Wohnungsmarkt für Studierende: Entspannt in Chemnitz
In vielen ostdeutschen Städten sind die Mieten günstig. Wer hier studiert, kann sich seine Wohnung aussuchen – und ein besonderes Flair erleben.
Nicht so in Chemnitz. Jahrzehntelang lag der Brühl brach, weil der 240.000 Einwohner zählenden Stadt im Westen Sachsens ein schlüssiges Konzept für die einstige Vorzeigemeile fehlte. Nun langsam ändert sie sich – und mit ihr die Stadt. Das liegt auch an den mehr als 11.000 Studenten. Von Jahr zu Jahr werden es mehr. Seitdem günstiger Wohnraum knapp ist, ziehen ostdeutsche Städte Studierende aus ganz Deutschland an.
Bisher gingen die meisten nach Leipzig oder Dresden. Aber auch in Chemnitz ist die Zahl der Erstsemester in den vergangenen fünf Jahren um ein Drittel gestiegen. Mit den Studierenden ist auch auf dem Brühl Leben eingekehrt. „Wenn man den Standort vor eineinhalb Jahren gesehen hat, hätten nur noch die wehenden Heubüschel aus den Westernfilmen gefehlt“, lacht Laura Tzschätzsch.
Die 28-jährige Berlinerin zog 2012 zum Studieren nach Chemnitz. In Frankfurt (Oder) bekam sie keinen Studienplatz. Über die Studienrestplatzbörse kam sie an die Technische Universität Chemnitz. Mittlerweile studiert sie Interkulturelle Kommunikation und Kompetenz. Von der Stadt war sie sofort positiv überrascht. Schnell hat sie den Brühl für sich entdeckt: „Die Häuser haben mich fasziniert. Wenn abends die Lichter angehen. Das ist ein Charme, den hast du nirgends.“
Laura Tzschätzsch zog in eine Wohngemeinschaft ganz in der Nähe. Die Wohnungssuche war kein Problem. Gerade mal drei, vier WGs habe sie sich angeguckt und eine Wohnung gefunden, die sie sich in Berlin nie hätte leisten können. „Das ist schon ein gewisser Luxus, den man hier hat“, schwärmt sie.
Günstiger Wohnen im Osten
Ein Luxus, von dem Studierende in vielen anderen Städten nur träumen können. Laut einer Studie des Immobilienentwicklers GBI ist der studentische Wohnungsmarkt in 39 von 87 Universitätsstädten mit mehr als 5.000 Studierenden angespannt. Die WG-Suche ist schwierig, die Mieten sind stark gestiegen und die Wohnheime der Anfrage nicht mehr gewachsen. Die Linkspartei forderte daher in der vergangenen Woche im Bundestag 45.000 neue Wohnheimplätze für Studierende innerhalb der nächsten vier Jahre. Außerdem eine Anpassung des BAföG-Satzes an die steigenden Mieten.
In Chemnitz ist wie in den meisten anderen Städten im Osten Deutschlands von diesen Problemen noch wenig zu spüren. Der Wohnungsmarktreport 2015 des Chemnitzer FOG-Instituts verrät: Je nach Stadtteil steht jede zehnte bis jede dritte Wohnung leer, die Durchschnittskaltmiete liegt bei 4,85 Euro pro Quadratmeter. In München liegt der Preis viermal so hoch. In keiner deutschen Uni-Stadt zahlen Studierende weniger. Im Schnitt sind das 211 Euro. Fast so günstig sind Mieten in Dresden, Erfurt und Halle. Auch die Lebenshaltungskosten sprechen für ein Studium im Osten.Nach einem Ranking des Magazins Unicum liegen neun der zehn günstigsten Städte in ostdeutschen Bundesländern.
Der freie Wohnraum und die günstigen Kosten sprechen also deutlich für ein Studium im Osten. Auch mit ihrem Studium und ihren Professoren ist Laura Tzschätzsch zufrieden. 96 Studiengänge bietet die Technische Universität mittlerweile an. Tzschätzsch hat zwischenzeitlich Europäische Integration studiert. Dass sie die Umstellung von Berlin auf Chemnitz als hart bezeichnet, liegt an der fehlenden kosmopolitischen Stimmung.
Der Anteil von westdeutschen Studierenden an ostdeutschen Hochschulen ist von 14 Prozent im Jahr 2004 auf 44 Prozent (2014) gestiegen. Ihre Zahl hat sich demnach in zehn Jahren von 38.500 auf 134 600 verdreifacht. Auch der Anteil ausländischer Studierender stieg.
Lebenshaltungskosten: Von den zehn günstigsten Hochschulstädten liegen neun in Ostdeutschland: Freiberg, Zwickau, Ilmenau, Erfurt, Weimar, Jena, Chemnitz, Dresden und Magdeburg. Die niedrigsten Mieten zahlt man im Schnitt in Chemnitz (211 Euro), Dresden (247 Euro), Erfurt und Halle (je 248 Euro).
Besonders vermisse sie die MigrantInnen und Leute aus fremden Ländern. „Hier ist alles sehr konform und homogen. Wenn ich mich hier bunt anziehe, falle ich schon unheimlich auf.“ Vielen Chemnitzern unterstellt Tzschätzsch eine negative Einstellung zu ihrer Stadt. Das sei schlecht fürs Image und fürs Selbstbewusstsein. „Wenn man sich immer sagt ‚Ich bin hässlich‘, dann strahlt man das auch aus.“ Gleichzeitig stellt sie anerkennend fest: „Es entwickelt sich was.“
Chemnitz am Beginn einer Entwicklung
Das beste Beispiel ist sie selbst. Seit rund eineinhalb Jahren betreibt Tzschätzsch zusammen mit einem gelernten Systemgastronomen das Café Brühlaffe. Das Konzept: alles bio, alles regional und alle Speisen vegan oder vegetarisch. Auf 65 Quadratmetern stehen scheinbar bunt zusammengewürfelte Tische, Stühle und Sofas. Erdige und sandfarbene Töne dominieren Boden und Wände. Große Grünpflanzen und leere Kaffeesäcke an Wänden und Türrahmen schaffen Gemütlichkeit. In Berlin würden Tschätzsch und ihr Mitstreiter mit diesem Konzept nicht auffallen, in Chemnitz gehören sie zu den Vorreitern. Speziell auf dem Brühl gibt es bislang nur wenige Lokale, die für Belebung sorgen. In den sanierten Häusern siedeln sich Geschäfte und Kreative an. Aber für Lokale fehlt noch Laufkundschaft. Der Campus liegt am anderen Ende der Stadt.
Die Stadt will die Studierenden ins Zentrum locken. In der Nähe zu Tzschätzschs Café wird derzeit eine neue Uni-Bibliothek gebaut. 2018 soll sie eröffnet werden. Und dann wird sich auch bald die steigende Zahl Studierender aus westdeutschen Bundesländern bemerkbar machen. Im Gegensatz zu vielen KommilitonInnen aus der Umgebung fahren diese nicht für das Wochenende nach Hause. Potenzielle Kundschaft für Tzschätzsch: „In fünf Jahren ist Chemnitz eine buntere Stadt als jetzt.“
Chemnitz, da ist sich die Studentin sicher, steht erst am Anfang einer Entwicklung. Der Brühl soll seinen Teil dazu beitragen.
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