Wohnungsbau in Deutschland: Tempo, Tempo, Tempo
Die Bundesregierung beschließt den „Wohnungsbau-Turbo“ – schneller und einfacher soll gebaut werden. Doch entstehen so auch bezahlbare Wohnungen?

Nachverdichtung nennt sich das. Unter anderem sollen 102 neue Wohnungen entstehen, 40 davon mit Anfangsmieten von 6,90 Euro pro Quadratmeter. Das ist kein kleines Versprechen in einer Stadt wie Berlin. In den 14 größten Städten sind die Angebotsmieten seit 2015 trotz Mietpreisbremse um 50 Prozent gestiegen – das hat die linke Bundestagsabgeordnete Caren Lay von der Bundesregierung kürzlich erfragt.
Aber an diesem Mittwoch im Juni geht es nicht um steigende Mieten, sondern ums schnelle Bauen, damit möchte die Bundesregierung die Wohnungsnot bekämpfen. Und dafür müssen in Berlin-Mitte erst mal die Bauarbeiter*innen mit ihren Bauhelmen zur Seite weichen. Die neue Bauministerin Verena Hubertz (SPD) tritt energisch ans Mikrofon und verkündet gut gelaunt: „Wir kommen gerade aus dem Bundeskabinett und zünden heute den Bauturbo.“
Jetzt, mit dem neuen Gesetzentwurf zur Beschleunigung des Wohnungsbaus, den das Kabinett beschlossen hat, soll alles besser werden. Städte und Gemeinden sollen die Möglichkeit haben, Genehmigungsverfahren zu straffen, indem sie von Bebauungsplänen abweichen können – sie können sogar ganz darauf verzichten. Die neue Regelung ist bis Ende 2030 befristet. Ein Bebauungsplan könne in einer durchschnittlichen Großstadt 5 Jahre dauern, erklärt Hubertz, „Wir werden aus den 5 Jahren 2 Monate machen.“
Zahlen nennt Hubertz nicht – offenbar aus Erfahrung
Ein paar Voraussetzungen für das schnelle Bauen gibt es aber schon: Eine Abweichung soll mit den Interessen der Allgemeinheit vereinbar sein und es soll neuer Wohnraum entstehen, durch Neubau oder Erweiterungen. Das Ganze gelte auch für Kitas, Schulen oder Theater, betont Hubertz. Und der Gesetzentwurf enthält weitere Regelungen: Das Aufstocken und Umbauen soll leichter werden. Auch der Umwandlungsschutz soll um fünf Jahre verlängert werden – damit soll in angespannten Wohnungsmärkten die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen verhindert werden. Das soll Mieter*innen besser vor Verdrängung schützen. Im Herbst sollen die Regelungen in Kraft treten.
Auf eine konkrete Zahl, wie viele Wohnungen gebaut werden sollen, verzichtet die neue Bauministerin – offenbar aus schmerzlicher Erfahrung. Die Vorgängerregierung hatte noch 400.000 neue Wohnungen pro Jahr versprochen und war kläglich daran gescheitert. Was auch an hohen Zinsen, Lieferengpässen und hohen Energie- und Materialpreisen lag. Laut Statistischem Bundesamt wurden 2024 nur rund 251.900 neue Wohnungen fertig, 2023 waren es etwa 294.400. Der tatsächliche Bedarf wird viel höher eingeschätzt.
Es mache keinen Sinn, eine Zahl „für vier Jahre in Stein zu meißeln“, sagt Hubertz auf Nachfrage. Aber man könne sie aber daran messen, wie sich Bauzeiten entwickeln oder Baukosten, die sie halbieren will. Es brauche jetzt „Tempo, Tempo, Tempo“. Man müsse bauen und vereinfachen, Ländergesetze harmonisieren. „Copy, paste, einfach machen.“ Die Menschen würden es nicht verstehen, wenn sich der Brandschutz an der Postleitzahlgrenze ändere. Am liebsten wäre Hubertz serielles Bauen mit Holz.
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) kündigt an, in der kommenden Woche dem Kabinett den Haushaltsentwurf für dieses Jahr und die Einrichtung des Sondervermögens von 500 Milliarden Euro vorzulegen. Damit würden „Spielräume“ geschaffen, „dass in unserem Land mehr gebaut wird“. Die Menschen müssten spüren, „dass sich etwas verändert“.
Die Opposition ist weniger begeistert
Auch der baupolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jan-Marco Luczak, der nicht vor Ort war, begrüßte die Baunovelle. „Das Problem steigender Mieten lasse sich nicht durch „mehr Regulierung, sondern nur durch mehr Wohnungsbau“ lösen.
Doch in der Opposition hält sich die Begeisterung in Grenzen. „Wir bekommen leider keinen Bauturbo, sondern einen Teuerturbo“, sagt der baupolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Kassem Taher Saleh. Man müsste sicherstellen, „dass keine Luxusapartments oder Villen auf der grünen Wiese gebaut werden“. Doch entsprechende Vorgaben fehlten. „Stattdessen werden Vorschriften aufgeweicht, die Bodenspekulation anheizen, Umweltstandards aushebeln und Beteiligungsprozesse zurückdrängen“.
Ähnlich sieht das Katalin Gennburg, Sprecherin für Bauen der Linkenfraktion im Bundestag. „Neubau ohne Plan“ könnte die Wohnungsnot verschärfen, fürchtet sie. Die Bundesregierung lege „die Axt an das Planungsrecht, obwohl bundesweit 900.000 genehmigte Wohnungen gebaut werden könnten und zunehmender Leerstand die Kommunen vor erhebliche Probleme“ stelle.
Auch der Verein Architects for future bezweifelt, dass mit dem Bauturbo „nachhaltige und sozial tragfähige Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit erreicht werden können“. Es bräuchte gesetzgeberische Schritte, um klimagerechtes Bauen zu fördern, etwa durch Bauen im Bestand sowie eine Stärkung einer gemeinwohlorientierten Bodenpolitik.
Der Deutsche Mieterbund begrüßt zwar die Novelle, ist aber nicht ganz zufrieden. Der Bauturbo garantiere nicht, „dass bezahlbare Mietwohnungen entstehen, sondern im Gegenteil“, erklärte die Bundesdirektorin des Deutschen Mieterbundes (DMB), Melanie Weber-Moritz. Der Entwurf trage „in seiner jetzigen Fassung dazu bei, Schutzinstrumente für Mieterinnen und Mieter in angespannten Wohnungsmärkten in Milieuschutzgebieten auszuhebeln“.
Skeptisch sind auch Anwohner*innen in Berlin, die neben der Baustelle wohnen. „Für mich ist das alles eine große Belastung“, sagt eine Rentnerin, die hier seit 27 Jahren wohnt. Sie habe nichts gegen neue Wohnungen. Aber sie leide sehr unter dem Baulärm und kriege keine Mietminderung. Vor dem Baubeginn habe es noch eine Erhöhung gegeben. Sonst liege hier auch viel mehr Baumüll herum, klagt sie, nur heute sehe alles „wie geleckt aus“.
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