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ZDF-Korrespondent über Gewalt am Kapitol„Einer sagte ‚You are next‘“

Elmar Theveßen stand mit seinem ZDF-Team hinter dem Kapitol, als hunderte Trump-Anhänger in den Pressebereich drängten. Auf die Polizei vertraute er lieber nicht.

Trauriger Anblick von dem, was von der Pressefreiheit in den USA übrig geblieben zu sein scheint Foto: José Luís Magana/ap
Peter Weissenburger
Interview von Peter Weissenburger

taz: Herr Theveßen, am Mittwoch wurden Sie und Ihr Kamerateam am Kapitol in Washington von Rechtsextremen angegriffen. Sie waren dort, um für das ZDF über die Demonstrationen zu berichten. Wann wurde Ihnen klar, dass die Lage eskaliert?

Elmar Theveßen: Wir standen an der Rückseite des Kapitols, dort ist eine asphaltierte Fläche mit Strom- und Videoanschlüssen für die TV-Berichterstattung. Wir standen dort mit Kollegen von Associated Press und einigen asiatischen Medien. Wir hatten bereits den Tag über berichtet und die Menschenmassen kommen sehen. Wir hatten jedoch zunächst entschieden, dass wir dort, wo wir stehen, erst mal sicher sind.

Dann hat die Polizei auf der anderen Seite begonnen zu räumen. Man hörte Blendgranaten und sah Tränengasschwaden. Das hat offenbar einige Hundert oder auch einige Tausend auf unsere Seite herübergedrängt. Und wir waren die Ersten, die ihnen sozusagen im Weg standen. Ich merkte, wie auf einmal eine große Schar von Protestlern auf uns zukam, einige vermummt. Die waren anscheinend alkoholisiert und haben ihre Wut sofort an uns ausgelassen.

Konnten Sie diese Angreifer bestimmten Gruppen zuordnen?

Im Interview: Elmar Theveßen

Jahrgang 1967, leitet seit März 2019 das ZDF-Studio in Washington, D.C.

Ich glaube das Abzeichen der Proud Boys gesehen zu haben, eindeutig waren darunter aber Abzeichen von Milizengruppen. Nach der Aufforderung des Präsidenten, auf der Pennsylvania Avenue aufzumarschieren, waren ja bereits große Gruppen von Milizen zu sehen gewesen.

Was passierte dann?

Sie schrien Dinge wie „Feinde des Volkes“, „Volksverräter“, „Fake News“. Sie haben die Metallbarrieren um uns herum umgeworfen, Equipment an sich gerissen, Stative auf den Boden geworfen und uns bedrängt. Wir haben dann begonnen, zusammenzupacken. „You are next“, sagte einer. Wir haben das ernst genommen, unsere Rucksäcke geschnappt und sind gegangen. Wir wurden allerdings nicht verfolgt und mussten auch nicht rennen. Mein Kameramann ist geschubst worden, ich selbst wurde nicht körperlich angegangen.

Haben Sie etwas Ähnliches schon mal erlebt?

Ich selbst nur in Deutschland Anfang der 90er, als ich etwa über die FAP berichtet habe, also Neonazis, die sich auch manchmal gegen die Medien richteten. Als stellvertretender ZDF-Chefredakteur habe ich mitbekommen, wenn Kollegen zum Beispiel in Sachsen oder Nordrhein-Westfalen angegriffen wurden.

Wie kam es, dass Sie und die anderen Teams am Kapitol ungeschützt waren?

Mich hat das gewundert, aber am Ende dann auch nicht überrascht. Im Sommer haben wir bei den „Black Lives Matter“-Protesten schon gesehen, dass die Polizei in aller Rücksichtlosigkeit auch gegen Medienvertreter vorgegangen ist. Da macht es keinen Unterschied, ob man als Presse zu erkennen ist. Allerdings kamen wir am Mittwoch in der Annahme, dass unser Standort innerhalb des Sicherheitsbereichs liege, dass wir also von den Demonstranten getrennt seien.

Als wir ankamen, stellte sich heraus: Die Trennlinie der Polizei war viel dichter ums Kapitol gezogen als gedacht. Da war mir schon klar, dass wir angesichts der Mengen von Menschen auf die Hilfe der Polizei nicht vertrauen konnten. Das sieht die Polizei hier übrigens auch nicht als ihre Aufgabe an, sondern als die der Journalisten. Wir haben hier beim ZDF-Studio deshalb immer eine Schutzausrüstung dabei. Schlagsichere Westen mit der Aufschrift „Press“, Schutzbrillen, verstärkte Baseballmützen und Helme. Allerdings werden wir unser Sicherheitskonzept mit Blick auf den Inauguration Day auch noch mal nachjustieren.

Wie haben Sie selbst die Entwicklung der Stimmung gegenüber der Presse in den letzten zwei Jahren in den USA wahrgenommen?

Als massiv verschlechtert. Ich war in den 90ern schon mal hier, damals gab es so gut wie keine Angriffe, weder verbal noch physisch. Jetzt bemerke ich, dass die Verachtung gegenüber den Medien, vor allem CNN, MSNBC, aber auch anderen sehr groß ist. Teilweise ist es schlicht Hass. Wir haben bei Trump-Veranstaltungen erlebt, wie Trump die Stimmung so aufheizte, dass man, wenn man dort stand, stark beschimpft wurde oder ausgepfiffen. Das Gefühl, dass die Stimmung auch mal handgreiflich werden würde, war also schon dagewesen.

Sie finden also ebenfalls, die Ereignisse vom Mittwoch hätten vorausgesehen werden müssen.

Absolut. Ich habe über Extremismus in jeder Form und Farbe berichtet und ich finde es hanebüchen, wie naiv die Sicherheitsbeamten hier vorgegangen sind. Man kannte die Klientel, die kommen würde. Ist es Gleichgültigkeit, Nachlässigkeit – oder sogar Absicht? Dafür gibt es keinen Beweis. Der Polizeichef sagt, dass man auf Deeskalation habe setzen wollen. Das könnte natürlich eine Reaktion auf die unverhältnismäßige Härte bei BLM gewesen sein – aber es war in jedem Falle falsch, naiv und unprofessionell.

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12 Kommentare

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  • Warum Medienvertreter so angegangen werden? Medienvertreter haben eine große Reichweite, sind schlecht geschützt und stehen für das Establishment.

    Den Medien berichtet von dem was in der “Welt” so vorgeht. Man merkt in vielen Bevölkerungsgruppen, das sich diese nicht mehr verstanden und gehört fühlen. Die Politik tut nichts dagegen, ist aber im normalfall gut geschützt.

    Die Medien können sich eigentlich nur darauf verlassen, dass ihnen die Polizei schutz gewährt, doch lesen wir ja schon “sie vertrauen nicht mehr darauf”. Wie sollen denn auch ein paar Polizisten was gegen einen “Volksaufstand” ausrichten?

    Also ist für mich das angehen der Medien viel mehr ein Aufruf an die Medien, das man vielleicht man diese Gruppierungen durchleuchtet und wirklich mal offen und ehrlich nach deren sorgen und nöten forscht.

    Evtl. wird ja die Politik mal versuchen was zu ändern, das man diese Menschen abholt, bevor die heutigen Technologien und Kommunikationsmedien dazu führen, das sie sich organisieren.

    Denn für mich ist das immer nur eine Frage der Zeit BIS ein “Trump” sich an die spitze einer Armee stellt, welche genervt und frustriert einen Anführer folgt, der denn den Lösungen verspricht.

  • Eigentlich seltsam, dass diese Typen, die ansonsten ja völlig schmerzfrei und ungeniert auftreten und sogar ihre Straftaten mit Selfies selbst dokumentieren, sich dann ausgerechnet von der internationalen Presse aus einem vermeintlich falschen Blickwinkel beobachtet fühlen. Hirnschwund im Endstadium?

    • @Rainer B.:

      Nee, das ist alles ein zu ordnen unter: "Austeilen, aber nicht einstecken." Ein allgemeines Phänomen in diesen Kreisen. Und noch was, was diese Leute verbindet: Völlig humorfrei.

    • @Rainer B.:

      Nein, Empathieatrophie, erworben (bei den meisten; beim Führer ist es aber von Geburt so, und da liegt der Kern des Problems).

  • Es ist schon interessant, das der Hass auf Medienvertreter scheinbar kein lokales Phänomen auf hiesigen Demos ist.

    • @Bunte Kuh:

      Unser hiesiges Phänomen ist aus den USA importiert. Ich beoabachte seit 2015 die Entwicklungen in den USA recht genau in der Hinsicht und diese tauchen mit einer gewissen Verzögerung hier auf, wie das Amen in der Kirche.

      Trump's ehemaliger Chefberater war nach seiner Entlassung auf Europatournee und hat seine Neonazi Kumepls von der AfD besucht.

      Auch der gegen die Antifa gerichtete Hass, in rechtsextremen Kreisen immer schwelend, hat sich analog zu den USA und mit exakt von dort kopierten, an den Haaren herbeigezogenen Argumenten, hier verstärkt.

      Die europäischen Faschisten orientieren sich an den republikanischen, extrem erfolgreichen Faschisten in den USA.

      In den USA ist diese Entwicklung seit den 90ern durch Newt Gingrich angestoßen zu beoabachten. Dort hat sich dieses Narrativ aus einem gefühlten Machtverlust der WASPs entwickelt und zum degenerieren der Republikaner zu einer astrein Faschistischen Partei geführt.

  • Scary!

  • Vielen Dank für das tolle Interview. Es ist dermaßen beängstigend, ich könnte nur noch schreien.

    • @Fallmanagerin:

      Zum Glück hat das most stable genius ever sich derer nur bedient, sie aber nicht aufgebaut und trainiert. Sonst wäre es anders ausgegangen. Und trotz einzelner Selfies von Polizisten und einer Deseskalation (die vielleicht so falsch nicht war, auch wenn die Ungleichheit der Reaktion frappierend ist) konnte die Exekutive von ihm nicht mit eingezogen werden.

      • @fly:

        Zu "Deeskalation":



        Ich war anfangs auch empört darüber dass da nicht gegengehalten wurde. Aber als schon nach gut 1 Stunde sich die Meute sich wie von Geisterhand getrieben langsam wieder auflöste, war ich ganz dankbar: Wenigstens war der Spuk schnell und ohne Gemetzel vorbei.



        Das das so ausgeht konnte sicher niemand ahnen, niemand hat das so geplant und deshalb kann sich das auch niemand als Strategie zugutehalten. Beim nächsten Mal würde das sicherlich anders sein - schon deshalb darf es ein solches in keinem Falle geben...

        • @Levi Athan:

          Leider hat das FBI es geahnt und mehrfach davor gewarnt. Auch eine Planung ist mittlerweile mehr als Plausibel und wird vom FBI derzeit untersucht. Einige Pro-Troump Organisationen (Turning Point USA, Turning Point Action) haben massiv Geld in das Ankarren gewalttätiger Randalierer gesteckt und auch in ihrer Rhetorik zu Gewalt gegen Abgeordnete Aufgerufen. Charlie Kirk einer der Organisatoren hat Naiv versucht, seine Tweets, in denen er genau damit prahlt und offen eine Wiederholung des Bürgerkriegs fordert, zu löschen.

          Aus den von Parler abgeschöpften 70TB Daten ist mittlerweile durchgesickert, dass hochrangige Republikaner nicht nur aufgerufen, sondern aktiv an der Planung beteiligt waren. Wenige Tage vorher haben die Konsorten von Lauren Boebert Touren für die zukünftigen Terroristen geführt, um diesen einen Überblick über die Routen und Räumlichkeiten im Capitol zu geben (das innere des Gebäudes gleicht einem Labyrinth mit unterirdischen Gängen) mit expliziten Hinweisen auf die Standorte der Top-Ziele.

          Die Bewegungsdaten der Terroristen (Das Kapitol verfügt über ein eigenes Mobilfunknetz) deuten auch darauf hin, dass Zielstrebig die Büros der demokratischen Hauptziele aufgesucht wurden.

          Ayanna Pressley hat darüber berichtet, dass in ihrem Büro noch vor der Eskalation die Panic-Buttons samt Eingeweiden herausgerissen wurden.

          Mittlerweile sind mehrere Beamte der Kapitolspolizei für ihre Kollaboration mit den Terroristen entlassen worden.



          Viele von mittlerweile über 60 verhafteten Terroristen waren für Geiselnahmen und Exekutionen ausgerüstet.

          Es wurden multiple Anfragen für die NG durch von Trump eingesetzte Offizielle abgelehnt und es herrschte allgemeine Verwunderung bezüglich der geringen Präsenz der Capitolspolizei an diesem Tag.

          Am Ende könnte allein das besonnene Auftreten von Eugene Goodman das schlimmste verhindert haben. Dieser hat im alleingang während der Evakuirung Zeit für die Abgeordneten geschindet.

        • @Levi Athan:

          Es ist aber schon so: Bei Afro-Amerikanischen Demonstranten gehen die Sicheheitskräfte automatisch von kriminellen Subjekten aus. Da stehen dann Hundertschaften miltarisierter Polizisten die jeden potenziellen Angriff mühelos zurückschlagen (oder selber attackieren). Aufgeheizte Neonazis, white supremacists und Miltias, durchideologisiert und gewaltbereit, werden als besorgte Bürger wahrgenommen, denen man noch den Weg zur Toilette erklärt. Die Prämisse der Sicherheitsplanung für diesen Tag war rassistisch durchtränkt.