Zensur von BBC-Doku in Indien: Altlasten vertuschen
Die indische Regierung geht mit Notstandsbefugnissen gegen eine kritische BBC-Doku über Premierminister Narendra Modi vor. Die Pressefreiheit schrumpft im Land.
Die Regierung hatte per Notverordnung erwirkt, dass auf Social-Media- und Video-Plattformen Links zum zweiteiligen Dokumentarfilm „Die Modi-Frage“ gelöscht werden. Er wurde zwar nur im Vereinigten Königreich von der British Broadcasting Corporation (BBC) ausgestrahlt, löste aber einen Medienrummel in Indien aus, nachdem Auszüge vielfach im Netz geteilt wurden.
Selbst Politiker:innen posteten Links dazu auf Twitter. Nachgezeichnet wird darin Modis Aufstieg in der regierenden hindunationalistischen Volkspartei (BJP) während seiner Amtszeit als Ministerpräsident des Bundesstaates Gujarat. Im Mittelpunkt stehen die Ausschreitungen 2002 in Gujarat, bei denen mehr als 1.000 Menschen, vor allem Muslime, getötet wurden.
Es war einer der schlimmsten Ausbrüche religiös motivierter Gewalt seit der Unabhängigkeit Indiens 1947. Er folgte als Vergeltungsaktion, nachdem ein Zug mit Hindu-Pilgern in Brand gesteckt worden war und 59 Menschen ihr Leben verloren. Modis Regierung wurde beschuldigt, nichts unternommen zu haben, um die kurz darauf ausbrechende Gewalt zu stoppen. Die BBC lässt 20 Jahre nach dem Vorfall Betroffene zu Wort kommen.
Zitiert wird auch ein bisher unveröffentlichter Bericht des britischen Außenministeriums, der Modi „direkt verantwortlich“ macht für das „Klima der Straflosigkeit“, das die Gewalt damals ermöglicht haben soll. Modi wurde jedoch von jeder Schuld an den Unruhen in Indien freigesprochen. Dabei möchte es die Regierung belassen. Sie bezeichnet die Dokumentation als „Propaganda“. Dem Sender wirft sie eine „koloniale Denkweise“ vor.
Die Selbstzensur nimmt zu
Doch seitdem versucht wird, die Dokumentation zu zensieren und angekündigte Vorführungen zu verhindern, gewinnt das Thema erst recht an Aufmerksamkeit. Justizminister Kiren Rijiju (BJP) verteidigte die Maßnahmen. Abgeordnete aus der Opposition kritisierten die Zensur und zogen am Montag vors Oberste Gericht Indiens. Angehörige der indischen Diaspora protestierten unterdessen gegen die BBC in London. In Medienberichten werden Spekulationen darüber laut, dass Indien während seines G20-Vorsitzes für seine russlandfreundliche Haltung abgestraft werde und versucht werde, den Ruf der BJP zu schädigen.
Der indische Premier Modi äußert sich nicht. Seit Jahren hat er lokalen Journalist:innen keine Interviews mehr gegeben. Stattdessen setzt Modi darauf, durch Ansprachen, seinen Podcast und soziale Medien seine Botschaften zu verkünden. Aus Kreisen seiner Parteimitglieder heißt es, dass die Medien Modis Äußerungen in seiner Zeit als Ministerpräsident in Gujarat nicht richtig kontextualisiert hätten, was zu diesem Schritt geführt habe. Auch die BBC zeigt ein altes Interview mit Modi, in dem er sich über eine britische Reporterin mokiert.
Seit dem Amtsantritt Modis als Premier 2014 ist Indien in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen von Rang 140 auf 150 abgestiegen. Der renommierte Journalist Palagummi Sainath nennt die Freiheit der Presse in Indien eine komplizierte Angelegenheit. Die Kommerzialisierung und damit der Einfluss von Konzernen und der Regierung als Hauptanzeigenkunden sei ein Problem. Zudem kann der Staat sehr hart gegen Journalist:innen vorgehen, so Sainath. Unter anderem durch das Antiterrorgesetz UAPA.
Selbstzensur unter Journalist:innen nimmt in Indien seit Jahren zu. Eine Filmzertifizierungsstelle gibt es bereits seit 1951 und neue Gesetze verstärken auch den Einfluss der Regierung auf Streaming-Plattformen und soziale Medien. Indien bestehe darauf, dass ausländische Unternehmen wie Meta und Twitter Indiens „digitale Souveränität“ respektieren sollen, verkündete der damalige indische Informationsminister Ravi Shankar Prasad 2021. Damals wurden die neuen IT-Regeln des Landes vorgestellt. Seitdem kann man sich mit dem Teilen von Inhalten auf Plattformen in Indien strafbar machen.
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