piwik no script img

Zivilcourage mit Folgen„Unser Handeln war alternativlos“

Die Brüder Reiner und Ralf Bender übersprühten in Limburg Hakenkreuze. Jetzt müssen sie für die Reinigung zahlen.

Auch wenn‘s ein Hakenkreuz wäre: Übermalen kann teuer werden. Foto: AP
Peter Weissenburger
Interview von Peter Weissenburger

taz: Herr Bender, was ist am 27. März 2013 passiert?

Reiner Bender: Ich war in Limburg unterwegs und habe am Straßenrand eine Vielzahl antisemitischer und nazistischer Hetzschriften sowie Hakenkreuze bemerkt. Weil ich querschnittsgelähmt bin, kann ich aber nicht so leicht aus dem Auto aussteigen. Also habe ich meinen Bruder angerufen. Wir haben dies dann dem Ordnungsamt gefaxt und es gebeten, die menschenverachtenden Schmierereien zu entfernen. Leider ist daraufhin nichts passiert, also haben wir – nach zweieinhalb Wochen – beschlossen, die Hakenkreuze und Hetzschriften selbst wegzukratzen, und wo das nicht ging, zu übersprühen. Dabei hat uns die Polizei erwischt.

Dafür sind Sie zu knapp 1.000 Euro Strafe verurteilt worden. Das Landgericht hat das Urteil jetzt bestätigt. Sie sind Grundschullehrer. Wie erklären sie das Urteil Ihren SchülerInnen?

Das ist überhaupt nicht zu erklären. Es ist ein einziger Irrsinn. Die Stadt Limburg hat auf unseren Hinweis nicht reagiert und jetzt macht sie uns, die wir in Ersatzvornahme einer untätig gebliebenen Ordnungsbehörde die Nazischmierereien entfernt haben, zu Schuldigen, um eigenes Versagen nicht eingestehen zu müssen.

Welche Reaktionen haben Sie aus der Bevölkerung erfahren?

Viele Menschen unterstützen uns, einige haben uns sogar Geld gespendet. Aber es gibt eben auch einen Bodensatz, der sich durch das Urteil in seinem menschenverachtenden Handeln bestätigt fühlt. Irgendjemand hat dann auch kurz nach dem Amtsgerichtsurteil Hakenkreuze auf mein Auto gemalt. Die Polizei hat uns geraten, unser Bewegungsprofil ständig zu verändern und gewisse Sicherheitsvorkehrungen rund um unser Haus vorzunehmen.

Im Interview: Reiner und Ralf Bender

Die Zwillingsbrüder, 53, sind beide Grundschullehrer im Raum Limburg (Lahn).

Wenn Sie das nächste Mal an einem Hakenkreuz vorbeikommen, fahren Sie dann weiter?

Natürlich nicht. In der Zwischenzeit ist das auch schon häufiger vorgekommen: Zum Beispiel am Holocaust-Gedenktag des letzten Jahres. Wir haben ein Hakenkreuz dann eben mit einem Stück Papier überklebt. Wieder haben wir es sofort gemeldet, doch dauerte es einige Wochen und bedurfte des wiederholten Aufforderns, bis endlich das Hakenkreuz durch das Ordnungsamt der Stadt Limburg entfernt wurde.

Haben Sie das Gefühl, etwas verändert zu haben?

Ja das glaube ich schon. Wir jedenfalls konnten gar nicht anders handeln. Wir hätten uns sonst mitschuldig gemacht. Die antisemitischen und nazistischen Hetzschriften sowie die Hakenkreuze zu entfernen oder zu übersprühen war – wenn ich die Kanzlerin mal zitieren darf – alternativlos.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

12 Kommentare

 / 
  • 1G
    12294 (Profil gelöscht)

    Nein, nein und nochmals nein! Es gibt sehr sehr gute Gründe, warum Selbstjustiz in Deutschland - aus welchem Grund auch immer - nicht vorgesehen ist. Der Rechtsstaat muss gegen diejenigen vorgehen, die die Staatsgewalt an sich reißen. Wer so handelt, gräbt ebenso an den Grundfesten unserer Gesellschaft wie diejenigen, die er zu bekämpfen glaubt.

    • @12294 (Profil gelöscht):

      Das Übermalen von Hakenkreuzen hat mit Selbstjustiz herzlich wenig zu tun.

      Hier war es offensichtliche Notwehr zur Abwendung eines behördlichen Notstands und auch sonst ist ein solches Vorgehen in einer freiheitlichen Demokratie durch das Widerstandsrecht durchaus abgedeckt, zulässig und darüber hinaus auch unbedingt wünschenswert.

      • 1G
        12294 (Profil gelöscht)
        @Rainer B.:

        Das sehe ich komplett anders. Nur ein Beispiel: Wer hat denn etwa festgelegt, wann die Zeit zum Eingreifen reif war? Die Bender-Brüder ließen zweieinhalb Wochen verstreichen, bevor sie das Zepter selbst in die Hand nahmen. Das ist völlig willkürlich. Manch einer hätte schon viel früher eingegriffen, manch anderer später. Nein, die Bender-Brüder haben das eigenmächtig festgelegt.

        • @12294 (Profil gelöscht):

          Die Zeit zum Eingreifen der Behörden war doch sofort nach Bekanntwerden der Hakenkreuzschmierereien reif. Da trotzdem und auch auf Anfrage nichts unternommen wurde, konnten die Benders nach zwei Wochen durchaus von einem behördlichen Notstand ausgehen und selbst aktiv werden. Willkürlich war hier nur das Urteil des Landgerichts.

          • 1G
            12294 (Profil gelöscht)
            @Rainer B.:

            Sie behaupten ernsthaft, das Urteil sei "Willkür", die zweiwöchige Wartezeit der Benders nicht? Dann sehe ich hier leider keine Grundlage für eine weitere Diskussion.

            • @12294 (Profil gelöscht):

              So ist es!

  • Die Besetzung des Limburger Ordnungsamtes gehört dringend ausgetauscht und die des Landgerichts auch.

  • Bravo! Reiner und Ralf Bender gehört das Bundesverdienstkreuz überreicht!!!

  • Limburg ist doch auch die Stadt mit dem berüchtigten Psychopathen-Bischof Tebartz-van Elst.

     

    ""Es war doch ein System von Maßlosigkeit, zwielichtigem Finanzgebaren, Vertuschung und Lügen mit totalitären Zügen. Wie können diese Leute, die darin verwickelt waren, einfach weitermachen?", fragt Janssen."

     

    "Insbesondere die Mitglieder im Domkapitel, die Tebartz gewählt hätten, dürften nicht noch einmal einen Bischof in Limburg bestimmen."

    http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/tebartz-van-elst-neuer-aerger-im-bistum-limburg-a-1052295.html

  • Weiß jemand, ob die Stadt Limburg für sowas wie "nicht nachgehen der ordnungsamtlichen Pflichten" anzeigbar wäre? Dann könnte man denen sorum auch nen Schuh draus machen.

    • @Wu:

      Grundsätzlich besteht die Möglichkeit die Stadt per Verpflichtungsklage zu einer bestimmten Hadnlung zu zwingen. Hier geht das allerdings nicht, da die Hakenkreuze um die es geht ja bereits übermalt sind. Man könnte leidglich für zukünftige Fälle per Fortsetzungsfeststellungsklage feststellen lassen, dass die Stadt verplfichtet gewesen wäre die Hakenkreuze entfernen zu lassen. Sowas ist aber meist recht schwierig, da ,man eine Ermessensreduzierung auf Null nachweisen muss. ( Es darf keine andere erlaubte Handlungsmögöichkeit geben.) Ich kenne mich mit der Rechtsprechung bei Schmiererein die verfassungsfeindliche Symbole enthalten nicht aus, aber so spontan würde ich schätzen dass so ene Klage eher schlechte Erfolgsaussichten hat.

      • @Destruktiv:

        Lieber Destruktiv,

         

        vielen Dank für ihre kompetent wirkende Antwort. Es ist mir sachlich klar, dass der Tatbestand der Sachbeschädigung ein juristisches Delikt ist. Dass ein staatliches Organ seine exekutive Funktion nicht ausführt und dafür nicht belangt werden kann, wundert mich -wofür ist denn dieser ganze Apparatus bloss da? Naja, die Antwort kenn ich eigentlich selbst. Vielen Dank für die Einsichten, ich freue mich sehr, dass Sie sich die Mühe einer Antwort gemacht haben.