Wohnsituation von Geflüchteten: Mehr als fünf Jahre im Heim
Familie Hejazi könnte längst raus aus der Container-Unterkunft und eine eigene Wohnung beziehen. Doch sie finden einfach keine Wohnung.
Mutter Rania (43) führt in den linken Raum, wir quetschen uns zu sechst auf zwei Betten und drei herbeigebrachte Stühle, der Vater ist beim Sprachkurs. Draußen sind angenehme 25 Grad, hier drinnen ist die Luft – trotz offener Türen – zum Schneiden.
„Im Sommer ist es wie im Backofen“, beschreibt die 19-jährige Rana treffend das Raumklima, im Winter sei es eiskalt trotz Heizung. Ihr Bruder Mohamad (21) weist mit der Hand durch den Raum. „Kein Wunder, hier ist alles aus Metall: Metalldecke, Metallwände, Metallbetten, Metallschränke, Metallstühle.“
Tatsächlich erinnert die Ausstattung deprimierend an Gefängnis, das einzig nichtmetallene Möbelstück im Raum ist ein Regal aus Holzfurnier. Die Eltern haben es für Mahmoud gekauft, der Zehnjährige bewahrt hier seine Schul- und Spielsachen auf, alles ordentlich sortiert. Überhaupt ist alles penibel aufgeräumt, nichts Überflüssiges liegt herum – sogar die Plätzchen auf der Etagère auf dem Tisch liegen in Reih und Glied.
Seit Jahren auf Wohnungssuche
Im Februar 2017 kamen die vier Geschwister und die Mutter nach Berlin. Vater und Onkel waren ein halbes Jahr zuvor über die Balkanroute hierher geflohen, dann konnte Nazir Hejazi, der in Syrien ein kleines Geschäft hatte, seine Familie nachholen. Nach ein paar Monaten in einer Erstaufnahme wurde ihnen vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) diese Unterkunft zugewiesen. Längst sind ihre Asylanträge anerkannt, doch sie finden einfach keine Wohnung.
Damit stehen sie nicht allein: Von den rund 25.000 Geflüchteten, die derzeit in Unterkünften des LAF leben, könnten theoretisch die meisten eine Wohnung beziehen. Denn sobald man aus der Erstaufnahme einer Gemeinschaftsunterkunft zugewiesen wurde, entfällt die „Wohnverpflichtung“.
Der Auszug gelingt jedoch nur wenigen: So sind laut LAF im Jahr 2021 exakt 467 Menschen im Asylverfahren über private Wohnungssuche fündig geworden und konnten aus ihrem Heim ausziehen, 2020 waren es 730. Etwa gleich groß ist die Zahl der „Glücklichen“, die eine der jährlich rund 300 Wohnungen ergattern, die landeseigene Wohnungsbaugesellschaften im Rahmen des Programms „Wohnungen für Flüchtlinge“ (WFF) zur Verfügung stellen. 2021 bekamen so 600 Menschen eine Wohnung, 2020 waren es 503.
Obwohl es also für alle schwierig ist, scheinen die Hejazis besonders großes Pech zu haben. In ihrem Heim, sagt Rana, sind sie inzwischen die „ältesten“ BewohnerInnen. „Dabei haben wir angefangen zu suchen, sobald wir uns ein bisschen auskannten in Berlin und etwas Deutsch konnten“, erzählt Ranas Bruder Mohamad (21). Das war vor über vier Jahren.
Hunderte Bewerbungen
Seither fragen sie jeden, den sie kennen, suchen sie in Internetportalen und direkt auf den Seiten von Großvermietern wie Deutsche Wohnen, viele hundert Bewerbungen haben sie nach eigener Aussage geschrieben. Manchmal seien sie zu Besichtigungsterminen eingeladen worden, erinnert sich Rana. „Seit Corona“ jedoch gar nicht mehr, und nur manchmal bekomme man eine Mail mit einer Absage.
Immer teurer würden die Wohnungen zudem, seufzt Mohamad, meist zu teuer, wenn man von Hartz IV lebt. Etwa 1.300 Euro Warmmiete sei die Obergrenze des Jobcenters für einen 6-Personen-Haushalt, sagt er – ganz genau weiß er es nicht. Tatsächlich ist die Berechnung kompliziert und verschieden je nach Gebäude und Heizungsart: Der Richtwert in der „AV Wohnen“ für die Bruttokaltmiete bei sechs Personen liegt bei rund 950 Euro, dazu kommen noch Heizkostenerstattungen von maximal 210 Euro bei sechs Personen und der teuersten Heizart Fernwärme.
Zudem wird die Suche nicht einfacher, wenn man für sechs Personen sucht, weiß Rana – obwohl ihnen 4 Zimmer reichen würden, je zwei Geschwister könnten sich ein Zimmer teilen.
Besonders bedrückend war das Leben im Container während der Corona-Lockdowns. „Es ist schwer zu lernen in dieser Enge“, sagt Mohamad: Schlafen, Essen, Leben – alles spielt sich im selben Raum ab. Zudem habe es bis voriges Jahr, berichtet er, kein Internet im Wohnheim gegeben. Seither gebe es zwar WLAN, aber nur sehr langsames.
„Besuch ist mir unangenehm“
Dennoch hat die 19-jährige Rana, die wie ihre Geschwister gut Deutsch spricht, im Frühjahr Abitur gemacht und will bald „etwas mit Technik studieren oder Informatik“. Raneem (22) hat das Homeschooling im Container nicht ausgehalten und die Schule geschmissen. Jetzt will sie ein Freiwilliges Soziales Jahr machen, am liebsten in einem Kindergarten, und dann ihr Abi nachholen. Mohamad (21) hat auf Rat seines Lehrers wegen Corona ein Jahr wiederholt und hofft nächstes Jahr die Hochschulreife zu schaffen.
Gäste laden die Hejazis nie ein, höchstens ab und an Verwandte. „Besuch ist mir unangenehm, weil es so eng und ungemütlich ist“, gibt Mohamad zu. Rana nickt: „Niemand aus meiner Schule wusste, dass ich in einem Wohnheim lebe, nur enge Freunde.“ Aber die trifft sie lieber draußen oder geht zu ihnen.
Zumal sich Besuch bei der Security am Eingang anmelden muss. „Sie wissen, wer zu uns kommt, und wann wir kommen und gehen“, sagt Rana. Mohamad ergänzt: „Manchmal sagen wir, es ist wie ein Gefängnis, wo man rein und raus kann.“ Zur Überwachung kommt die Bevormundung: Gäste müssen spätestens um 22 Uhr raus. „Um 10 nach 10 rufen die Securities laut vor der Tür, dass die Leute gehen müssen“, berichtet Rana. „Man braucht doch ein bisschen Privatsphäre. Teils kommt der Besuch von weit her und würde gerne übernachten.“
Beratungsangebote sind nicht durchgedrungen
Diese Regelung, die in allen LAF-Heimen gilt, ärgert nicht nur die Hejazis: Die Besuchszeiten und das Übernachtungsverbot sind eines der großen Probleme für Heimbewohner, wie ein Pilotprojekt der Integrationsverwaltung für ein besseres Beschwerdemanagement in Heimen 2019 zutage brachte. Dass aus dem Projekt inzwischen eine Unabhängige Beschwerdestelle geworden ist, an die sich Flüchtlinge bei Missständen in ihrem Heim wenden können, wissen die Hejazis nicht – niemand hat ihnen davon erzählt.
Es hat ihnen auch niemand gesagt, dass es das erwähnte Programm „Wohnungen für Flüchtlinge“ gibt. Auch wenn die Hejazis dafür kaum in Frage kommen, da sie für das LAF vermutlich kein medizinischer oder sozialer „Härtefall“ sind – und nur dann kämen sie auf die WFF-Warteliste. Sie wissen auch nicht, dass es eine Mietberatung beim LAF gibt, wo man laut Webseite Tipps zur Wohnungssuche bekommen oder zum Beispiel erfahren kann, dass für Flüchtlinge in Heimen, die eine Wohnung finden, die Mietobergrenze 20 Prozent über der „normalen“ Obergrenze liegt.
Ein bisschen mehr Hilfe wäre gut, sagt Mohamad. „Inzwischen kennen wir uns ganz gut aus, aber das hat uns auch noch nicht geholfen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau