Wohnraum für alle: Rechtsstaat, nicht rechter Staat
Hausbesetzungen können unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein – nur fehlt dafür eine Lobby. Die haben auch Wohnungslose nicht.
Rechtsstaat!“, „Rechtsstaat!“, hallt es seit der Räumung der Liebig 34 und der anschließenden Demo in den digitalen Echoräumen. Dieser Ruf kommt auch von Leuten, die im selben Chat vom „Ausräuchern“ schreiben oder die Räumung mit „Schädlingsbekämpfung der anderen Art!“ kommentieren und sich damit selbst an der Grenze des Justiziablen bewegen.
Die Boulevardpresse nährt mit Innenaufnahmen des geräumten Hauses das rechte Ressentiment gegenüber den linken Queerfeminist*innen, die in „Drecklöchern“ leben und mal lieber arbeiten gehen sollten.
„Rechtsstaat!“, „Rechtsstaat!“ Mensch kommt nicht umhin, sich zu fragen, ob hier ein freudsches Missverständnis vorliegt. Da wird nicht der weite Rahmen an Grundrechten gefeiert, der die freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Unverletzlichkeit der Wohnung, die politische Betätigung garantiert. Da wird gefeiert, dass der Staat sich von seiner rechten Seite zeigt, martialisch auftritt und „männlich“.
Dabei, so gab der Rechtswissenschaftler Maximilian Pichl im Nachgang der Liebig-Räumung auf Twitter zu bedenken, sei gar nicht sicher, dass Hausbesetzungen in „unserem Rechtsstaat“ nicht gehen würden. „Umstritten ist schon, ob das Grundgesetz überhaupt eindeutig eine kapitalistische Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung vorgibt“, schreibt Pichl. „Viele neoklassisch beeinflusste Zivilrechtler*innen mögen das so sehen, aber kurz nach 1945 war dies vor allem im Staatsrecht sehr umstritten.“
Jahrzehnte straffrei
Einige Gerichte hätten in den 1980er Jahren auch entschieden, dass Besetzungen leerstehender Häuser unter bestimmten Voraussetzungen straffrei seien, weil der Hausfriedensbruch nur den Schutz der individuellen Privatsphäre schütze, nicht Vermögenswerte. Auch aus gewohnheitsrechtlichen Gründen seien langjährige Hausbesetzungen für viele Jahrzehnte straffrei geblieben. „Wie Hausbesetzungen im Recht nun zu bewerten sind, hängt von den dynamischen rechtspolitischen Debatten und Entwicklungen ab, die sich immer spezifisch im Recht und in Urteilen verdichten“, sagt Pichl.
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„Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum!“ Das wäre ein Ruf nach dem Rechtsstaat, der der Debatte und der rechtspolitischen Entwicklung gut tun würde. Dieser Satz stellt auch keinen frommen Wunsch dar, sondern den Artikel 28 der Berliner Verfassung. 25 Jahre sind vergangen, seit drei Viertel der Berliner*innen der neuen Landesverfassung am 22. Oktober 1995 zustimmten, die neben dem Recht auf Wohnraum, auch das Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität festschrieb. Cheers Queers!
Auch Artikel 14, 2 des Grundgesetzes „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“, ließe sich mit Ausrufezeichen am Ende gut als Rechtsstaat-Aufruf lesen. Das Kapital haben linke und links-grüne Abgeordnete natürlich nicht auf ihrer Seite, wenn sie versuchen diesem grundgesetzlichen Anspruch gerecht zu werden und Sympathie zu bedrohten Wohn- und Jugendprojekten zeigen.
Das Kapital, vertreten etwa durch Susanne Klabe, Lobbyistin der privaten Wohnungswirtschaft, steht hinter der CDU Berlin, wie ein jüngst veröffentlichtes Sharepic auf Facebook zeigt.
Kaum eine Lobby hingegen haben Wohnungslose, obwohl auch ihnen die Berliner Verfassung das Recht auf angemessenen Wohnraum zusichert. Wohnungslose besetzen die Liebig 34 vor 30 Jahren erstmals, seit mehr als 20 Jahren organisieren die „linken Chaoten“ vom Kälteschutz im Mehringhof eine wöchentliche Übernachtungsmöglichkeit für Menschen, die diese brauchen.
Aufruf zur Mithilfe
„Die Coronapandemie stellt unsere Gäste und uns vor besondere Herausforderungen. Wir arbeiten an einem Konzept um auch diesen Winter aufzumachen.“, heißt es in einem Aufruf zur ehrenamtlichen Mithilfe. Um Anmeldung zum Infotreffen unter kaelteschutz@riseup.net wird gebeten (Fr., 16. 10., 19 Uhr, Gneisenaustr. 2a).
Bei einer Veranstaltung mit der Rechtsanwältig Gabriele Heinecke soll auf die politische Motivation der staatlichen Repression beim G20-Gipfel in Hamburg geblickt werden. „Wir wollen uns solidarisch zeigen mit den von Repression Betroffenen und darüber sprechen, wie wir praktische Solidarität organisieren können“, heißt es in der Einladung zu der Veranstaltung in der Emmauskirche (Sa., 17. 10., 19 Uhr, Lausitzer Platz 8A).
Bei der Roten-Hilfe-Sprechstunde im Wedding kann mensch Unterstützungsanträge stellen, sich zu Strafbefehlen, Anklageschriften, Briefen der Polizei und dem Organisieren von Solikreisen informieren. „Gerne vermitteln wir auch solidarische Anwält*innen in eurer Nähe“, heißt es von Seiten der Roten Hilfe (Di., 20. 10., 19 Uhr, Schererstraße 8).
Denn: es geht um einen Rechtsstaat, nicht um einen rechten Staat.
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