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Ydessa Hendeles in der Kunsthalle WienUnwahrscheinliche Szenarien

Zeitgenössische Installationskunst in Wien: Ydessa Hendeles eindrückliche Visualisierung der Dialektik sozialer Entwicklungen.

Installationsansicht „Death to Pigs“ in der gleichnamigen Ausstellung von Ydessa Hendeles Foto: Stephan Wyckoff/Kunsthalle Wien

Kostbarkeiten sind hier wohl zu bestaunen, das legt das sorgsam auf die wenigen Objekte gebündelte Licht im sonst dunklen Raum nahe. Aber handelt es sich nicht eher um Sonderbarkeiten? Denn was bringt die übergroße, aufgeständerte Sicherheitsnadel mit der Maske eines kleinen Kindergesichts und dem schwedischen Teigrad auf dem alten Schanktisch aus Ulmenholz zusammen, den Ydessa Hendeles in England auftrieb, wo er ungefähr um 1740 gebaut wurde?

Ydessa Hendeles ist eine zeitgenössische Installationskünstlerin, die mit unerwarteten antiquarischen Objekten arbeitet, wie der beschriebene Tisch zeigt, mit dem unter anderem ihre große Retrospektive in der Kunsthalle Wien eröffnet. Dank dieser Stücke geraten ihre Szenarien ebenso verwunschen wie eindrücklich.

Doch während die Bilder, Objekte und Texte, die teils schon aus dem frühen 17. Jahrhundert stammen, ihren Arrangements eine entrückte Anmutung geben, bauen Hendeles’ kunstvolle Zusammenstellungen auf sorgfältigen historischen Recherchen auf. Sie sind daher ebenso sehr Forschung wie zeitgenössische Fabel. Und als solche thematisieren sie das moderne Kräftespiel zwischen Zugehörigkeit und Ausgrenzung.

Mit dem Titel ihrer Ausstellung, „Death to Pigs“, bezieht sich die kanadische Künstlerin, Sammlerin und ehemalige Galeristin denn auch auf einen berühmten Fall des mörderischen Ausagierens von Gruppenidentität − den der Manson Family. „Death to Pigs“ lautete eine der mit dem Blut der Opfer an die Wand geschmierten Parolen, die die Polizei von Los Angeles nach den Morden an den Tatorten vorfand.

Die Ausstellung

Ydessa Hendeles, Death to Pigs, läuft bis zum 27. Mai in der Kunsthalle Wien. 2016 erschien im Hatje Cantz Verlag der Prachtband: Ydessa Hendeles, From her wooden sleep.... 488 Seiten, 440 Abbildungen, 75,00 Euro

Als Tochter von Holocaust-Überlebenden – 1946 in Marburg geboren, wohin ihre Eltern von Polen aus übersiedelten, bevor sie Anfang der 1950er Jahre nach Kanada emigrierten – ist Ydessa Hendeles selbst auf tragische Weise mit dem Wahnsinn rassistischer und tribalistischer Identitätskonzepte vertraut, die Holocaust und Völkermord bedeuten.

Das Wundersame herbeschwören

Machtdynamiken über Zuschreibungen und Stigmatisierungen, statt Toleranz und Aufklärung, sind nicht einfach in der Welt, sie werden erzeugt. Gerade wenn wir heute beobachten, wie ehemals fortschrittliche linke Konzepte plötzlich als reaktionäre rechte Praxis wiederkehren, faszinieren Ydessa Hendeles’ komplexe Visualisierungen zur Dialektik sozialer Entwicklungen. Das beginnt schon mit der Eingangsinstallation „Veronica’s Veil/Tigers’ Tale“ (2016–18), die in zwei Narrativen das Wundersame heraufbeschwört.

Der Elefant war ein erster tierischer Superstar im 19. Jahrhundert

Für die Erwachsenen ist das der Gesichtsabdruck Jesu und für die Kinder der Spaziergang des „kleinen schwarzen Sambo“ durch einen Dschungel voll hilfsbereiter Tiere. In dem kuriosen Arrangement von süddeutschen Holzschnitzereien des Schweißtuchs der Veronika, von Sicherheitsnadel und Teigrad sowie von zwei Erstausgaben von Helen Bannermans „The Story of Little Black Sambo“ unter einem Glassturz, wird den Erzählungen allerdings ihre Autorität streitig gemacht. Im Fall des schwarzen Sambo wird die rassistische Färbung, der im Selbstverständnis der Autorin wohlwollend gemeinten Geschichte, aufgedeckt.

Eher illustrativ ist dagegen „Blue Beard“ (2016), mit sechs antiken Schlüsseln, einer männlichen und einer weiblichen Gliederpuppe samt dem siebten Schlüssel im Schaukasten. Hier ist der Clou eher von sammlerischem Interesse, insofern der abgetrennte Kopf, den die siegreiche Braut unter dem Arm trägt, ein zweiter identischer Kopf zu dem ist, den die männliche Gliederpuppe auf hat.

Doch dann stößt man rasch zum Höhepunkt im Untergeschoss der Kunsthalle vor, den rund 150 Holzgliederpuppen der Installation „From Her Wooden Sleep“ (2013). Der Titel entstammt dem 1895 erschienenen Bestseller-Kinderbuch „The Adventure of Two Dutch Dolls and a ,Golliwogg'“ von Bertha und Florence Kate Upton, von dem gleich vier Exemplare beim Eingang in den Raum ausgelegt sind.

Die von Bertha, der Mutter, erzählte und von Florence Kate, der Tochter, illustrierte Geschichte von den nächtlichen Abenteuern zweier Holzpuppen an Weihnachten, sorgte vor allem wegen des Golliwoggs, des ersten schwarzen Protagonisten in einem englischen Bilderbuch, für Furore. Ursprünglich war die Figur mit den struppigen Haaren, den roten Lippen und dem schwarzen Gesicht gar nicht als der Held der Geschichte gedacht, aber seine Popularität bei den Kindern führte dazu, dass eine Golliwogg-Serie von insgesamt 13 Bücher entstand.

Ein ritterlicher schwarzer Gentleman

Dabei waren Mutter und Tochter Upton sich der Möglichkeit bewusst, mit ihrer Serie erzieherisch zu wirken, und gestalteten den Golliwogg als ritterlichen Gentleman und seine zwei Begleiterinnen als kluge, aufgeweckte junge Puppendamen, die sich für die neuesten Erfindungen wie Fahrräder, Heißluftballons genau so interessierten wie für Nordpol-Expeditionen und den Spanisch-Amerikanischen Krieg.

Zum aufgeklärten Verhalten der Puppen in Geschlechts- und Rassefragen kam hinzu, dass sie keiner Nationalität angehörten und vielmehr vergnügte Weltbürger waren. Letzteres lässt sich von den sie umgebenden Holzgliederpuppen aus der Zeit zwischen 1520 bis 1930, die einst als Kinderspielzeug, Schneider­utensil und für Proportions- und Bewegungsstudien in der bildenden Kunst Verwendung fanden, nicht sagen.

Streng auf Schulbänke gereiht, starren sie blind vor sich hin. Fast meint man, sie stünden für die vom Nationalismus des Ersten Weltkriegs und der Nachkriegszeit geprägte makabre Verwandlung, die Golliwogg erfuhr. Sein Name wurde nun zu einem herabsetzenden Begriff für Menschen nichtweißer Haut. Florence Upton, die kein Patent auf ihr Geschöpf angemeldet hatte, musste diese Entwicklung hilflos mitansehen. Ausgeliefert, hilflos, fühlt man sich auch als BetrachterIn, die sich inmitten dieses machtvoll, eng und bedrängt aufgestellten Puppenheeres zurechtzufinden sucht.

Ganz anders erlebt man dann das großzügige und weitläufige Arrangement mit fünf weiteren Arbeiten im Obergeschoss. Mit nur vier Schwarz-Weiß-Drucken und einem Spielzeughund inszeniert „The Dead Jumbo“ (2011) das fatale Schicksal des afrikanischen Elefantenbullen mit Namen Jumbo, dessen Lebensweg ihn von Afrika aus über Paris und London nach New York führte.

Er war im 19. Jahrhundert ein erster tierischer Superstar, auf dem als Kinder sowohl Winston Churchill als auch Theodor Roosevelt geritten waren und der schließlich infolge einer Kollision mit einer Lokomotive in der amerikanischen Provinz starb. Indem sein Name für unübertroffene Größe steht, verweist „Dead Jumbo“ auch auf das größte systematisch verordnete Vernichtungsprogramm der Weltgeschichte.

Gefährliche Perfektion der Bilder und Metaphern

Daran schließt „Marburg! The Early Bird“ (2008–16) an, eine Installation, die der Frage nachgeht, wie wir einen Platz in der Welt finden und ihn behaupten, auch gegen einen Kontext aus Kultur, Nation und Tradition, der dafür scheinbar keinen Raum gibt.

Diesen Raum schafft Ydessa Hendeles nun unter anderem mit Memorabilia aus der Universitätsstadt Marburg, in der die Nazis 1933 fast 60 Prozent der Stimmen erhielten: Dazu gehört Blechspielzeug der Firma Karl Bub aus Nürnberg, ein übergroßes Buchmodell nach Gustave Dorés „Der Gestiefelte Kater“ von 1862 und ein übergroßes Pincenez.

Hier wie in „The Bird that Made the Breeze to Blow“ (2006–11) überwältigt nicht einfach ein wilder, überbordender Einfallsreichtum der Zusammenstellungen, sondern es überzeugt gerade die Sorgfalt, mit der die historischen, psychologischen und symbolischen Tiefenschichten der fantastischen Arrangements ausgelotet und − ganz aktuell − in QR-Codes dokumentiert werden.

Durch die Perfektion der Bilder und Metaphern sowie die Schönheit der Objekte fürchtet man freilich auch ein Abirren ins Kunstgewerbliche. Doch dann bleibt Ydessa Hendeles mit dem grausamen Video zur industriellen Tötung von Hausschweinen in „Death to Pigs“ (2015–16) auf dem Weg der zeitgenössischen Kunst.

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