Workshop: Spielen im Spiel

Ego-Shooter wie Counterstrike assoziieren viele mit sozialer Isolation und Suchtgefahr - doch wer die Spielregeln bricht, findet etwas Neues.

Choreografie entwerfen und dann die 3D-Figuren rocken lassen: Schüler beim Workshop "Ballett tanzen im Ego-Shooter". Bild: Ulrike Schmidt

Die Choreografie klingt ganz einfach, als Regisseurin Luisa Dietrich sie noch mal für die ganze Gruppe zusammenfasst: "Ihr geht einfach alle einen Schritt vor und schießt dann gleichzeitig vier Mal." Doch es dauert schon eine kleine Weile bis sich die fünf Tänzer ausgetobt, in einer Reihe aufgestellt und die richtige Waffe in die Hand genommen haben.

Bis dann alle gleichzeitig einen Schritt nach vorn gehen, dauert es nochmal eine gute halbe Stunde. Irgendwer trödelt jedes Mal hinterher, geht nicht auf Drei los oder bleibt gleich ganz mitten im Innenhof unter dem strahlend blauen Himmel stehen. "Eins, zwei, drei", zählt die 16-jährige Luisa erneut und wieder rumpeln die fünf Tänzer nacheinander einen Schritt vor. "Wer ist denn das immer? Oh man! Wieso gehst du denn nicht los?" Synchronität Fehlanzeige. An zeitgleiches Schießen ist nicht zu denken.

Dabei hat die Gruppe um Luisa ihre sieben zu drehenden Szenen genau geplant, bevor sie sich in dem Seminarraum in der Hamburger Speicherstadt an die Laptops gesetzt hat. Sie haben sich in der Spielwelt des Ego-Shooters "Urban Terror", einer Modifikation von "Counter Strike", ihre Drehorte ausgesucht, sich für den Song "Took the night" von Chelley für ihre Perfomance entschieden und die Choreografie ausgearbeitet. Die haben sie dann auch im realen Leben geprobt. Da klappte es auch schon ganz gut, nachdem die 16- und 17-jährigen Schüler die anfängliche Schüchternheit beim Tanzen abgelegt hatten.

Medienkünstler, Festivalmacher, Computerspieler und Pädagogen aus ganz Deutschland engagieren sich für die Ende 2007 gegründete Initiative Creative Gaming, die Computerspiele mit Kreativität verbinden und zu einer Spielwiese machen will.

Creative Gaming ist Comedy in Ballerspielen, Theater in Online-Welten, Geschichtsunterricht mit Strategiespielen - und die Kunst, die Regeln zu brechen und etwas Neues zu schaffen.

In der öffentlichen Diskussion über Computerspiele stehen vor allem die Themen Sucht und Gewalt im Mittelpunkt, die Initiative will zeigen, dass man sich Computerspielen auch künstlerisch und bildungsrelevant nähern kann.

Gefördert wird Creative Gaming unter anderem von der Bundeszentrale für politische Bildung.

Mehr Infos: www.creative-gaming.eu

Nun aber gilt es, die Choreografie von der realen in die virtuelle Welt zu verlegen. Und am Ende soll daraus ein kleiner Tanzfilm mit Kämpfern in der 3D-Spielwelt entstehen. So die Idee des Workshops "Ballett im Ballerspiel" von der Initiative "Creative Gaming". In Hamburg, Kiel und München finden diese Workshops statt und werden unter anderem von der Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt. Das Ziel der ganztägigen Workshops für Schüler ist es, die Regeln der Computerspiele zu brechen und den Sinn umzukehren: Die Mitspieler werden von Gegnern zu Partnern.

Einer der Mitinitiatoren ist der Soziologe und Medienpädagoge Andreas Hedrich: "In diesen Workshops entwickelt sich immer eine ganz eigene Dynamik unter den Schülern, die es so in einem Klassenzimmer nicht geben würde." Es gibt keinen Notendruck, kein Richtig und kein Falsch, sondern nur ein gemeinsames Arbeiten am Film in der 3D-Kulisse des Spiels. "Viele sagen, man solle bloß nicht spielen", sagt Hedrich. "Aber wir wollen ja die Kompetenz im Umgang mit den Medien fördern." Das erreiche man nicht, wenn man über etwas spreche, sondern wenn man es ausprobiere.

Viele der 27 Schüler aus der Klasse 11G der Julius-Leber-Gesamtschule haben keine oder wenig Erfahrung mit dem Spiel "Urban Terror" und müssen von den erfahrenen Spielern der Gruppe erst lernen, dass man mit der Leertaste springt, sich mit C duckt, mit W einen Schritt vorwärts geht und mit der linken Maustaste schießt. "Ich hab das Spiel vorher auch noch nie gespielt", sagt Luise. Aber jetzt kennt sie sich schon ein wenig aus und erklärt ihrer Gruppe, welche Tastenkombinationen in welcher Reihenfolge bedient werden müssen. Und siehe da: Die fünf Tänzer in ihren roten Anzügen haben es geschafft: einen Schritt vorwärts und vier Mal im Takt schießen. Die erste Szene ist im Kasten und weiter gehts zur nächsten Szene, durch weitere Innenhöfe und schließlich in einen Saal. "Jetzt aufpassen, dass wir uns hier nicht alle gegenseitig abschießen", sagt Luisa, die neben dem an die Wand gebeamten Spielfeld steht. "Wer ist denn das hier? Nun geh doch mal einen Schritt beiseite! Jetzt auf keinen Fall schießen!", dirigiert sie die virtuellen Tänzer hin und her.

Als der Kunstlehrer der 11G, Joachim Rose, von diesem Workshop erfuhr, meldete er seine Klasse sofort an, bekam einen extra Projekttag genehmigt. "Bei Kunst denkt man immer sofort ans Zeichnen", sagt Rose. "Aber die Regeln eines Computerspiels zu brechen und daraus einen Film zu entwickeln ist natürlich genauso Kunst." Er wisse natürlich auch, dass die Schüler nach diesem Tag nicht nach Hause gehen und sagen: "Mama, ich weiß jetzt, dass Computerspiele gefährlich sind und werde kein Amokläufer." Aber diese Spiele seien eine weit verbreitete Kulturtechnik, die man nicht verteufeln dürfe, sondern mit der man einfach umgehen müsse. "Die eigentliche Idee des Spiels für andere Zwecke zu missbrauchen, ist eine Möglichkeit", sagt Rose.

Und das Missbrauchen des Spiels kann sich am Ende sehen lassen. Luisa und ihre Tänzer haben alle Szenen pünktlich im Kasten. Nur bei der letzten Einstellung gab es noch unvorhergesehene Probleme. Die Tänzer sollten nacheinander von einem Balkon aus ins Bild springen und dabei lösten sich Schüsse. Zwei Tänzer überleben den Sprung nicht. "Das macht nichts", sagt Jan, der die Szenen gleich schneiden und mit Musik unterlegen wird. "Sieht doch lustig aus."

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