Georgien und der Kaukasus-Krieg: Angst vor russischem Einmarsch

In Georgiens Hauptstadt Tiflis demonstrieren ein paar hundert Menschen für Frieden. Die Widersprüchlichkeit der Informationen verunsichert sie.

Schon seit einigen Tagen demonstrieren die Menschen in Tifilis gegen die "russische Aggression". Bild: dpa

TIFLIS taz Seit dem Beginn des Krieges zwischen Georgien und Russland um Südossetien herrscht Angst in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Wer kann, bleibt tagsüber zu Hause und verfolgt die Nachrichten im Fernsehen oder Radio. Nur am späten Abend finden sich einige hundert Menschen vor der russischen Botschaft und auf dem zentralen Platz in Tiflis ein, um für Frieden zu demonstrieren.

Trotz des Kriegs im Kaukasus wird die georgische Olympia-Mannschaft in Peking bleiben. Auch die russische Mannschaft werde nicht abreisen, sagte IOC-Sprecherin Giselle Davies in Peking. "Beide Nationalen Olympischen Komitees haben deutlich gemacht, dass sie antreten werden."

Bei der Siegerehrung nach dem Luftpistolenschießen umarmten sich die russische Silbermedaillengewinnerin Natalia Paderina und die Georgierin Nino Salukwadse, die Bronze gewonnen hatte. Die Russin Padernia, die einst zusammen mit Salukwadse im Team der Sowjetunion stand, sagte: "Wir lassen uns durch politische Dinge nicht auseinanderbringen. Sport ist etwas anderes als Politik." Salukwadse nutzte die Gelegenheit für einen Appell an die Politik. "Wir sollten uns niemals dazu herablassen, Kriege gegeneinander zu führen. Die Politiker sollen die Lage schnellstmöglich wieder in Ordnung bringen. Wenn sie das nicht tun, müssen wir uns einmischen".

Auch Natalja ist zutiefst beunruhigt. Die 35-Jährige arbeitet bei der Milizverwaltung in Tiflis und sitzt ununterbrochen vor dem Fernseher. "Die Residenz unseres Präsidenten ist nicht weit von meiner Wohnung entfernt, und wenn Bomben auf Tiflis fallen, sind wir hier besonders gefährdet", sagt sie. "Meine Freundin hat sich schon überlegt, vielleicht nach Tschechien zu fliehen, aber ich glaube nicht, dass wir jetzt noch so einfach aus der Stadt rauskönnen. Außerdem will ich bei meinen Eltern bleiben." Und ein Mann meint: "Am meisten Angst habe ich davor, dass die Russen in Tiflis einmarschieren. Ich hoffe, dass sich die Welt einmischt und uns dann das Schlimmste erspart bleibt."

Derweil läuft das alltägliche Leben in Tiflis normal weiter. Die Geschäfte sind geöffnet und öffentliche Verkehrsmittel verkehren ohne Einschränkung. Auch das Internet funktioniert noch. Gerüchten zufolge bereiten die Russen jedoch die Bombardierung der Anlagen von Mobilfunkbetreibern vor, was die Telefonverbindungen sofort kappen würde.

Mit am meisten verunsichert sind die Menschen in Georgien durch die Widersprüchlichkeit der Informationen. So hat, russischen Angaben zufolge, in der Nacht zu Sonntag ein russisches Flugzeug eine Bombe auf den Militärflughafen von Marneuli im Südwesten Georgiens abgeworfen. Das georgische Fernsehen berichtete jedoch von drei russischen Bombenabwürfen auf einen Hafen und Marinestützpunkt. Dabei sollen zahlreiche Menschen getötet oder verletzt worden sein.

Zuvor hatte die georgische Führung erklärt, die Flugabwehr hätte zehn russische Flugzeuge abgeschossen. Das russische Verteidigungsministerium dementierte diese Nachricht zunächst, räumte dann am Samstagmittag aber ein, dass man tatsächlich zwei Flugzeuge verloren habe. Einer der Piloten habe sich retten können und sei in den Händen der Georgier.

Schon zu Beginn des Krieges - über die Anzahl der Opfer gibt es bislang keine gesicherten Ergebnisse - zeichnete sich ab, dass es sehr schwierig werden wird, gesicherte Informationen über den Kriegsverlauf zu erhalten. So hatten beispielsweise georgische Medien am 8. und 9. August berichtet, dass die südossetische Hauptstadt Zchinwali von georgischen Truppen kontrolliert würde. Gleichzeitig hieß es in russischen Medien, russische Truppen hätten die Stadt von georgischen Streitkräften befreit.

Einer kaum beachteten Nachricht auf russischen Internetseiten zufolge erklärte der Präsident der "unabhängigen" Republik Abchasien, dass seine Truppen in Richtung der georgischen Grenze vorrücken würden. Diese hätten nur wenige Kilometer vor der Grenze haltgemacht. Am gleichen Tag berichteten georgische Medien vom Beschuss georgischer Dörfer in der abchasischen Kodori-Schlucht. Eine Zuspitzung der Situation in Abchasien gilt in Georgien als eines der schlimmsten Szenarien.

Der Ausbruch eines Kriegs zwischen Georgien und Russland kommt für die Menschen in Georgien nicht unerwartet, allenfalls der Zeitpunkt. Denn eine mögliche Eskalation zeichnete sich bereits in den vergangenen Monaten ab. Die Erklärung des georgischen Parlamentes, einen Nato-Beitritt anzustreben, und das georgische Bemühen, in die Europäische Union aufgenommen zu werden, erbosten die russischen Machthaber besonders. In dieses Bild passt auch, dass eine der ersten Erklärungen des russischen Außenministers Lawrow nach Ausbruch dieses Konfliktes war, Georgien sei der Aggressor und verdiene daher auch keine Mitgliedschaft in der Nato.

Mehrfach hatte Russland zudem seinen Unmut über die Aufrüstung und Modernisierung der georgischen Streitkräfte geäußert. Der Verteidigungshaushalt Georgiens ist seit 2005 um das 30fache gestiegen und beträgt derzeit 9 bis 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Am 15. Juli 2008 beschloss das georgische Parlament eine Aufstockung der Streitkräfte von 32.000 auf 37.000. Einen beträchtlichen Teil seiner Militärhilfe erhielt Georgien aus dem Ausland. Der überwiegende Teil der georgischen Offiziere und Soldaten wurde entweder in den USA oder von ausländischen Militärberatern ausgebildet.

Moskau will Georgien schon lange "bestrafen". 2005 wurde der Import von georgischen Zitrusfrüchten in Russland verboten, 2006 von georgischem Mineralwasser. Die Verkehrsverbindungen sind ebenfalls weitgehend gekappt.

Firmen, die Georgiern gehören, werden in Russland besonders streng von den Behörden kontrolliert, Kinder mit georgischen Familiennamen häufig der Schule verwiesen. Georgische Staatsbürger, die die Visa- und Aufenthaltsbestimmungen verletzt hatten, wurden demonstrativ des Landes verwiesen. Doch eine derartige offene militärische Aggression wie heute hatte es bisher nicht gegeben.

"Warum bombardiert Russland ausgerechnet Georgien und nicht Aserbaidschan?", fragt eine Frau, die an der Universität für Fremdsprachen in der Hauptstadt Tiflis tätig ist. "Weil es nirgends so dilettantisch arbeitende Politiker gibt wie in Georgien. Ich mag Russland auch nicht. Aber warum mussten unsere Politiker Russland ständig reizen? Ich hab Staatspräsident Eduard Schewardnadse nie geschätzt, doch unter ihm wäre es nicht so weit gekommen. Der hätte sich mit Russland einigen können."

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