Wunderkind im Basketball: Verlieren für den Besten
Die NBA-Saison beginnt gerade. Doch schon wird über die nächste Spielzeit gesprochen. Ein Supertalent aus Frankreich ist dann im Angebot.
I st er „ein Einhorn“? Hat er „das Potenzial, zum besten Basketballspieler aller Zeiten“ zu werden? Oder nur „das größte Talent seit LeBron James“? Besagter LeBron hält ihn übrigens für „einen Außerirdischen“. Giannis Antetokounmpo, der aktuell wohl beste Basketballspieler des Planeten, findet, „er kann einer der besten Spieler aller Zeiten werden“. Und der auch nicht ganz schlechte Kollege Stephen Curry hat das Gefühl, da wurde jemand „speziell für ein Computerspiel generiert“.
Die Rede ist von Victor Wembanyama. Der 18-jährige Franzose ist 2,20 Meter groß, aber geht mit dem Ball um wie ein Aufbauspieler. Er kann dribbeln, aber auch gegnerische Würfe blocken. Er muss kaum vom Boden abheben, um den Ball zu dunken, versenkt aber trotzdem routinemäßig Distanzwürfe. Er ist ein Phänomen, wie es die Basketballwelt selten gesehen hat.
Deshalb spielt Wembanyama in der neuen Saison der NBA, die eben begonnen hat, eine gewichtige Rolle, obwohl er gar nicht in der NBA spielt. Noch nicht. Denn eins scheint sicher: Sollte sich der in einem Pariser Vorort aufgewachsene Wembanyama nicht verletzen, wird er beim NBA-Draft im nächsten Sommer als erster Spieler ausgewählt werden.
Ist Wembanyama tatsächlich so gut wie erwartet, könnte der Klub, der das Glück hat, ihn zu bekommen, um ihn herum eine Erfolgsmannschaft aufbauen – und natürlich auch ein gutes Geschäft. Der Hype um Wembanyama, so befand das Wirtschaftsmagazin Forbes, hat deshalb mittlerweile „nahezu unvernünftige Ausmaße angenommen“.
Die Verlockung zu verlieren
Aber um das Wunderkind zu bekommen, muss dieser Klub in dieser Saison schlecht sein. Sehr schlecht, denn je weniger Spiele ein Team in dieser Saison gewinnt, desto besser sind die Chancen bei der Verlosung der besten Draft-Plätze im kommenden Mai. Um die Liga ausgeglichen zu halten, gehen die besten Talente an Teams, die in der Vorsaison nicht mithalten können. Die Verlockung, absichtlich zu verlieren, um die Chancen auf Wembanyama zu erhöhen, ist dermaßen groß, dass Adam Silver bereits eine Warnung aussprach. Er geht davon aus, dass alle Teams sich anstrengen werden in der laufenden Spielzeit, sagte der NBA-Boss, „aber ich weiß, dass sich einige schon die Finger lecken bei der Aussicht, ihn zu bekommen“.
Silver sagte auch, dass Wembanyama „alle Attribute hat, das Spiel radikal zu verändern“. Dass diese Aussichten berechtigt sind, bewies der Gelobte Anfang Oktober in Las Vegas. Seine Mannschaft, der französische Erstligist Metropolitans 92, absolvierte zwei Vorbereitungsspiele gegen ein Team aus hoffnungsvollen Talenten, die vor dem Sprung in die NBA stehen. Kaum ein NBA-Scout ließ es sich nehmen, Wembanyama zu begutachten.
Und der lieferte. Der spindeldürre Riese reboundete und blockte, verteilte sensationelle Pässe und traf aus allen Lagen. Anschließend gab es viele Vergleiche, angesichts seiner schmalen Statur, Geschmeidigkeit und Größe vor allem mit Kevin Durant – der ist allerdings noch mal 12 Zentimeter kleiner. „Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so groß ist und sich trotzdem so flüssig und elegant bewegt“, befand LeBron James.
Nun wird allerseits schon lustig spekuliert, wer denn die Mannschaften sein könnten, die sich am Schneckenrennen um Wembanyama beteiligen könnten. Offensichtliche Kandidaten sind die Utah Jazz, die über den Sommer mit Donovan Mitchell und Rudy Gobert ihre beiden besten Spieler abgegeben haben, sowie die Houston Rockets und die Oklahoma City Thunder, die sich beide seit Jahren im Neuaufbau befinden. Auch Gregg Popovich, legendärer Trainer der San Antonio Spurs, ließ unlängst wissen: „Ich sollte das vielleicht nicht sagen, aber ich sage es trotzdem: Niemand sollte darauf wetten, dass wir Meister werden.“
So kommt es, dass der bereits sehr gut Englisch sprechende Wembanyama ein neues Wort gelernt hat: „to tank“ heißt nach Wörterbuch so viel wie „Schiffbruch erleiden“ und wird in der NBA als Synonym für das absichtliche Verlieren benutzt. „Es ist ein Wort mit einer seltsamen Bedeutung“, sagte Wembanyama nach seinen beeindruckenden Auftritten in Las Vegas, „und ich persönlich will niemals verlieren.“ Er nicht, aber seine zukünftige Mannschaft sehr wahrscheinlich schon.
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