse des IS, das Öl, dienen lediglich den wirtschaftlichen Interessen der USA und Russlands. Dessen muß sich jeder bewußt sein, der an militärische "Lösungen" glaubt.

     

    Die Strategien der NATO im "Kampf gegen den Terror" haben seit 2001 keinen einzigen nachhaltigen Erfolg erzielt und werden den Terror nicht besiegen. Dessen muß sich jeder bewußt sein, der an militärische "Lösungen" glaubt.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      "Die Strategien der NATO im "Kampf gegen den Terror" haben seit 2001 keinen einzigen nachhaltigen Erfolg erzielt..."

      Doch Destabilisierung von zB. Rohstoff- , Rohstoff-Transit- und geostrategisch wichtigen Ländern. Das ist doch was, oder ?

      • @lions:

        So gesehen richtig. Es kommt auf den Standpunkt an.

      • @lions:

        Und der arabische Frühling ist mittlerweile verblüht.

        War das also auch ne scheiß Idee das zu unterstützen?

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Doch eine militärische "Lösung" kann funktionieren.

      Sie muss nur etwas drastischer sein als die letzten westlichen Einsätze.

       

      Kurz die Illusion eines sauberen Krieges mit Präzisionswaffen wo nach kurzer Zeit dann Wahlen statt finden lässt und an Einheimische die Verantwortung übergibt wird nicht klappen.

      Ich denke aber Bombenteppiche, "Nürnberger Prozesse", standrechtliche Exekutionen und jahrelange Besatzung mit Fremdjustiz könnte klappen.

      Die Mittel, die uns von den Nazis befreit haben funktionieren sicherlich auch bei Islamisten.

      • @Thomas_Ba_Wü:

        Na, ein bißchen mehr als Siegerjustiz war dann doch noch gegeben, Stichwort Marschallplan - dieser war die eigentliche Grundlage für einen dauerhaften Frieden in Europa. Einen solchen Plan gibt es nicht für Syrien, gab es nicht für Afghanistan und auch nicht für den Irak. Deshalb ist ein weiteres Scheitern vorprogrammiert + mittelfristiger Verschlimmerung der Gesamtsituation.

  • ja, dieses ist ein Artikel über die wirklichen Verlierer des/der Krieg/e. Im Grunde ist die deutsche Regierung durchgeklallt und meint sie müsse mit Bombern Frieden schaffen. Alle in der ersten Welt sind sich einig "....... zu den Waffen , wir müssen kämpfen; wir haben einen Freind , es lohnt sich!" Und ein Freindbild zu haben ist die erste Voraussetzung für Krieg.Wenn wir in die Geschicchte zurück schauen, dann wissen wir doch wo das enden wird. Irgendwie erinnert mich das an die Zeiten , wo damals der Vietkong in Vietnam gekämpft hat. An die Strategie um gegen eine Großmacht mit all ihrer Rüstungsmaschinerie zu siegen. Zum Schluß werden wir die Toten betrauern und Historiker werden ihre Bücher schreiben.

  • Es ist traurig, dass die Menschen nicht lernen. Die Politiker meinen, mit militärischen Mittel sei der IS zu vernichten, der Kampf zu gewinnen.

    Ich erinnere hier an Mandela, der gesagt hat, dass für jeden getöteten Terroristen zehn neue nachkommen..

    So erzeugen das Bombardement und der Drohenkrieg des Westens gegen die arabische Welt gerade diesen IS mit den Terroranschlägen anstatt sie zu verhindern.

  • jemand der jahrelang unter den Bomben leidet - ob von Assad, Putin, Obama, Erdogan oder Hollande ist da egal - wird den Glauben an die internationale Gemeinschaft verloren haben. Diese scheint sich ja nur darin einig zu sein, dass sie ihre Bomben abwerfen dürfen.

    Da bekommt der IS dann großzügig Zulauf. Schließlich bombardiert er nicht und steht - oberflächlich betrachtet - immerhin für eine Ideologie, die auch positive islamische Werte enthält.

    • @Velofisch:

      Könnte es sein, dass Sie bei Ihrer Aufzählung von Verantwortlichen Frau Merkel vergessen haben?

       

      Ach nein, diese Dame liefert ja nur die Waffen für das Gemetzel und kann damit ihren Heiligenschein weiterhin bewahren.

  • "Auch die Bombardements der Amerikaner und ihrer Verbündeten im Krieg gegen den IS haben zivile Opfer gefordert. "

    Ach..."auch die Amerikaner..." wie amuesant.

     

    Es sollte doch inzwischen bekannt geworden sein, dass auch von deutschem Boden, von Rammstein aus, tagtaeglich Drohnenangriffe geflogen werden. Dies sind politische Morde, die zudem auch noch viele Zivilisten treffen. Die US Amerikaner gehen dabei sogar so weit, auf die erste Predator Rakete nach kurzer Zeit noch eine zweite folgen zu lassen, so dass es auch noch viele Hilfskraefte trifft. Es sollte inzwischen eigentlich auch bekannt geworden sein, dass der Ueberfall auf den Irak unter dem Vorwand, Massenvernichtungswaffen zu finden absolut voelkerrechtswidrig war. Ergebnis: geschaetze Eine Millionen Tote. Die Amerikaner haben hierbei auch Phosphorbomben eingesetzt gegen Soldaten, aber auch gegen Doerfer. Eine Millionen Tote! Da muessen sich die Russen nun aber ganz gewaltig ins Zeugs legen, um auf eine solche Zahl zu kommen. Und was war mit dem Krankenhaus in Afghanistan, es iat auch noch gar nicht so lange her, dass es dummerweise durch einen Luftschlag der Amerikaner gekostet hat. Der allerbeste Weg, wie der Westen, die Syrien-Misere beenden koennte, waere sich da einfach rauszuhalten und auch die eigenen Alliierten wie Katar und Saudi-Arabien und die TUerkei zum selbigen Verhalten zu zwingen. Alles andere ist reine Heuchelei - wir zuendlen da selbst ganz kraeftig mit!

  • Im Prinzip ist es nur noch pervers. Das ist der einzigste Ausdruck, der mir dazu noch einfällt. Die Presse schreibt es; die Leser lesen es; die Mititärs morden nach wie vor; Deutschland macht mit: die Spirale dreht sich; die Strategen führen ihre Strategie weiter............................

    Jupp, aus den vergangenen Kriegen nix gelernt, Der Mensch ist zu BLÖDE!!!

    Einen sinnvollen Beitrag noch zu schreiben, fällt mir da nicht mehr ein.

    Ich geh jetzt Holz hacken....ist gut gegen meinen Frust.