Jan Delay über sein neues Album: „CDU-Wähler dürfen auch tanzen“
Der Hamburger HipHop-Star Jan Delay über sein neues Album „Hammer & Michel“, seinen US-Kollegen 50 Cent und Sehnsucht nach dem alten St. Pauli.
taz: Jan Delay, Sie haben schon einige musikalische Wandlungen hinter sich. Mit Rap, Reggae, Soul, Disco und Funk hatten Sie sich in ihrer bisherigen Karriere immer der Black-Music-Tradition verpflichtet. Mit „Hammer & Michel“ liefern Sie jetzt ein klassisches Rock-Album. Wie kommt’s?
Jan Delay: Guns N’ Roses und Nirvana fand ich schon immer geil, auch zu meinen krassen HipHop-Nerd-Zeiten. Aber eigentlich ist Rock ja immer der Feind gewesen, weil, für jemanden, der in den 80er und 90er Jahren in Deutschland aufgewachsen ist, bedeutet Rockmusik Bryan Adams und Bon Jovi. Und so was habe ich gehasst.
Doch Mitte der nuller Jahre kamen plötzlich ganz viele geile Rock-Alben raus, von Queens of the Stone Age, Rage Against the Machine, Wolf Mother, Kaiserchiefs … Die hatten so einen energischen Sound, den ich sehr mochte. Und wenn ich mich in etwas reinsteigere, dann habe ich Bock, das selbst auszuprobieren. Ich wusste ja auch, wenn ich das mit meiner Band Disko No. 1 mache, dann wird das nicht so jungsmäßig, sondern automatisch funky und tanzbar.
Glauben Sie, Ihre Fans kommen bei dem ständigen Stilwandel noch mit? Oder geht es nur noch um Radio-Airplay und darum, die Masse zu erreichen?
Ne, also ich habe das Glück, dass die beim Radio den neuen Song „St. Pauli“ gut finden und spielen wollen, aber ich habe den Song ja nicht dafür geschrieben. Wenn ich das alles für Kohle und Airplay machen würde, dann müsste ich da ja viel kalkulierender rangehen.
Allein wie viel Zeit und Geld ich investiert habe, um ein Rock-Album zu machen, als jemand, der gar keine Ahnung von Rock hat … Das wäre vollkommen dumm, das aus rein wirtschaftlichen Gründen zu machen. Ich konnte mir das nur leisten, weil die beiden Alben davor so gut liefen.
Und ob die Leute jetzt mitkommen oder nicht, kann ich nicht wissen. Aber ich will halt, dass es aufregend bleibt. Sonst bin ich irgendwann so ein Jamiroquai, bei dem es keinen interessiert, wenn er sein 15. Album rausbringt, weil die genauso klingen wird wie alle Alben davor.
Aber Jamiroquai zieht ja eine sehr breite Masse an. Das kann man auch von Ihnen behaupten. Gibt es denn noch Leute, von denen Sie nicht möchten, dass sie Ihre Lieder singen?
Jan Phillip Eißfeldt wurde 1976 in Hamburg-Eppendorf geboren und ist auch bekannt unter den Namen Eizi Eiz, Eißfeldt und Boba Fett. Von 1997 bis 2003 führte er das eigens gegründete Indie-Label Eimsbush und wurde als ein Drittel des HipHop-Trios Beginner (ehemals: Absolute Beginner) bekannt. Derzeit arbeitet das Trio an einem neuen Album.
"Hammer & Michel" (Vertigo/Universal) ist das inzwischen vierte Solo-Album des Künstlers betitelt. Es erscheint am 11.4.2014. Mit seiner Liveband Disko No. 1 spielt Jan Delay dieses Jahr bei den Festivals Rock im Park und Rock am Ring. Auf Tour geht es dann ab dem 24. September.
Ja, klar. Volker Kauder zum Beispiel. Im Ernst, als die CDU den Wahlsieg hatte und plötzlich zu dem Toten-Hosen-Song rauskam und gefeiert hat – das war schon schlimm. Hoffentlich gewinnt die CDU nie in St. Pauli irgendeine Wahl.
Okay, CDU-Wähler dürfen natürlich auch tanzen. Aber dafür sind ja meine Texte da, um unmissverständlich klarzumachen: Ich seh das so. Wenn ihr jetzt dazu tanzen wollt, dann ist das cool und tolerant von euch, aber kommt mir bitte nicht mit euren komischen Weisheiten.
Um diese Vermischung der Fronten geht es auch in der „Scorpions-Ballade“ auf Ihrem neuen Album. Darin singen Sie, dass es Sie verwirrt, dass die CSU Kernkraftgegner ist und FDPler mit Iro und tätowiert herumlaufen. Ist Ihnen der Graben zwischen links und rechts nicht mehr tief genug?
Nein, das würde ich nicht sagen. Nur ist er manchmal nicht mehr so gut zu erkennen. Es gibt da eine Art Grauzone, die ist ganz komisch. Horst Mahler gehört dazu, der Anwalt der RAF, der dann plötzlich ein Nazi-Anwalt war. Vielleicht ist es die Grauzone der Radikalität, in der sich Menschen befinden, die außerparlamentarisch agieren wollen. Aber in dem Song geht es eher darum, dass es keine Haltung mehr gibt, keine Ideale, an denen man sich festhalten kann. Das vermisse ich echt ein bisschen.
War das vor 13 Jahren anders, als Ihr Reggae-Album „Searching for the Jan Soul Rebels“ herauskam?
Ja, da war das noch anders. Da sahen die Nazis auf der Demo noch nicht aus wie der schwarze Block. Da gab es auch noch kein Nazi-Fanzine, bei dem 50 Cent auf dem Cover war. Dieses Fanzine-Cover gibt es tatsächlich und es hat mich so erschüttert. Und einmal habe ich Bullen gesehen, die Gentleman gehört haben. Irre. Die beste Art, das alles zu verarbeiten, war es, einfach zu sagen: So weit ist es schon gekommen, dass ich eine Scorpions-Ballade singe.
Ein anderer Song, „Dicke Kinder“, ist eine Art gesellschaftliches Kommentar und ganz schön zynisch. Die Kinder heißen Sandy und Kevin und sitzen vor der Glotze. Sie spielen quasi an, dass schlechte Ernährung ein Milieuproblem ist.
Ich spiele damit, ja, aber so ist es eben nicht. Deshalb sage ich ja am Ende: das ist eine Lüge. Eine Tüte Chips kostet 2 Euro. Du kannst ja auch zum Scheißgemüseregal gehen und dir Kartoffeln holen und dazu einen Quark oder sonst was. Ich finde das ätzend, wenn Geld als Argument für schlechte Ernährung genommen wird.
Die Leute wissen’s halt nicht besser und sie sind faul. Es ist eben einfacher, eine Pizza zu nehmen und sie in den Ofen zu schieben, als etwas Frisches zuzubereiten. Aber deshalb sage ich bei den Konzerten auch immer, dass es nicht ein Song über dicke Kinder ist, sondern einer über dumme Eltern.
Dem Clubkonzert in Berlin am Montag merkte man schon an, dass Sie sich auf die großen Festivalbühnen vorbereiten. Technisch war das alles sehr sauber, aber es gab wenig Intimität und keinerlei Spielraum für Improvisationen. War Ihnen die Bühne zu klein?
Auf keinen Fall. Aber was da eben beschrieben wurde, ist genau das, was ich machen will. Ich bin Fan von guten Shows mit guten Musikern. Aber ich bin kein Fan von so ausufernden Mucker-Parts. Das geht mir aufn Zeiger. Auch lange Konzerte finde ich schrecklich. Es ist viel geiler, wenn man hundert Prozent gibt, aber dafür nicht so lang spielt.
Die Reaktionen auf „Hammer & Michel“ fallen nicht gerade blendend aus. Wie egal ist Ihnen das eigentlich?
Gar nicht egal. Ich differenziere natürlich zwischen den Instanzen. Irgend so ein Typ, der für den Spiegel schreibt, ist für mich halt nur irgendein Typ und nicht jemand, den ich kenne und dessen Meinung ich schätze. Trotzdem nervt es, wenn jemand, der offensichtlich ein Problem mit mir hat, das aufschreibt und alle lesen das.
Gibt es denn einen Vorwurf, der Ihnen besonders nahegeht?
Nein, weil ich kann die Vorwürfe auch gar nicht nachvollziehen. Den einen stört es, dass ich plötzlich Rock mache. Auf die Art: Ist ja toll, wenn der Typ dauernd neue Sachen macht, Rap, Reggae und so, gehört ja alles zusammen. Aber Rock geht nicht, das ist unser Ding, unsere weiße Rockmusik in Deutschland!
Sie haben auch St. Pauli ein Lied gewidmet. Es handelt vom anarchischen Charakter des Stadtteils. Gibt es dieses St. Pauli denn noch, das Sie da besingen?
Leider nicht, ich besinge das alte St. Pauli, wo wir früher an den Wochenenden abgehangen sind, wo viele waren, weil sie es sich woanders nicht leisten konnten zu leben oder ihre Ideen zu verwirklichen.
In Hamburg sagen die jetzt: „Ey, du hättest jetzt einen Song über Gentrifizierung machen müssen!“ Aber ich denke, nee, warum muss ich das denn? Warum kann man nicht schöne Lieder machen? In einem Liebeslied muss man doch auch nicht unbedingt über Liebeskummer singen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben