Wurde eine Vergewaltigung vertuscht?: Reinwaschung einer Sportikone
Polnische Polizeiakten legen nahe, dass Österreichs Skiheld Toni Sailer eine Frau vergewaltigt hat. Funktionäre und Politiker deckten ihn.
Toni Sailer (1935–2009), der dreifache Olympiasieger von 1956, mehrfache Weltmeister, Filmstar und Frauenschwarm, war mehr als ein begabter Skifahrer. Er hat nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich zur Identitätsfindung einer gebeutelten Nation beigetragen und Österreich weltweit als Wintertourismusdestination etabliert. Diese Bedeutung erklärt auch, warum die Politik alle Hebel in Bewegung setzte, um den schwer belasteten Sportfunktionäre reinzuwaschen.
Was sind die Fakten? Im März 1974 fand im polnischen Zakopane ein Herren-Weltcup-Slalom statt. Toni Sailer als Sportdirektor des Österreichischen Skiverbandes (ÖSV) und die meisten Athleten residierten im Hotel Sport. Bestätigt ist, dass der schon alkoholisierte Sailer am Abend des 4. März von zwei für eine italienische Skischuhmarke arbeitenden Jugoslawen aufs Zimmer eingeladen wurde. Dort stellten sie ihm die damals 28-jährige Janina S. vor, eine junge Polin, die als „Nebenerwerbsprostituierte“ beschrieben wird, also die Anwesenheit westlicher Ausländer nutzte, um an harte Währung zu kommen.
„Notzucht“ als schlechter Scherz?
Was dann passierte, wird in der polnischen Polizeiakte als „Notzucht“ vermerkt. Dem Österreicher wurde sein Dienstpass entzogen. Toni Sailer hat den Vorfall später als „Falle“ dargestellt. Auch die beiden Jugoslawen, die vom Rechercheteam in Slowenien aufgestöbert wurden, bestreiten den Vorwurf der Vergewaltigung. „Ganz Österreich weiß, dass er getrunken hat. Zum Sexuellen werde ich nichts sagen“, sagte der eine. „Es war ein schlechter Scherz, eine Falle“, der andere.
Das Protokoll des Polizeiarztes spricht eine völlig andere Sprache. Darin ist festgehalten: „Prellungen in der Steißbeingegend, Blutgeschwulst der rechten Augenhöhle, Bisswunden am rechten Oberarm, Blutgeschwulst am Knochenrand der rechten Achsel und am Oberschenkel. In Folge dieser Körperschädigungen sind die Körperfunktionen für den Zeitraum bis zu 7 Tagen gestört worden.“ Die beiden Jugoslawen sollen die Frau am Bett fixiert haben, während Sailer sich an ihr verging.
Toni Sailer wurde am folgenden Tag festgenommen und rief bei der österreichischen Botschaft in Warschau an. Außenminister Rudolf Kirchschläger intervenierte darauf bei den polnischen Behörden. Schon nach zwei Tagen bekam Sailer gegen eine vom Außenministerium hinterlegte Kaution von 5.000 US-Dollar seinen Pass zurück und durfte das Land verlassen. Die Strafsache ging zunächst als Gruppenvergewaltigung ans Wojwodschaftsgericht in Krakau.
Aus der Gruppenvergewaltigung wurde Körperverletzung
Auch die österreichische Justiz musste tätig werden. Denn es galt noch das Strafgesetz aus 1852, dessen Paragraf 36 zur Verfolgung von „Verbrechen der Unterthanen im Auslande“ verpflichtete. Dem entzog man sich dadurch, dass die polnische Justiz kooperierte. Aus der Gruppenvergewaltigung wurde flugs eine „Körperverletzung“, die nach der damaligen Gesetzeslage nur auf Antrag des Opfers verfolgt werden musste. Man kann davon ausgehen, dass Janina S. entschädigt wurde und deswegen darauf verzichtete. Die Frau konnte nicht befragt werden, vermutlich lebt sie nicht mehr.
Das Interesse Polens, die heikle Sache aus der Welt zu schaffen, war offensichtlich: Österreich hatte als einer der ersten westlichen Staaten mit Polen einen Außenhandelsvertrag geschlossen und Devisenkredite in Aussicht gestellt. Für Oktober 1974 war ein Besuch des polnischen Ministerpräsident Piotr Jaroszewicz in Wien geplant. Die polnischen Behörden regten also an, Sailer möge „noch vor der Reise des polnischen Ministerpräsidenten Jaroszewicz nach Österreich die seinerzeit erlegte Kaution persönlich in Krakau entgegennehmen.“
Im Dezember meldete die Botschaft dann, die polnische Staatsanwaltschaft habe das Verfahren „aus Rücksicht auf Mangel an gesellschaftlichem Interesse“ eingestellt. Der Österreichische Skiverband, so schreibt Der Standard, soll „mehrfach und herzlich für die Intervention des Herrn Bundesministers gedankt“ haben.
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