ZDF-Fernsehwebserie: Aus dem Leben einiger Hipster
„Just Push Abuba“ erzählt von einer Berliner WG – von Identitätsfragen und „Berghain“-Gästelisten. Zuerst auf YouTube, jetzt auch beim ZDF.
Man darf ja keine Gelegenheit verstreichen lassen, darauf hinzuweisen, dass Rudolf Thomes „Berlin Chamissoplatz“ (1980) einer der schönsten, wenn nicht der schönste Berlin-Film überhaupt ist. Bei der ersten Begegnung der künftigen Liebenden, der Studentin Anna und des Architekten Martin, zitiert sie aus dem „Tagesspiegel“: „Im Gegensatz zu anderen Städten werden in Berlin alte Mietshäuser nicht allein aus hygienischen, städtebaulichen und wirtschaftlichen Gründen abgerissen, sondern auch mit dem Ziel der Mengenregulierung, weil man glaubt, nur so künftige Überangebote verhindern zu können. Die Statistiker rechnen für 1990 mit einer Abnahme der Bevölkerung um eine Viertelmillion und etwa 200.000 leerstehenden Wohnungen …“
Von Rudolf Thome hat der Kinogänger zuletzt aus dem Dokumentarfilm „Rudolf Thome – Überall Blumen“ (2016) erfahren. Da sieht man ihm bei der Gartenarbeit auf seinem Bauernhof im südbrandenburgischen Niendorf zu. Und dabei, wie er an der Finanzierung seines 29. Spielfilms schließlich scheitert. Das Fernsehen hat kein Interesse mehr. Über Skype berät er sich mit der in New York studierenden Tochter Joya – einen letzten Versuch mit Kickstarter will sich der auf die 80 zusteuernde Mann dann doch nicht mehr antun.
Im vergangenen Jahr lief nun Joya Thomes erster Langfilm „Königin von Niendorf“ in den Kinos. Das Interesse des Fernsehens war geweckt und Joya Thome bald (neben Benjamin Cantu und Dieu Hao Do) mit der Regie einer neuen ZDF-„Fernsehserie“ betraut. Die Anführungszeichen müssen sein, weil das ZDF zwar alle sechs Folgen heute im Nachtprogramm versendet. Aber eigentlich ist „Just Push Abuba“ (Headautor: Niko Schulz-Dornburg) als Webserie konzipiert und schon seit einem Monat bei YouTube abrufbar. Dem Zuschnitt auf die digital geborene Zielgruppe und deren vorgeblich minimale Aufmerksamkeitsspanne entspricht die Episodenlänge von sieben oder acht Minuten. Und die Sprache.
Mehr englisch als deutsch
Toni (Anton Weil) ist gebürtiger Kreuzberger und lebt in seiner WG mit der Griechin Lucia (Elli Tringou) und dem Koreaner Joon zusammen. Das Zimmer, das sie nicht übrig haben und das deshalb nur ein per Vorhang abgetrennter Verschlag ist, vermieten sie online an Leute wie das kalifornische Bloggerpärchen, das Berlin für die hipste Stadt Europas hält.
Wo heute so viel Englisch gesprochen wird, dass sich ein derzeitiger CDU-Bundesminister im vergangenen Jahr darüber empören zu müssen meinte. Möge er sich jetzt auch noch über die vom Staatsfernsehen bezahlte Serie aufregen, die doch nur die Realität abbildet – oder sie leicht überzeichnet, wenn der mit allen Hipster-Wassern gewaschene und also auch mit dem DIY-Trend vertraute Toni den Verschlag schönredet: „I made it myself out of Europaletten. It just means so much more when you’ve built it with your own hands!“ Da kommt der Sender, der in seinem Hauptprogramm noch jeden englischsprachigen Film totsynchronisiert hat, auf Abuba.zdf.de plötzlich ohne Untertitel aus (während die YouTube-Version untertitelt ist).
Dienstag, ZDF, 0.15 Uhr – und auf Abuba.zdf.de und YouTube
Insofern ist „Just Push Abuba“ – „Abuba“ steht auf dem Klingelschild – nur noch konsequenter als „Nix Festes“, die gerade erst auf ZDFneo (gewissermaßen auf halbem Weg zu YouTube) gezeigte Berliner-WG-Serie mit Josefine Preuß, die einmal mit „Türkisch für Anfänger“ angefangen hatte, was auch schon eine Art Berliner-WG-Serie war. Auch die Besetzung Joons in „Just Push Abuba“ mit dem „zu den Top 11 Prozent der deutschen YouTuber“ (ZDF) gehörenden Joon Kim ist so beinahe kompromisslos gegenwärtig wie die Herausforderungen, an denen die Antihelden auf ihrer atemlosen Jagd nach positiven Online-Bewertungen Folge um Folge scheitern: von Genderidentität bis „Berghain“-Gästeliste (man müsste halt wissen, dass man da als „Abuba“ geführt wird).
In Folge vier (wie Folge eins von Joya Thome) ist der Gast ein für einen TED-Talk nach Berlin gekommener berühmter Psychoanalytiker, um dessen Aufmerksamkeit Toni und Lucia konkurrieren – und dessen Stuhlgang eine gewisse Rolle spielt. Das gemeinsam genutzte Klo: ein ganz und gar klassisches WG-Thema. Den Analytiker gibt Hanns Zischler, der in „Berlin Chamissoplatz“ unter der Regie von Joya Thomes Vater den Architekten Martin gespielt hatte. Damals hatten an besagtem Platz noch nicht alle Wohnungen eine eigene Toilette. 38 Jahre später rechnen die Statistiker für 2030 mit einem Wachstum der Bevölkerung auf bis zu vier Millionen. 200.000 leerstehende Wohnungen – schön wär’s!
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