Zerstörung im südossetischen Zchinwali: "Wir haben keine Hoffnung mehr"
Flüchtlinge aus Südossetien berichten im russischen Fernsehen vom Angriff der georgischen Armee. Auch Menschenrechtler bestätigen, dass Zchinwali weitgehend zerstört wurde.
MOSKAU/BERLIN taz "Überall in der Stadt brennt es, auf den Straßen liegen Leichen meiner Mitbürger. Die Trinkwasserversorgung ist zusammengebrochen. In Zchinwali gibt es keinen Strom und kein Gas mehr, kaum noch Wasser, kaum noch Lebensmittel", berichtet einer der südossetischen Flüchtlinge, die es geschafft haben, den georgischen Scharfschützen zu entkommen. Immer wieder würde die georgische Armee Flüchtlingstrecks angreifen, berichtet der Mann im russischen Fernsehen. "Wir haben keine Medikamente mehr, laden unsere Mobiltelefone an Aufladestationen auf, die die Soldaten durch die Straßen tragen. Und das Schlimmste: Wir haben keine Hoffnung mehr."
Völlig überladen quälen sich Pkws und Kleinbusse von Südossetien ins nordossetische Wladikawkas. Den Geflohenen ist der Schrecken der letzten Stunden noch anzusehen. "Die Stadt ist völlig zerstört", berichtet eine Frau, die sich vergebens bemüht, mit ihrem Mobiltelefon nach Zchinwali durchzukommen.
Nachdem die georgischen Truppen die letzte Bäckerei in Schutt und Asche gelegt haben, gibt es auch kaum noch Brot in der gut 30.000 Einwohner zählenden Stadt. Eine andere Frau berichtet in russischen Fernsehen, wie sie mit ansehen musste, wie ein Mädchen bei lebendigem Leibe verbrannte.
Auch der Web-Server der Menschenrechtsorganisation Memorial, "Kavkaskij Uzel", bestätigt, dass die Stadt praktisch vollständig zerstört ist, die Bewohner hätten sich die vergangenen zwei Nächte nur in Kellern aufgehalten. Auch einige Dörfer in der Nähe von Zchinwali seien völlig dem Erdboden gleichgemacht.
Irina Gagloewa, Regierungssprecherin Südossetiens, berichtet von georgischen Scharfschützen, die sich in den Vororten von Zchinwali verschanzt hätten und dort die Wagen mit den Verletzten auf deren Weg ins Krankenhaus beschießen würden. Rund 90 Menschen würden dort derzeit behandelt. Die Gefahr der Sniper würde die Krankentransporte erheblich verzögern, so die Regierungssprecherin.
Das Krankenhaus der Stadt ist von außen als solches nicht mehr erkennbar. Mit seinen vielen Einschüssen sieht es eher wie ein vom Abriss bedrohtes Haus aus. Es sind nur noch zwei Stockwerke einsatzbereit, heißt es in der Nowaja Gaseta. Operationen werden unter extremen Bedingungen, ohne Strom und mit nur sehr wenig Licht, im Keller durchgeführt. Alle Ärzte in diesem Krankenhaus haben seit vier Tagen nicht mehr geschlafen.
Regierungssprecherin Gagloewa berichtet weiter, dass inzwischen 1.600 Menschen der Stadt ums Leben gekommen seien. Und Jurij Morosow, Regierungschef der nicht anerkannten Republik Südossetien, spricht von mehreren tausend Verletzten. Unter ihnen befinden sich auch Journalisten der russischen Nachrichtensendung "Vesti" und Alexander Kots von der Komsomolskaja Prawda.
Zchinwali befinde sich inzwischen in der Hand der 58. russischen Armee, sagte ein Militärsprecher. In den Vororten hielten sich jedoch weiterhin 7.000 georgische Soldaten auf, die die Stadt nach wie beschießen würden.
Die Aufnahmebereitschaft für die Flüchtlinge aus Südossetien ist groß in Russland. Alleine in der russischen Teilrepublik Nordossetien kamen rund 30.000 Menschen an. Die Flüchtlinge werden in Sanatorien, Wohnheimen sowie in Familien untergebracht.
Am Sonntag besuchte Premierminister Wladimir Putin die Flüchtlinge in Wladikawkas und versprach, die russische Regierung werde mehrere Milliarden Rubel zur Verfügung stellen, damit die südossetische Hauptstadt möglichst schnell wiederaufgebaut werden könne. Putin sprach von "Elementen eines Genozids gegen das ossetische Volk", die man in diesem Krieg beobachten könne.
Während die Bewohner Zchinwali verlassen, sind bereits mehrere Freiwilligenverbände aus dem Nordkaukasus sowie Kasachen dort eingetroffen, um ihren "Brüdern" beizustehen. Als Erkennungszeichen tragen sie weiße Armbinden.
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