Ukraine-Flüchtlinge in Berlin: „Nicht genug Zeit“

Der Beschluss des Berliner Senats zu Flüchtlingen aus Drittstaaten ist unzureichend, sagt Juliane Gebel von den BIPoC Ukraine & Friends in Germany.

Ein Fingerabdruckskanner im Ankunftszentrum für Geflüchtete Berlin

Jobmessen für Ukrainer*innen: Ukraine-Flüchtlinge aus Drittstaaten sind oft nicht zugelassen Foto: dpa

taz: Frau Gebel, was sagen Sie zu dem Senatsbeschluss, dass Kriegsflüchtlinge aus Drittstaaten, die in der Ukraine studiert haben, nun sechs Monate Zeit bekommen, sich einen Studienplatz zu organisieren?

Juliane Gebel: Einerseits ist es gut, dass endlich überhaupt eine Perspektive geboten wird und die Studierenden erst mal durchatmen können. Es gibt ja bundesweit bis heute keine Lösung für die Gruppe der Drittstaatler. Ende August läuft die Übergangsregelung aus, bis dahin brauchen Ukraine-Flüchtlinge kein Visum. Was danach passiert, wissen die Menschen nicht. In Berlin müssen sie nun nicht mehr die baldige Abschiebung befürchten.

Und andererseits?

Andererseits sind sechs Monate nicht genug, weil es nicht realistisch ist, in der Zeit all die Voraussetzungen zu erfüllen, die man braucht, um sich hier einen Studienplatz zu organisieren. Beispielsweise wird wohl die Anforderung eines C1-Deutsch-Niveau in einem halben Jahr nicht erfüllbar sein, die Voraussetzung für einen Studienplatz ist. Auch die finanziellen Hürden für das Sperrkonto in einem halben Jahr zu erfüllen, ist für die meisten schwierig.

Sie meinen das Sperrkonto von 11.000 Euro, das ausländische Studierende nachweisen müssen?

Genau. Was noch zu kritisieren ist: dass der Senatsbeschluss nur eine Lösung für Studierende ist. Es gibt aber noch andere Menschen, andere Gruppen, die nicht zu einem Studienaufenthalt in der Ukraine waren. Wie es für die weitergeht, wissen wir immer noch nicht. Insofern hätten wir uns eine pauschale und längerfristige Lösung für alle gewünscht.

Wen betrifft dieses Thema eigentlich?

Meine Community – die BIPoC Ukraine & Friends in Germany – betreut viele Studierende, das ist wohl auch die überwiegende Zahl der Betroffenen. Es gibt aber auch Familien oder Mütter mit kleinen Kindern, es gibt Staatenlose, es gibt Menschen, die dort länger gelebt und gearbeitet haben.

Wie ist deren Lage aktuell?

Das ist sehr, sehr unterschiedlich. Diejenigen, die alle Dokumente haben und nichts verloren haben auf der Flucht, konnten und können Sozialleistungen beziehen. Bis Mai konnte man sich in Berlin auch relativ unkompliziert eine Arbeitserlaubnis im Internet herunterladen, das war recht fortschrittlich. In der Praxis hat diese aber wenig genützt, da viele potentielle Arbeitgeber unsicher sind, ob das eine richtige Arbeitserlaubnis ist, und deshalb lieber nicht einstellen, selbst wenn die Stelle dann vakant bleibt. Und seither muss man sich in Tegel registrieren lassen und eine „Fiktionsbescheinigung“ haben für die Arbeitserlaubnis. Dafür gibt es aber diverse Hürden: Man muss alle Dokumente beisammen haben, eine private Unterkunft nachweisen oder einen Arbeitsvertrag – sonst bekommt man keine Zuweisung für Berlin und wird weggeschickt.

31, Ärztin, ist eines der Gründungs-Mitglieder von BIPoC Ukraine & Friends in Germany – eine Community zur gegenseitigen Unterstützung von BIPoC, die vor dem Krieg in der Ukraine flüchten mussten, und ihren Freund*innen. Infos: https://bipocukraine.org/

Ist das schlimm?

Bei der Verteilung auf andere Bundesländer werden sie zwar beherbergt, aber in vielen Orten bekommen sie keine Fiktionsbescheinigung oder eine Perspektive nach dem 31. August und sind zudem häufiger diskriminierendem Verhalten ausgesetzt, weshalb viele nicht aus der Großstadt Berlin weg möchten.

Was heißt das praktisch, wenn man nicht registriert ist?

Wir nennen es „limbo“ auf Englisch. Dann ist man in einem Schwebezustand, wo Sie nichts machen können, wo Sie entweder auf Ihr Erspartes oder auf private Spenden zurückgreifen müssen und auf nette Hosts angewiesen sind, die Sie einfach so beherbergen.

Wie viele Leute betrifft das?

Das können wir schwer sagen, weil es auch von offizieller Seite keine Zahlen gibt. Wir wissen nur, wie viele Drittstaatenangehörige im bundesweiten Ausländerzentralregister stehen, das waren Mitte Juli 25.000. Wir wissen aber nicht, wie hoch die Dunkelziffer ist, wer sich noch nicht hat registrieren lassen – aus Furcht oder weil davon abgeraten wurde am Anfang oder weil es nicht ging, weil Dokumente fehlten.

Am Anfang des Krieges wurde viel geredet über Rassismus gegenüber nicht weißen Flüchtlingen. Ist das immer noch so?

Vielleicht nicht mehr so krass, aber ja. Es gab zum Beispiel Fälle, bei denen ukrainisch sprechende Behördenmitarbeiter, die nicht von der Ausländerbehörde sind, unbefugt „testen“, ob ein Antragsteller Ukrainisch spricht!

Unglaublich! Dabei konnte man ja in der Ukraine oft auf Englisch studieren.

Genau! Das ist einfach die Willkür von einzelnen Beamten, das ist gar nicht ihre Aufgabe! Natürlich war das alles im Frühjahr noch sehr viel heftiger, was da an Zurückweisungen passiert ist in Ämtern, wo manche BIPoCs keine Leistungen bekommen haben, ihnen im Sozialamt gesagt wurde, sie sollen zurück in ihr Heimatland gehen! In Berlin habe ich den Eindruck, dass es so langsam geht. Aber wir haben bis heute viele Probleme mit rechtswidrigem Verhalten in anderen Bundesländern.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel werden Pässe über Monate einbehalten oder Menschen in Asylverfahren gedrängt statt dass sie eine umfangreiche Aufklärung über die anderen aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten bekommen. Aber auch in Berlin ist die Diskriminierung an Stellen deutlich, wenn etwa einige Drittstaatsangehörige ihre Deutschkurse an der Volkshochschule nicht fortsetzen dürfen, während ukrainische Staatsbürger, die ebenso auf ihren Termin bei der Ausländerbehörde warten, Zugang zu diesen bekommen. Oder wenn Unterstützungsangebote bei Jobbörsen ausschließlich für Ukrai­ne­r*in­nen zugänglich sind und selbst die Drittsaatsangehörigen, die einen zweijährigen Aufenhalt in Deutschland bekommen, weil sie einen dauerhaften Aufenthalt in der Ukraine hatten, an solchen Stellen noch diskriminiert werden.

Gibt es noch mehr Grund zu klagen?

Ja, die Diskriminierung passiert auf so vielen Ebenen. Drittstaatsangehörige können beispielsweise von der ukrainischen Botschaft keine Dokumente ausgestellt bekommen, die sie aber dringend für die deutschen Behörden brauchen. Das wird aber von deutscher Seite völlig ignoriert und führt dazu, dass Menschen versuchen in die Ukraine zurückzureisen, um die Dokumente zu besorgen. Wir denken aber auch, dass die gesamte aufenthaltsrechtliche Regulierung eine Form von Diskriminierung ist, da nicht anerkannt wird, dass alle diese Menschen ihren Lebensmittelpunkt in der Ukraine hatten und damit die gleichen Rechte wie ukrainische Staats­bür­ge­r*in­nen bekommen sollten. Das heißt also einen zweijährigen Aufenhalt nach Paragraf 24 Aufenthaltsgesetz – und das bundesweit.

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