Wohnungslose in Berlin-Moabit: Schikanen im Gästehaus
Der Eigentümer einer Unterkunft für Wohnungslose will lieber Profit mit Flüchtlingen machen. Doch die Betroffenen und der Bezirk wehren sich.
Es war im vergangenen Dezember, als die damals 33 Männer die Kündigung ihrer Räume erhielten. Im März sollten sie raus. Zuvor hatte der private Eigentümer dem alten Betreiber gekündigt – und das Haus für einen etwa dreimal so hohen Preis weitervermietet.
Die Firma Gikon Hostel, die den Zuschlag erhielt, wollte die Wohnungslosen gegen Flüchtlinge ersetzen. Für deren Unterbringung zahlte der Senat bis zu 50 Euro pro Tag – ohne Anspruch auf Einzelzimmer. Für Wohnungslose liegt der Satz hingegen bei 22,50 Euro. Für das gute Geschäft mit den Flüchtlingen sollten die Obdachlosen auf der Strecke bleiben.
Doch es kam alles anders. Mithilfe von Initiativen wie „Zwangsräumungen verhindern“ wehrten sich die Bewohner gegen ihre Verdrängung, immer mit der Maßgabe, sich nicht gegen die Flüchtlinge ausspielen zu lassen. Und sie erhielten Unterstützung vom damaligen Baustadtrat von Mitte, Stephan von Dassel, inzwischen grüner Bürgermeister des Bezirks.
Der machte frühzeitig deutlich, keine Flüchtlinge in dem Heim unterzubringen. Der taz sagt er: „Jeder soll wissen, dass es richtig Ärger geben kann, wenn er glaubt, mit einem Federstreich alle sozialen Probleme los zu sein.“ Geprüft wurde gar eine Enteignung des Hauses. Doch auch die hätte den Schutz der Bewohner nicht dauerhaft garantiert.
Auch aufgrund des öffentlichen Drucks zog sich Gikon Hostel noch vor der geplanten Übernahme zurück. Seitdem ist das Haus betreiberlos, der Bezirk überweist keine Miete mehr. Die Wohnungslosen sind sich selbst überlassen, der Eigentümer will sie weiterhin aus dem Haus kriegen. Eine Lösung ist für nicht in Sicht. „Ich bin bald am Ende meines Lateins“, sagt von Dassel.
Schikanen überall
Derweil wird die Situation immer dramatischer. Nachdem der Eigentümer schon zum Jahresanfang die Müllentsorgung abbestellte – die seitdem von von Dassel bezahlt wird –, ließ er im Sommer das Wasser abstellen. Ende November wurde dann der Gaszähler im Keller ausgebaut und die Gasleitung durchtrennt. Die Bewohner saßen im Kalten.
Gegen eine Reparaturfirma, die der Weihnachtsmarkt am Gendarmenmarkt beauftragt hatte, erließ er Hausverbot. Die Bezirksverordnetenversammlung von Mitte beschloss daraufhin eine Ersatzvornahme – damit Arbeitern stattfinden können, auf Kosten des Eigentümers. Zudem hat von Dassel Strafanzeige wegen Körperverletzung gestellt.
Eine Lösung wäre möglich, doch der Hauseigentümer stellt sich stur. „Er hat noch nicht einmal mit uns geredet“, so von Dassel. Dabei hat der Bezirk einen Träger an der Hand, der das Haus übernehmen würde, auch die Nachzahlung der ausstehenden Miete wurde in Aussicht gestellt. Rainhard Kilian, der seit 2001 in der Berlichingenstraße wohnt, gibt sich gegenüber der taz ernüchtert. Die Situation im Haus sei „Mist“, sagt er. Viele Bewohner seien inzwischen zermürbt.
Zusammen mit Mietaktivisten versucht der aktive Teil der Wohnungslosen dennoch den Druck aufrechtzuerhalten. Anfang Dezember kamen mehr als 30 Menschen vor dem Sitz des Eigentümers in der Kantstraße zusammen und forderten ihn auf, das „großzügige Angebot des Bezirks anzunehmen“, wie es in einer Mitteilung von „Zwangsräumungen verhindern“ heißt.
Stattdessen hat der Eigentümer – von Dassel spricht von „einem alten Mann, der sich verrannt hat“ – vor dem Amtsgericht auf Räumung geklagt. Zunächst gegen den Betreiber, nun ersatzweise gegen die Bewohner, die ihrerseits Widerspruch eingelegt haben. Ein Termin ist für den 10. Januar 2017 angesetzt.
Von Dassel erhofft sich eine rechtliche Klärung, ob mit der Kündigung eines Gewerbemieters auch sämtliche Wohnverhältnisse der Bewohner entfallen. Wenn es schiefgeht, verspricht der Bezirksbürgermeister: „Niemand wird auf der Straße landen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?