Wohnungslose mit Tieren: Im Gartenhaus
Ralf Brückner und Sascha Lenz leben derzeit mit ihrem Hund in einer Gartensiedlung. Die Unterbringung von Obdachlosen mit Tieren bleibt schwierig, auch wenn die Stadt versucht, die Situation zu verbessern.
E s ist warm in der Holzhütte, irgendwo in einer Kleingartenanlage am Stadtrand von Flensburg. Ein kleiner Gasofen strahlt Hitze ab, vor allem aber gibt es vier Wände und ein Dach über dem Kopf. Ein Dreivierteljahr haben Ralf Brückner, Sascha Lenz und ihr Hund Ted so etwas nicht gehabt. Nun sind sie hier gelandet, in der „Villa Obdachlos“, wie Lenz scherzt. Vier Wände, ein Dach – auch wenn alte Schlafsäcke an die Bretter genagelt sind, um den Wind draußen zu halten, auch wenn die Einrichtung aus wenigen, von Fremden gespendeten Gegenständen und alten Möbeln besteht: Es ist eine Art Zuhause. Sie wohnen hier „legal-illegal“, so nennt es Lenz. Legal, weil der Besitzer der Hütte weiß, dass sie sich hier aufhalten. Illegal, weil ihnen klar ist, dass ein dauerhaftes Wohnen in einer Gartenlaube verboten ist. Aber sie hoffen, dass sie nicht lange bleiben müssen.
Ralf Brückner sitzt auf der Bank an der Hüttenwand gegenüber der Eingangstür. Vor ihm auf dem Tisch stehen Kaffeebecher, daneben liegen Zucker in einer Tüte und E-Zigaretten. Geraucht wird aber nur draußen, trotz der Kälte. Schließlich schlafen die beiden Männer, 34 und 30 Jahre alt, in der Hütte. Dazu haben sie an der Seitenwand Betten aus aufeinandergestapelten Matratzen gebaut, auf denen Schlafsäcke und Kissen liegen. Sogar einen Herd gibt es und ein Regal für ihre Sachen. LED-Lämpchen erhellen den Raum.
Das Gas ist teuer, und die Hütte liegt weit außerhalb des Stadtzentrums, das sind Nachteile. „Aber es geht uns inzwischen viel besser als vielen anderen Obdachlosen“, sagt Brückner. Anfangs sei es ihm sehr schwergefallen, Spenden anzunehmen, aber gleichzeitig sei er dankbar für die Hilfe, die er und sein jüngerer Kumpel von Privatleuten aus Flensburg erhalten haben.
Gegenüber Fremden misstrauisch
Dass Brückner und Lenz nun in dieser Hütte leben, haben sie Ted zu verdanken, im Guten wie im Schlechten. Der Rüde ist neun Jahre alt, ein schwarz-brauner Mischling. Gegenüber Fremden ist er misstrauisch. Wenn sich jemand seinen Menschen nähert, legt er bedrohlich die Ohren zurück und knurrt.
Als Ralf Brückner noch mit seiner Freundin zusammenwohnte, gehörte der Hund bereits dazu, es passte einfach: ein Paar, ein Haus, ein Hund. Aber es gab immer öfter Streit zwischen ihm und seiner Freundin. Dann zogen Ralf Brückner und Ted ein paar Tage zu einem Kollegen. Schließlich wollte die Freundin nicht mehr, dass er zurückkam. Und mit dem Kollegen gab es Zoff.
„Im Frühjahr 2022 war ich dann wohnungslos“, sagt Brückner. Das Datum hat sich eingebrannt: 28. Februar. „Ich stand richtig dumm da.“
Er zog in ein Zelt. Klingt schön als Abenteuer für die Sommerferien, ist aber im Februar verdammt kalt. „Das Zelt war nicht regenfest, der Schlafsack hat auch nicht so richtig funktioniert“, erinnert sich der 34-Jährige. „Aber es war besser als auf der Parkbank.“ Und er hatte Ted, der knurrte, wenn sich jemand dem Zelt näherte, der ihn wärmte, nachts im klammen Schlafsack.
Mit der Buddel auf der Bank
Anfangs wusste er nicht, wie es weitergehen, wo er Hilfe finden konnte. „Ich war ja neu als Obdachloser.“ Wo gibt’s was zu essen, welche Postadresse soll man beim Amt für die offiziellen Mitteilungen angeben, welcher Weg führt wieder raus aus dieser Lage? Es gebe durchaus Hilfen, aber darauf weise niemand hin, kritisiert Brückner. „Ich geb zu, ich saß da auch erst mal mit ’ner Buddel auf der Bank, weil ich gar nicht wusste, wohin.“
Aber Ralf Brückner ist einer, der sich organisieren kann. Er stammt aus Thüringen, ging nach der Schule zur Bundeswehr, war in Augsburg stationiert. Nach seiner Dienstzeit zog er nach Flensburg, wo inzwischen seine Mutter und seine Schwester lebten. Er macht eine Schlosserlehre, arbeitete. Auf einer Baustelle lernte er Sascha Lenz kennen.
Der hat bereits seit 2019 keinen eigenen Mietvertrag mehr, galt damit als wohnungslos. Lange Zeit kam er aber „mal hier, mal da“ bei Freunden unter. Doch im Frühjahr 2022 stand auch er auf der Straße, genauer gesagt im Wald. Er zog zu Brückner ins Zelt. Seit dem Zeitpunkt sind sie zu dritt: zwei Männer, ein Hund.
Im späteren Frühjahr fragten sie nach Plätzen in der städtischen Unterkunft. Zwar wussten sie inzwischen Bescheid über die Orte, an denen Obdachlose Hilfe bekommen, den Tagestreff, der als Postadresse angegeben werden kann und in dem einmal wöchentlich die Praxis ohne Grenzen geöffnet hat. Sie kannten auch die Ausgabestelle auf dem Südermarkt, wo Ines Möller und ihre Freiwilligen von „Helferherz Flensburg“ Kleider, Gebrauchsgegenstände und Essen verteilen. Aber sie hatten inzwischen auch die Nase voll vom Leben im zugigen Zelt.
Die Logistik auf der Straße ist schwierig, es kostet Zeit, das Minimum zu organisieren. Von dem versteckten Zeltplatz im Wald war der Weg in die Stadt weit, aber in die Stadt mussten sie. Zum Tagestreff, falls dort Briefe vom Amt gelandet sind, denn wenn man Fristen für Anträge verpasst, zahlt das Jobcenter kein Hartz IV. Das ist Ralf Brückner einige Male passiert, aber Geld brauchen Obdachlose dringend, schließlich ist das Leben draußen teuer: Wer etwas Warmes zu essen möchte, muss in einen Imbiss. Duschen und Klamotten waschen geht meist nur gegen Bezahlung. Zwar lassen in Flensburg die Freiwilligen von „Helferherz“ gelegentlich Obdachlose bei sich zu Hause duschen und die Waschmaschine benutzen. Aber abends die Kleidung auf einen Bügel hängen und morgens kurz ins Bad, um sich präsentabel zu machen, das klappt in einem Zelt im Wald einfach nicht.
Kochen auf offenem Feuer
Brückner und Lenz heizten und kochten mit einem offenen Feuerchen, das Holz sammelten sie im Wald oder verbrannten alte Kisten. Meist gab es mehr Rauch als Flammen, und entsprechend rochen sie auch: „Wir kamen zu einer Baustelle, um zu arbeiten, und die anderen fragten, ob wir bei der Feuerwehr sind und gerade vom Brand kommen“, erzählt Brückner, und Sascha Lenz nickt dazu.
Sein Leben, das ihn schließlich in die Kleingartenhütte am Stadtrand führte, verlief nicht so ordentlich und geradlinig wie bei Brückner. Lenz stammt aus Harrislee, einer kleinen Gemeinde bei Flensburg. Über seine Kindheit mag er nicht viel reden, jedenfalls kam er mit elf Jahren in eine Pflegefamilie, später in ein Heim in Schleswig, etwa 30 Kilometer südlich von Flensburg. Dort lebte er bis zum 19. Lebensjahr, zog dann in eine betreute Wohnung. Mit 20 kehrte er zurück nach Flensburg. Eine Ausbildung hat er nicht abgeschlossen, hat aber immer auf dem Bau gearbeitet. Zimmerei, Sanierungen, Abbruch, „ich mach alles“, sagt er.
Sascha Lenz, Obdachloser
Als sie damals, im Frühjahr 2022, vor der städtischen Notunterkunft standen, wollten sie nach den Wochen im Zelt mal wieder ein festes Dach über dem Kopf, ein Klo, Waschbecken, Duschen. Aber sie kamen nicht hinein – wegen Ted.
„Wir waren ehrlich, wir haben gesagt, dass wir den Hund haben“, erinnert sich Lenz. „Das war doof, wir hätten lügen sollen.“
Ihnen wurde gesagt, der Hund brächte Schmutz ins Haus, vielleicht habe er Läuse, berichten sie. Brückner kann da nur den Kopf schütteln: „In der Unterkunft sind die Räume unter aller Sau, und ein paar von den Leuten, die da wohnen, haben Krätze oder sonstige Krankheiten.“
Sein Hund, schwingt mit, sei gepflegter als einige der Menschen, die dort Schutz suchen. Brückner, der Obdachlose, mag Obdachlose nicht so gern: „Da gibt’s einige, denen man lieber ausweicht.“
Lenz hätte allein in die Unterkunft ziehen können. Aber „ich will den Langen nicht allein lassen, ich bin solidarisch“, sagt er.
So wandten sie sich an „Helferherz“ und an die lokalen Medien. Das Anzeigenblatt berichtete, dann auch die Tageszeitung. „Wir wollen davon nicht profitieren, sondern wollen etwas aussagen und auf das Problem hinweisen“, betont Ralf Brückner.
Aber am Ende profitierten sie doch: Bei „Helferherz“ trafen Spenden ein, schließlich meldete sich der Besitzer der Gartenlaube, in der die Männer „legal-illegal“ wohnen. Großartig für sie, aber es löst das Problem für alle anderen nicht.
Wie viele Menschen in Flensburg obdachlos sind, kann Stadtsprecher Clemens Teschendorf nicht sagen. Auch Ines Möller, Gründerin von „Helferherz“, hat nur Schätzungen: 60 bis 80 sehe sie regelmäßig an ihrer Ausgabestelle.
Im Corona-Frühjahr 2020 begann die 50-Jährige mit ihrem selbst organisierten Einsatz auf dem zentral gelegenen Südermarkt. Im zweiwöchentlichen Wechsel teilt sie dort Kleiderspenden und Essen aus. „Wir machen alles selbst, rein privat“, sagt sie. Inzwischen ist ein kleines Team von Freiwilligen dabei. Finanziert wird die Hilfe durch Spenden örtlicher Firmen und von Privatleuten.
Möller kennt eine Reihe von Obdachlosen, die wegen ihrer Hunde nicht in die Unterkünfte kommen. Darunter sei eine Frau, die in der Unterkunft schläft, ihre Hunde muss sie nachts in ihrem Auto einsperren – „das sind alte Hunde, gut ist das nicht“, sagt Möller. Ihre Versuche, bei der Stadt Hilfe zu bekommen, scheiterten bisher.
Ein Skandal, findet Ralf Brückner: „Wir zahlen schließlich Steuern für Ted.“
Im Rathaus, in dem bis Mitte Januar die Sozialdemokratin Simone Lange regiert – dann übernimmt der parteilose Fabian Geyer –, ist die Kritik angekommen: „Früher gab es nicht so oft Nachfragen nach einer Unterbringung mit Hund“, sagt Stadtsprecher Teschendorf. In Flensburg gebe es sogar Notwohnungen, in die ein Tier mitgebracht werden könne. „Aber die halten wir nicht extra frei, sondern belegen sie, wenn die Nachfrage da ist.“ Und die Nachfrage sei aktuell hoch.
Doch nach den Berichten der lokalen Zeitungen über Brückner, Lenz und Ted hat sich das Sozialamt intensiver mit dem Thema befasst. Jetzt können Obdachlose ihre Hunde über Nacht im Tierheim abgeben und morgens abholen.
Fürsorge für die anderen Menschen
Teschendorf weiß, dass es für viele Menschen schwer ist, die Tiere dort allein zu lassen: „Wir erkennen, dass es starke Bindungen gibt. Aber wir sind in erster Linie damit befasst, die Menschen unterzubringen.“ Es sei nicht möglich, Hunde in eine Gemeinschaftsunterkunft zu bringen, aus Fürsorge für die anderen Menschen: „Was, wenn etwas passiert?“ Es bleibe daher schwierig, Obdachlose mit ihren Tieren gemeinsam unterzubringen.
Aber das Thema sei angekommen, bei künftigen Planungen werde es eine Rolle spielen, sagt der Rathaussprecher. Ein Erfolg also für Brückner und Lenz.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Mit etwas Glück schaffen sie bald den Sprung aus der „Villa Obdachlos“ in eine richtige Wohnung, und dann sollte es auch mit der Arbeit klappen.
Zum neuen Jahr wünschen sich beide, dass Spenden und nette Worte nicht nur in der Vorweihnachtszeit bei den Menschen auf der Straße ankommen, denn: „Obdachlos sind die Leute nicht nur im Dezember, obdachlos sind sie 365 Tage im Jahr“, sagt Ralf Brückner.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland