piwik no script img

Zensur in RusslandWie zu Stalins Zeiten

Boris Akunin war noch vor einiger Zeit der am meisten gelesene Krimiautor Russlands. Nun hat ihn der Staat zum „Terroristen“ erklärt.

Boris Akunin während einer Protestveranstaltung in Moskau, Archivaufnahme vom 06.05.2012 Foto: Sergei Ilnitsky/epa

Kaum über 20 ist er, nicht einmal 1,60 Meter groß, schmächtig, mit glatten, schwarzen Haaren und hellblauen, eng stehenden Augen, Haut: reinweiß. So beschreibt der russische Autor Boris Akunin seinen eher tölpelhaften Ermittler Fandorin, der im Zarenreich fast schon fantastisch anmutende Fälle löst.

Mit dieser Figur ist der im sowjetischen Georgien als Grigori Tschchartischwili geborene Autor weit über Russlands Grenzen hinaus bekannt geworden. „Fandorin“ ist lustig, ist feingeistig – und in russischen Buchläden seit wenigen Tagen nicht mehr zu finden. Entfernt samt allen anderen Büchern Akunins.

Der Grund: Der Staat hat den 67-jährigen Erfolgsautor auf die „Liste der Terroristen und Extremisten“ gesetzt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Rechtfertigung von Terrorismus und Verbreitung von Falschnachrichten. Der Moskauer Verlag AST, der Akunins Bücher seit jeher publiziert, hat den Druck seiner Werke eingestellt. Auch auf russischen Onlineplattformen werden Akunins Bücher nicht mehr gelistet.

Die Moskauer Buchhandlung Sacharow, die Fandorin und Co weiterhin zum Verkauf anbot, wurde von den Sicherheitskräften durchsucht, die Inhaberin zur Befragung mitgenommen. Akunin ist wegen seiner Kritik am russischen Krieg gegen die Ukraine zum „Feind Russlands“ erklärt worden – und wird gecancelt.

Anruf von falschem Selenskyj

Noch vor wenigen Jahren überhäufte ihn der Staat mit Preisen, nun stempelt dieser Staat ihn als Kriminellen ab. „Meine unglückselige Heimat ist in die Hände von Verbrechern geraten“, schrieb Akunin nach der Entscheidung der russischen Finanzaufsichtsbehörde Rosfinmonitoring, ihn auf die Terroristenliste zu setzen. „Die Menschen, die dort leben, auch die, die es noch nicht gemerkt haben, sind Geiseln. Das ist kein böser Traum. Das passiert in Russland wirklich.“

Akunin, wie auch sein Schriftstellerkollege Dmitri Bykow, waren auf Videoanrufe der kremltreuen Comedians Wowan und Lexus hereingefallen. Diese – sie hatten auch bereits Angela Merkel und Robert Habeck reingelegt – riefen als ukrainischer Kulturminister und ukrainischer Präsident Wolodymyr Selenskyj bei Akunin an. Da Selenskyj noch zu seinen Schauspielerzeiten „Fandorin“ spielte und Akunin ihn deshalb persönlich kannte, machte sich der Schriftsteller offenbar kaum Gedanken über den merkwürdigen Anruf.

Er berichtete darin über seine Unterstützung für die Ukraine, zeigte Verständnis für ukrainische Angriffe auf russisches Territorium und sagte, wie er das bereits mehrfach getan hatte, Russland sei zu moskauzentriert (in Moskau selbst gelten solche Aussagen als Aufrufe zum Separatismus).

Kurz nachdem die Aufzeichnungen des Gesprächs veröffentlicht worden waren, bekam es Akunin, der seit 2014 in Großbritannien lebt, mit den russischen Behörden zu tun. Wenn auch in Abwesenheit. „Es scheint ein unbedeutendes Ereignis, was ist schon dabei, so ein Buchverbot“, schrieb er daraufhin bitter.

Dass Akunins Bücher so bereitwillig aus den Bücherregalen genommen werden, dass auch andere Autor*innen, vor allem die, die der Staat als „ausländische Agenten“ listet, kaum mehr in russischen Buchläden zu finden sind, ist eine neue Zäsur in Putins Russland. Seit den Zeiten des Großen Terrors unter Stalin wurde kein Schriftsteller zum Terroristen erklärt, Bücher wurden zuletzt in der Sowjetunion verboten. Manche gehen da noch weiter: Der Duma-Abgeordnete Andrei Guruljow forderte offen, Akunin gehöre „physisch vernichtet, egal, wo er sich aufhält“. Eine solche Rhetorik ist mittlerweile alltäglich in Russland.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Herzlichen Glückwunsch, liebe Russen, zum erfolgreichen Relaunch des Stalinismus! Die "Säuberungen" laufen schon, der Krieg hält die Reihen zusammen und die ersten Kreml-Treuen rufen nach dem "großen Terror".



    Bin mal gespannt, welche Denunzianten-Clowns, wie Wowan und Lexus, oder Fascho-Claqueur wie Andrei Guruljow, hierzulande aus den Löchern kommen, wenn der polit. Wind sich dreht. Eins dieser Löcher ist bekanntlich youtube, wo sie sich bereits tummeln ...

  • Da kann man mal sehen: Wer in autoritären Staaten etwas gegen die Machthaber sagt, wird zum Terroristen ernannt. Irgendwelcher Taten oder die Anwendung von Gewalt gegen den Staat oder seine Bürger und Repräsentanten bedarf es nicht. Im Fall Russland ist klar, wer die Terroristen sind. Putin und seirne Gang. Das ist klassischer Staatsterror. Bei Orban, Erdogan sieht man schon "gut" entwickelte Ansätze. Dort muss noch Gewalt auf Seiten der Regimegegner glaubhaft gemacht werden, um von Terrorismus zu sprechen. Bei Putin ist Kritik an ihm "Terrorismus". Das klingt dramatischer als "Gotteslästerung", aber zum Kaiser hat er sich noch nicht gekrönt und vergöttert wird er noch nicht. Soweit sind die Russen noch nicht. Kann ja noch werden.



    Je inflationärer der Begriff "Terrorismus" von Staatslenkern gebraucht wird, desto brutaler sind sie selbst, da sie auf Gewalt zum Machterhalt angewiesen sind und nicht mit breiter Zustmmumg im Volk rechnen (können).



    .