piwik no script img

Yahya Hassan über Gewalt„Ich weiß nicht, was Glück ist“

Seine Gedichte sind Zeugnisse einer kriminellen Jugend in Dänemark. Yahya Hassan ist 18 und selten gut gelaunt. Auch nicht bei diesem Gespräch.

Der Dichter mit seinem Bestseller, der unter Islamisten verhasst ist. Bild: dpa
Fatma Aydemir
Daniel Schulz
Interview von Fatma Aydemir und Daniel Schulz

Es ist eng in der weißen Kabine, die der Verlag für Interviews aufgestellt hat. Wir zwängen uns zu viert hinein. Zwei Journalisten, ein Übersetzer und Yahya Hassan. Der 18-Jährige schreibt Gedichte über seinen prügelnden Vater, die Doppelmoral islamischer Frömmigkeit, über Heuchelei und Betrug unter Migranten. In Dänemark landete er damit einen Bestseller – er hat viele Fans, aber auch viele Feinde. Im vergangenen Herbst wurde Hassan von einem Islamisten angegriffen. Vor dem Interview auf der Leipziger Buchmesse hatte uns sein Übersetzer gesagt, dass Hassan bei solchen Gesprächen häufig einfach schweigt.

sonntaz: Herr Hassan, seitdem Sie in Kopenhagen angegriffen worden sind, werden Sie von Leibwächtern begleitet. Haben Sie Angst vor einem weiteren Überfall?

Yahya Hassan: Wenn man von zwei Leibwächtern umgeben ist und immer noch Angst hat, ist man ein Schwächling. Angst ist ein natürlicher Bestandteil des menschlichen Lebens. Sie kann auch in meinem Leben auftreten. Früher hatte ich zwei Sozialpädagogen, die auf mich aufgepasst haben, dann zwei Polizisten, die mich als Kleinkriminellen durch die Gegend gejagt haben. Jetzt habe ich eben zwei Leute vom polizeilichen Geheimdienst, die mich ständig begleiten.

Werden die eigentlich irgendwann zu Freunden?

Nein. Es gibt manche Leute, die sind netter als andere. Aber es ist nun mal ihr Job, den sie machen.

Radikale Muslime sind wütend über Ihre Gedichte, ebenso manche Ihrer Verwandten und Bekannten. Kannten Sie den Mann, der Sie im vergangenen November angegriffen hat?

taz am wochenende

Als der Völkermord in Ruanda begann, machte unsere Autorin, Tochter einer Tutsi, dort gerade Urlaub. Zwanzig Jahre später blickt sie zurück – und nach vorn. Wie Ruandas neue Generation versucht, ihr Land neu zu erfinden, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 5./6. April 2014. Außerdem: Warum Maos Notizen zum Partisanenkrieg beim Computerspielen helfen. Und: Der Lyriker Yahya Hassan war gerade volljährig, als sein Gedichtband ein Bestseller wurde. Ein sonntaz-Gespräch über fehlende Vaterliebe und den Hass der Islamisten. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Ich möchte zunächst klarstellen, dass ich radikale Islamisten verabscheue, genauso wie ich Rechtsextreme verabscheue. Ich habe mit keinem von ihnen etwas gemeinsam und ich kenne auch den Täter nicht, der mich überfallen hat.

Sie sagen, Sie verabscheuen Rechtsextreme. Die versuchen Sie aber auch zu vereinnahmen, in Ihren Gedichten bestätigen Sie deren Vorurteile. Migranten erscheinen darin als faul und gewalttätig, als Gauner, die den Staat ausnehmen. Finden Sie das nicht problematisch?

Ich bin ein Dichter, der eine Gedichtsammlung geschrieben hat. Dafür stehe ich zur Verantwortung, für meine Gedichte. Ich bin nicht verantwortlich für ihre Auslegung durch meine Leser. Ich möchte ein Beispiel anführen. Wenn ich dir ein Messer schenke, mache ich das vielleicht, weil ich weiß, dass du gern kochst. Wenn du nun das Messer aber nimmst und damit jemanden bedrohst oder niederstichst, dann ist das nicht meine Schuld, nur weil ich dir das Messer geschenkt habe. Das ist eine Entscheidung, die du selbst triffst. Und wenn ich dir das Messer gegeben hätte, damit du einen Freund erstichst, der mir Geld schuldet, und du dem zustimmst, dann ist das auch nicht meine Schuld. Du findest selbst heraus, was für dich richtig ist.

Aber die Gedichte stammen aus Ihrer Feder, sie werden zudem als autobiografisch beworben. Tut es Ihnen nicht weh, wenn man sie missbraucht?

Bild: dpa
Im Interview: Yahya Hassan

Der Mensch: 1995 als Sohn palästinensischer Flüchtlinge geboren, wuchs Yahya Hassan in einem sozialen Brennpunkt in Aarhus auf, der zweitgrößten Stadt Dänemarks. Mit dreizehn Jahren flog er von der Schule und wurde kriminell. Es folgten Aufenthalte in mehreren Besserungsanstalten für straffällige Jugendliche.

Das Werk: Seine erste Publikation, "Gedichte", erschienen im Jahr 2013, wurde in Dänemark zu einem Bestseller. Der Verlag Gyldendal soll über 25.000 Exemplare von Hassans Buch aufgelegt haben - das wären, gemessen an der dortigen Bevölkerungszahl, im deutschen Sprachraum eine halbe Million Bücher. Jetzt ist seine Gedichtsammlung beim Ullstein Verlag auf Deutsch erschienen. Hassan wurde für sie mit mehreren Preisen ausgezeichnet, etwa dem Politikens Literary Award.

Ich kann nur sagen, dass ich dem nicht zustimme, was Leute mit mir machen. Damit ist meine Arbeit getan. Wenn ich dir eine Rolle Klopapier gebe, dann ist es doch egal, ob du dir den Hintern damit abwischst oder den Boden putzt.

Es handelt sich aber nicht um eine Rolle Klopapier, die Gedichte sind doch ein Teil von Ihnen …

… nein, sie sind ein Produkt. Wenn die Leute sich mit mir beschäftigen, dann geht es um mein Buch, nicht um mein Herz. Ich kann die Assoziationen des Lesers nicht steuern. Ich könnte auch einfach einen Kringel auf ein Papier malen und sagen, das ist ein Pferd und du musst jetzt finden, das ist ein Pferd. Aber vielleicht erkennst du das Pferd gar nicht und siehst in diesem Kringel etwas ganz anderes. Das ist dasselbe, wie wenn ich ein Buch schreibe und dir sage, dass es besonders islamkritisch, systemkritisch oder sonst irgendwas sei. Aber so geht das nicht. Die Bedeutung des Buchs bestimmen das Leben und der Geschmack jedes einzelnen Individuums.

Ein Messer ist eine Waffe. Klopapier so ungefähr das Geringste, das sich im Supermarkt kaufen lässt. Fast schon Abfall. Wenn Hassan seine Gedichte derart vergleicht, klingt seine Stimme noch dunkler und härter, als würde er die Sätze tief aus sich herauspressen.

Manche Ihrer Gedichte erwecken den Eindruck, Sie würden Ihre Probleme allein darauf zurückführen, wie Ihre Eltern mit Ihnen umgegangen sind. Ist das nicht etwas einfach?

Natürlich trage ich selbst die Verantwortung für die Straftaten, die ich begangen habe, ich habe eine Verantwortung dafür, dass ich Leute zusammengeschlagen habe. Aber ich kann nichts dafür, dass mein Vater gewalttätig war, dafür, dass er ein sozialer Betrüger ist.

Und die Gesellschaft ist von jeglicher Verantwortung frei?

Es gibt Leute, die sitzen im Supermarkt an der Kasse, und es gibt Leute, die sammeln den Müll von der Straße auf. Wir haben Rechtsanwälte, wir haben Gefängnisaufseher, sie alle tragen eine gewisse Verantwortung für etwas. Aber es ist nicht die Schuld der Gesellschaft, dass mein Vater gewalttätig und machtsüchtig ist. Es gibt Dinge, für die du selbst einstehen musst, es sei denn, du hast ein besonders gutes Verhältnis zur Opferrolle.

Ihre Eltern sind aus kriegsähnlichen Zuständen in Palästina geflohen. Sie waren womöglich traumatisiert. Haben Sie dafür keinerlei Verständnis?

Mir geht es nicht um die Probleme, die die Generation meiner Eltern gehabt hat, sondern um die Probleme, die sie geschaffen hat. Sie schlagen ihre Kinder, indoktrinieren sie religiös, betreiben sozialen Betrug und wollen nicht mit Menschen interagieren, die anders sind als sie. Sie verschärfen die Spaltung zwischen der muslimischen Gemeinschaft und der Mehrheitsgesellschaft.

Es gibt ein Gedicht, in dem Sie über einen kleinen Bruder schreiben, der Bettnässer war. Sie beschützen ihn, indem Sie sein Laken verstecken. Gibt es diesen Bruder wirklich?

Das Buch ist auf der Grundlage meines Lebens geschrieben, meiner eigenen Erfahrungen, meiner Gedanken und meiner Gefühle.

Stimmt es, dass Ihre Mutter sich von Ihnen losgesagt hat?

Ja, es stimmt, dass es bestimmte Teile der Familie gibt, mit denen ich nicht rede.

Und zu wem aus Ihrer Familie haben Sie mittlerweile noch Kontakt?

Das hat hier keine Relevanz.

Sie haben einige Jahre in Besserungsanstalten verbracht. Haben Sie dort Leute getroffen, die ähnlich empfinden wie Sie?

Ganz bestimmt, ja.

Sind Sie in diesen Anstalten zu einem glücklicheren Menschen geworden?

Das würde ich auf keinen Fall sagen. Dort geschehen Dinge … das ist eine andere Zeit gewesen. Ich weiß nicht genau, was Glück eigentlich ist.

An den Wänden unserer Kabine stehen in schmalen Regalen Kartons und Bücher des Verlags. Yahya Hassan reißt einen der Kartons auf, nimmt ein Plastiktütchen heraus und öffnet auch das. Ein kleiner Spielzeugpilz ist darin, mit dem spielt Hassan ab jetzt. Dabei gähnt er oft und räkelt sich, seine Augen suchen nach etwas, das interessanter ist, als wir es sind.

Sie haben doch in der Besserungsanstalt angefangen, Gedichte zu schreiben.

Nein, ich habe auch vorher schon geschrieben.

Aber wir haben doch über Sie gelesen …

Sie lesen zu viel.

In der vom Verlag verbreiteten Biografie steht, Yahya Hassan habe das Schreiben in der Anstalt gelernt.

Stimmt denn die Geschichte, dass eine Lehrerin Sie zum Lesen animiert hat?

Also, ich habe immer schon gelesen und geschrieben, auch bevor ich diese Lehrerin getroffen habe. Sie hat mir Bücher geschenkt. Aber es gibt jede Menge anderer Leute, die mir Bücher geschenkt haben.

In einem Ihrer Gedichte gibt es die Andeutung, Sie hätten mit Ihrer Lehrerin eine Affäre gehabt.

Ich weiß nicht, wie das Gedicht auf Deutsch erschienen ist und was da drinsteht.

Das war zu viel. Hassan fragt uns, ob wir von einer Boulevardzeitung kommen. Warum uns solche persönlichen Dinge interessieren. Wir entgegnen, dass wir uns solche Fragen stellen bei jemandem, der sagt, er schreibe auf der Grundlage persönlicher Erfahrungen. Wir fragen ihn, ob er das Gespräch als unangenehm empfindet. Er richtet sich auf, schüttelt den Kopf. Es kann weitergehen.

Sie sagen häufig, Sie bewundern Dostojewski. Wie kommt man als Jugendlicher auf die Idee, Dostojewski aufzuschlagen?

Das kommt ganz darauf an. Ich habe verschiedene Sachen gelesen. Habe ich immer schon gemacht.

Lyriker sind selten erfolgreich. Warum haben Sie sich entschieden, Gedichte zu schreiben und nicht zum Beispiel einen Roman?

Ich habe angefangen, mit dreizehn Jahren Rapmusik zu machen. In meiner Nachbarschaft gab es verschiedene Rap-Workshops, ich habe mich da angemeldet. Das hat sehr viel Spaß gemacht, auch der Rhythmus und die Musik. Aber mit der Zeit wurde mir das zu oberflächlich, karikierend. Die ganze Zeit einen auf hart zu machen, die Goldketten, das Geld, das Hasch und die Frauen, das hat mir irgendwann nicht mehr so gefallen. Ich habe einfach weiter meine Texte geschrieben, aber ich habe sie nicht mehr aufgenommen. Nach und nach wurden diese Texte zu kleinen Erzählungen, mein Ausdruck wurde präziser, und dann waren es halt Gedichte. Das war keine bewusste Entscheidung.

Mit Rap könnten Sie ein jüngeres Publikum erreichen.

Zu meinen Lesungen kommen eigentlich sehr viele junge Leute, genauso wie die älteren. Mein Publikum ist sehr gemischt.

Was unterscheidet einen Rap-Song von einem Gedicht?

Das Dichten hat nicht diese Dogmen, wie es sie in der HipHop-Kultur gibt. Dazu braucht man sich nur einige Rap-Videos anschauen, sie funktionieren alle nach demselben Schema. Die Dichtung ist freier. Es gibt Autofiktion, es gibt Gedichte, die eher sprachlich ausgerichtet sind und inhaltlich nicht viel mitzuteilen haben, es gibt welche, die sich nur gut anhören sollen. Ich sage nicht, dass das Dichten frei von Dogmen ist. Aber es hat mehr Formen, es ist weniger restriktiv als Rap-Musik.

Mittlerweile sind Sie ein Star in Dänemark. Begreifen Sie sich als Vorbild?

Nein, das tue ich nicht. Nur weil ich jetzt irgendein Dichter geworden bin und weil manche Leute meinen, ich sei erhoben worden zu irgendetwas anderem, Höherem, bin ich das dennoch nicht. Ich mache ja auch jede Menge anderer Sachen, die moralisch vielleicht nicht immer so korrekt sind. Also, ich bin nicht besser als andere. Nur eine Person, die Gedichte schreibt. Ich kann ungeachtet dessen auch straffällig sein oder rauschgiftabhängig.

Fühlt es sich noch immer ungewohnt oder sogar seltsam an, dass es so viele Menschen gibt, denen es etwas bedeutet, was Sie geschaffen haben?

Das müssen die Leute mit sich ausmachen, was für sie wichtig ist.

Neu für Sie ist auch, sich im Literaturbetrieb zu bewegen. Der gilt als ziemlich elitär. Kommen Sie sich da wie ein Außenseiter vor?

Ich bewege mich nicht so sehr in diesen literarischen Kreisen. Dass ich zur Elite gehören wollte, ist ja nicht der Grund dafür, dass ich Gedichte geschrieben habe. Diese Gemeinschaften sind nicht so unbedingt meine Sache. Als eine Person, die in der Öffentlichkeit Bekanntheit gewonnen hat, kann man natürlich ab und an das Gefühl haben, dass man eine Art Giraffe ist, die die Leute besuchen und sehen möchten.

Sie schreiben über die sozial schwachen Migranten von Aarhus. Es gibt auch eine weiße, urdänische Unterschicht. Was unterscheidet die zwei Gruppen?

Ich kann da nicht so richtig sagen, ob es einen Unterschied gibt, weil ich diese Leute aus der weißen Unterschicht, wie ihr das nennt, nicht kenne. Aber wenn ich darüber nachdenke, könnte man sagen, dass die religiöse Indoktrination wahrscheinlich milder ist. Aber was Kriminalität, Gewalttätigkeit und sozialen Betrug angeht, so glaube ich nicht, dass es da einen Unterschied gibt. Das ist ja nichts, was den Muslimen vorbehalten ist. Das ist nichts, was irgendeine Farbe hat. Das kann an verschiedenen Orten, überall, vorkommen. Deshalb schreibe ich darüber, wo ich herkomme.

Es gab in Aarhus also keine Berührungspunkte, keine Kontakte in der Schule, keine Freundschaften zwischen den armen ethnischen Dänen und der Schicht, aus der Sie kommen?

Nicht so wirklich. Als ich älter wurde, hatte ich Freunde auf beiden Seiten. Die dänischen Freunde, das waren eher die, mit denen ich zusammen Bücher gelesen habe. Aber das waren nicht Leute, die man so zusammengebracht hat. Wenn man mit Dänen zusammen gesehen worden wäre, hätten die Araber gesagt, was machst du denn mit den Dänen? Was machst du mit den Ungläubigen? Die Leute reden so viel von Rassismus gegenüber Ausländern oder Flüchtlingen. Aber der Rassismus ist in der anderen Richtung genauso groß. Ich habe also eine Art Doppelleben geführt. Ich hatte Freunde, die Dänen waren, und ein paar Kriminelle, die Araber waren. Meine Mutter hat immer gesagt: Such dir einen glaubwürdigen arabischen Freund. Das hat mein Vater auch immer gesagt.

Bedeutet Ihre Kritik am Islam denn, dass Sie jede Form von Religion ablehnen?

Was mich selbst anbetrifft, ja. Aber mir ist es egal, woran die Leute glauben. Ob an Allah, den Weihnachtsmann oder an Dick und Doof. Nur sobald ihr Glaube sie zu merkwürdigen und verschrobenen Personen macht, habe ich ein Problem damit.

Vielen Dank für das Interview.

Schon okay.

Er steht auf und geht. Sein Übersetzer sagt, Yahya Hassan habe heute einen guten Tag.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Daniel Schulz , Autor*in des Artikels, Reportage und Recherche

    Sehr geehrte Mitdiskutanten,

     

    ich lese dieses Interview und Ihre Kommentare wieder als Vorbereitung für eine andere Geschichte. Und ich glaube inzwischen auch, dass die Einschübe dem Gespräch manchmal einen unnötigen giftigen Zusatz geben. Meine Kollegin war übrigens schon damals dagegen, ich dachte, man bräuchte sie, um die Atmosphäre des Gesprächs zu erklären, von der ich noch lange hinterher beeindruckt war.

     

    Zum Gespräch selbst: Ob man nun alle Fragen so schlau findet, sei dahingestellt. Ich bin inzwischen älter und würde auch manches anders machen. Aber Herr Hassan hätte jederzeit gehen können, er hat das auch bei Interviews immer wieder gemacht. Es war kein angenehmes Gespräch, aber ein interessantes. Auch wegen der Fehler, ich kann da gerade nur für mich sprechen, die ich gemacht habe.

  • Das Interview ist nur aufgrund der Antworten erträglich. Insbesondere den redaktionellen Einschüben merkt man vor allem Eines an: ein komplettes Unverständnis gegenüber der Biographie, vor Allem aber ein Unverständnis von Literatur. Die Frage, wie denn ein Jugendlicher dazu komme Dostojewski zu lesen, hätte auch im Rheinischen Merkur oder der Welt 1985 stehen können. Die Jugendlichen heute spielen alle nur noch Ballerspiele, und der Dichter wird wie ein Schuljunge behandelt. Der Effekt ist nur der, dass man als Leser den Eindruck hat, die Journalisten seien eben erst mit einem mittelprächtigen Deutsch Grundkurs aus dem Gymnasium in Hessen entlassen worden. Der Artikel ist kein Desaster. Aber mein Anspruch an die taz geht einfach darüber hinaus. Unterm Strich ist es aber wahrscheinlich gar nicht die journalistische Qualität, die einen hier motiviert zu kommentieren. Man schämt sich einfach etwas für die Journalisten, die offenkundig der Situation (noch) nicht gewachsen sind. Ein interessanter junger Dichter. Schade, dass man nichts über seine Dichtung erfäht, sondern nur etwas, über die voyeuristische Faszination von Journalisten an einer Biographie jenseits der Doppelhausreihenhälfte.

  • Mir erscheint die Phase der internen Kritiker im Migrationsprozess gekommen. Diese werden mehr Transformationsprozesse generieren als die Geldschneiderei eines Herrn Sarrazin bzw. Pirincci. Bezeichnenderweise gehen diese Kritiker einen schwereren Weg.

  • 3G
    3784 (Profil gelöscht)

    Der Autor spricht mir aus der „Seele“. Aber bei dem Wort wären wir ja (philosophisch) beim Bieri-Trilemma angekommen, und psychologisch beim „Autisten“, wie der Kommentar von „Noevil“ dokumentiert. Und da nicht genug, die „moderne“ Sicht von „BERND NICHT“: „… und typisch Gangster antwortet“. Ach, was bin ich der Stereotypen und Schubladen müde.

  • Das Interview wirkt ein wenig dümmlich und naiv.

    Es stört die Autorin offenbar nicht, dass Herr Hassan von radikalen Islamisten verfolgt wird oder von seiner Familie verstoßen wird, bloß weil er es wagt, der eigenen Community den Spiegel vorzuhalten.

    Insofern widerspricht er linkspopulistischen Thesen, dass immer die Gesellschaft schuld sein müsste. Sicher war bei Beate Zschäpe auch die Gesellschaft schuld.

    • @Jared:

      "dümmlich und naiv" na ja, is ja noch keine Meisterin vom Himmel gefallen.

      Hier prallen vor allem zwei Erfahrungswelten zusammen und die "Chemie" stimmt dadurch nicht besonders.

       

      Egal - manchmal, und auch in diesem Falle, kommen dadurch zwar etwas sperrige aber dennoch authentische und letztlich auch gehaltvolle Interviews zustande.

       

      Die Ansichten des jungen Herrn bedeuten für mich jedenfalls eine Horizonterweiterung.

  • Das Interview wurde von 2 Personen durchgeführt. Neben der zugegeben relativ jungen türkischstämmigen Redakteurin auch von Herrn Schulz als Leiter des Medien- und Gesellschaftsressort der Taz (Geburtsjahr 1979). Wobei eine diskriminierende Ungleichbehandlung von Menschen nach ihrer ethnischen Abstammung nicht unbedingt davon abhängt, ob man selber einen Migrationshintergund hat.

  • Ich bin beeindruckt von diesem starken jungen Mann. Und mir fiel sofort ein Zitat von Franz Kafka ein. Obwohl es lang ist, werde ich es hier wiedergeben:

    "... Und doch war er im Recht, wenn man hier überhaupt von Recht reden konnte; und als ich ein größerer Junge war, nickte ich ihm in Erkenntnis des Zusammenhanges zu, während er mich mißhandelte, nur daß ich freilich seine Rohheit nicht für Erziehung ansah, sondern für das, was sie war, das Sich-wehren eines gefährlich Angegriffenen, der so empfindlich und im Grunde so wehrlos ist, daß er sich sogar vor Kindern fürchtet. Wie ja allerdings wahrscheinlich alle Erziehung nur zweierlei ist, einmal Abwehr des ungestümen Angriffs unwissender Kinder auf die Wahrheit und dann sanfte unmerklich-allmähliche Einführung der gedemütigten Kinder in die Lüge. - Um so schlimmer wurde es, als ich erwachsen war und doch nicht nachgab."

    In Yahya Hassan haben wir wieder so einen, der nicht nachgibt und es hoffentlich auch niemals wird - wenngleich ich ihm für die Zukunft Begegnungen mit Menschen wünsche, die ihm mit dem Glück bekanntmachen.

  • Da ist anscheinend ein sehr wütender junger Mann. Kein Wunder mit seinem Background - und durchaus das Recht eines 19 Jährigen.

    Wurde das Interview mit ihm nochmals durchgegangen? Zumindest von der TAZ würde ich das erwarten wenn so viel dazu kommentiert wird.

    Kommentierungen zu Interviews sind immer so ne Sache. Ich bekam mal eine ganze Seite in der Lokalzeitung zum Thema Gemeinschaft. Der Autor hat darin sehr stark Kommentiert, was ich nicht wusste und dem ich nie zugestimmt hätte.

    Seither wurde ich nur noch von mir bekannten Personen interviewt. Fremden werde ich nur noch ein Interview gegen, wenn ich danach Einsicht bekomme und ich die Zusage habe, dass Kommentierungen über mich, also alles was nicht wörtlich aus meinem Mund kam, nur mit meinem Einverständnis veröffentlicht wird.

  • Die Gedichte von Yahya Hassan sind mir (noch) unbekannt. Aber sie interessieren mich. Seine Antworten und Reaktionen erwecken in mir Assoziationen einer Art von Autismus. Vielleicht ist seine vehemente Art von Distanz auch eine Folge seiner Lebenserfahrungen. Das Leben hat viel an Reichtümern zu bieten. Ich wünsche ihm so viele positive Erfahrungen, dass er lernt Kontakte zu lieben und Freude zu empfinden und auszudrücken. Ein kluger junger Mensch.

  • Die Taz-Interviewer sollten ihren subtilen Rassismus überprüfen. Keinem 18-jährigen Biodeutschen oder Biodänen, der von seinem Vater schwer misshandelt und verprügelt wurde, würde man abverlangen, Verständnis für die Traumata das prügelnden Papas aufzubringen. Mein Gott, denkt daran, wie jung der Typ ist. Bis man seinen Eltern verzeihen kann, dafür braucht man eventuell Jahrzehnte. Manche misshandelte Kinder schaffen das ihr ganzes Leben lang nicht. Diese Frage was das Verständnis für die Eltern angeht, ist in Anbetracht des jungen Alters des Autors eine absolute Unverschämtheit, die sich die Interviewer sicherlich gegenüber anderen jugendlichen Gewaltopfern nicht heraus genommen hätten

    • @vulkansturm:

      Ich kann kann Ihre Erwägungen durchaus verstehen, Ihre Einlassung zur Autorin finde ich jedoch Quatsch.

      Wie ich sehe ist sie selbst noch keine 30, also möglicherweise noch nicht mit Altersweisheit gesegnet und nach dem Bild sieht es aus, als ob sie nicht aus einem "rein deutschen Hintergrund" kommt.

      Über die Art und Weise des Interviews lässt sich wirklich streiten, aber es gibt einen unterschied zwischen nicht sonderlich gut und Vorwürfe zur Haltung.