Zivilcourage gegen Rechts in Thüringen: Ein Dorf kämpft – und verliert
In Ballstädt wollten viele Bewohner einen Neonazi-Treff nicht hinnehmen. Doch die Rechten schlugen zurück. Nun herrscht vor allem Angst.
Doch die Ruhe trügt. Seit fünf Jahren dient das gelbe Haus als Treffpunkt der rechten Szene. Hier gehen Neonazis ein und aus, Nazibands spielen auf – innerhalb kurzer Zeit avancierte das 700-Einwohner*innen-Dorf im Landkreis Gotha zu einem Dreh- und Angelpunkt der Rechtsextremen in Thüringen.
Die Ballstädter*innen wollten sich das nicht gefallen lassen. Sie kämpften gegen die Rechten im Dorf – und verloren. Seit im Februar 2014 ein gutes Dutzend Neonazis die Feier des Kirmesvereins stürmte und zehn Leute verletzte, steht in dem kleinen Dorf in Thüringen niemand mehr auf gegen Rechts. „Es ist, als wäre ein Schalter umgelegt worden“, erzählt ein Bewohner des Dorfes, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will.
An der Wand des Feuerwehrhauses hängt noch das Banner: „Ballstädt steht auf für Demokratie und Vielfalt und gegen rechte Gewalt.“ Doch genauso wie das Transparent mit der Zeit verblasst ist, sind auch die Stimmen derjenigen, die sich gegen die Neonazis wehren, immer leiser geworden. Denn die Geschichte von Ballstädt ist auch die Geschichte einer verarmten Gemeinde, schleppender juristischer Konsequenzen und fehlender politischer Aufmerksamkeit. Sie erzählt, wie Zivilcourage schrumpft, wenn die Akteure allein gelassen werden.
Im August 2013 zogen Neonazis in das „Gelbe Haus“
Begonnen hatte alles im August 2013, als die beiden Neonazis Steffen Mäder und André Keller beschlossen, in das alte Bäckereigebäude, das sogenannte „Gelbe Haus“, in der Ballstädter Hauptstraße zu ziehen. Mäder, der kurz zuvor in Österreich zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt wurde, musste seinen Umzug zunächst abblasen. Als Mitglied des kriminellen Netzwerks „Objekt 21“ war er an diversen Brandanschlägen und Einbrüchen beteiligt.
Keller dagegen zog mit anderen in der Szene bekannten Neonazis in das Gelbe Haus ein. Er selbst kommt aus dem Umfeld der rechtsextremen „Hausgemeinschaft Jonastal“, die sich nicht ohne Grund selbst mit „HJ“ abkürzt
Das Gelbe Haus diente von Anfang an nicht nur als privater Wohnraum: Auch die Rechtsrock-Band „SKD“ („Sonderkommando Dirlewanger“) hat dort ihre Zentrale. Die Band hat Lieder mit den Titeln „Führer Adolf“ oder „The Final Race War“ veröffentlicht und kokettiert auf ihren CD-Covern offen mit dem Hakenkreuz. Thomas Wagner, der langjährige Frontmann, ist Miteigentümer des Hauses, der in Österreich verurteilte Steffen Mäder war Gitarrist der Band.
Auch die als rechtsextrem eingestufte Kameradschaft Garde 20/Turonen hat ihren Hauptsitz in dem Privathaus. Das Netzwerk wird vom Verfassungsschutz beobachtet.
Mindestens 15 rechte Immobilien in Thüringen
Dass private Immobilien im ländlichen und strukturschwachen Raum strategisch durch Neonazis genutzt werden, ist keine Seltenheit. Derzeit überwacht der Verfassungsschutz 136 solcher Immobilien in Deutschland, die mobilen Beratungsstellen gehen von noch weitaus höheren Zahlen aus – Tendenz steigend.
Zählte die Mobile Beratung in Thüringen (MOBIT) 2015 noch neun rechte Immobilien, sind es mittlerweile mindestens 15. „Die Strategie wird beliebter“, erklärt Felix Steiner von MOBIT. „Die Neonazis bemerken, wie viel weniger angreifbar sie in privaten Räumen sind.“ Die Polizei könne kaum eingreifen, wenn Neonazis verfassungsfeindliche Symbole offen und ihre Ideologie weitertragen.
Doch die Ballstädter*innen wollten das nicht hinnehmen. Sie gründeten ein Bündnis gegen Rechts und begannen unmittelbar nach dem Einzug der Neonazis, diverse Protestveranstaltungen zu organisieren: Demonstrationen, Infoveranstaltungen, Filmvorführungen und Lesungen. „Jetzt macht das keiner mehr“, sagt ein Bewohner des Dorfes, der genauso wenig wie die anderen Beteiligten seinen Namen in der Zeitung lesen möchte.
Im Dezember tauchte dann ein „NO NAIZ“-Schriftzug (Fehler im Original) an der gelb gestrichenen Hauswand auf und eine Scheibe war eingeschlagen. Das Ballstädter Bündnis gegen Rechts distanzierte sich sofort. Doch die Gruppe im Gelben Haus sah das anders.
Neonazis stürmen Kirmesfeier
„Wer hat die Scheibe eingeworfen?“, soll einer der Männer gerufen haben, die die Kirmesfeier in der Nacht vom 9. auf den 10. Februar 2014 stürmten. Nur zwei Minuten dauerte der Angriff: Die vermummten Neonazis traten auf am Boden liegende Menschen ein und schleuderten andere über die Tresen. Viele verletzten sich an den Scherben der zu Bruch gegangenen Scheiben. Eine Gruppe von Frauen verschanzte sich im Nebenraum. „Nie im Leben habe ich eine solche Angst verspürt“, beschrieb eine Zeugin die Tat später in einem Zeitungsbericht. „Ich ärgere mich vor allem darüber, dass die Täter so feige waren“, erzählt ein anderer. „Sie haben uns keine Chance gelassen, uns zu wehren.“
„Seitdem ist das Dorf in Schockstarre“, sagt ein weiterer Bewohner, der unerkannt bleiben will. Zu groß ist die Angst, erneut zur Zielscheibe der Neonazis zu werden.
Horst Dünkel
Dabei sah es zunächst so aus, als könnte der Fall leicht geklärt werden: Der Polizei gelang es innerhalb weniger Tage, die Täter zu identifizieren und Thomas Wagner, einer der Haupttäter, landete in Untersuchungshaft. Nach zweieinhalb Monaten brach er sein Schweigen, gestand und wurde wieder frei gelassen.
Am 2. Dezember begann schließlich der Prozess am Landgericht Erfurt. Ermittelt wurde gegen 15 Neonazis: eine Frau und 14 Männer. Am 24. Mai 2017, also über drei Jahre nach dem Überfall, verkündete der Richter das Urteil. Neun wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt, ein Angeklagter erhielt eine Bewährungsstrafe und vier wurden mangels Beweisen freigesprochen. Und dann stellten die Neonazis Antrag auf Revision – und warten bis heute auf das Ergebnis. Das bedeutet, dass der Prozess immer noch nicht endgültig abgeschlossen ist und die Täter sich nach wie vor frei in Ballstädt bewegen dürfen.
Der Gegenbewegung ist die Luft ausgegangen
Während des Prozesses und bis heute gingen die Täter weiter im Gelben Haus ein und aus. Das Gebäude liegt sehr zentral in der Hauptstraße des kleinen Orts – die Betroffenen des Überfalls wohnen alle nur wenige Minuten Fußweg von dem Haus entfernt. Ein Opfer des Überfalls, das auch in der Allianz gegen Rechts engagiert war, wohnt in der gleichen Straße, höchstens fünf Minuten entfernt vom Gelben Haus. Wegziehen kommt für ihn trotzdem nicht in Frage. „Hier sind meine Freunde und meine Familie“, erzählt er. „Und außerdem halten die Leute hier zum Teil seit dem Überfall mehr zusammen denn je.“
Dennoch: Der Gegenbewegung ist die Luft ausgegangen. Direkt nach dem Überfall hatten sich viele noch gedacht: Jetzt erst recht. Aber mittlerweile haben die Ballstädter*innen den Mut verloren. „Keiner möchte mehr im Rampenlicht stehen“, heißt es im Dorf. „Sollen wir nochmal unseren Kopf hinhalten?“, fragt ein anderer.
Einige sind frustriert, weil der Prozess so lange dauert und sie auch so keinen Weg mehr sehen, wie sie die Neonazis loswerden sollen. Dazu bräuchte die Gemeinde genügend Geld, um die Immobilie abzukaufen. Unterstützung vom Land Thüringen gebe es quasi keine, heißt es. „Die Politiker sind nur am Anfang alle gekommen, um sich zu profilieren. Jetzt hilft uns keiner mehr.“
Ein anderer Grund für den Frust ist auch die ständige Diskussion um die politische Dimension der Tat. Während des Prozesses zeigten die Neonazis zum Beispiel durch T-Shirts mit Aufschriften wie „too white for you“ eindeutig ihre politische Einstellung. Dennoch konnte der Richter keine Nazi-Tat feststellen. Stattdessen hieß es immer wieder, ein Konflikt sei eskaliert – ausgelöst dadurch, dass irgendjemand einen Stein durch die Fensterscheibe im Gelben Haus geworfen habe.
Auch Bürgermeister Horst Dünkel, CDU, sieht das so: „Ohne die eingeworfene Fensterscheibe wäre das alles wohl nicht passiert.“ Vor allem wünscht Dünkel sich aber, dass die negativen Schlagzeilen endlich aufhören. „Es stört, dass der Ort in der Presse andauernd negativ dargestellt wird. Das ist furchtbar für einen Bürgermeister.“ Zudem gebe es eigentlich keinen Konflikt mehr in Ballstädt: „Vor etwa einem Jahr hat ein Kurde einen Dönerladen im Ort eröffnet. Und der wird sehr gut angenommen“, so Dünkel. „Auch die Rechten haben dort schon Döner geholt.“
Kristin Pietrzyk, die zwei der Opfer des Überfalls im Prozess vertreten hat, steht der Haltung des Bürgermeisters äußerst kritisch gegenüber. „Die konservative Mitte scheut sich vor jedem politischen Konflikt und tut einfach so, als gebe es die Nazis nicht“, so die Anwältin. Für sie ist auch die politische Dimension klar: „Das war eine Botschaftstat. Mit dem Scheibeneinwurf hatte der Überfall auf die Kirmesgesellschaft nichts zu tun“.“ Vielmehr hätten die Neonazis den Vorfall als Vorwand genutzt, um zu demonstrieren: Wenn ihr uns als Rechte darstellt, dann habt ihr Ärger.
Auch wenn das Leben im Dorf selbstverständlich weitergeht und momentan nicht viel von den Bewohner*innen des Gelben Hauses zu hören ist: Die erste Runde im Kampf um die Straße haben die Ballstädter*innen verloren.
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