Wissenschaft zu Weihnachtsmythen: Der Löffel im Sekt kann weg
Schmecken Biogänse besser? Gibt es mehr Familienkrach zu Weihnachten? Ums Fest der Feste ranken sich viele Mythen. Das sagt die Wissenschaft dazu.
Hilft ein silberner Löffel im Sekt?
Das ist ein gern erzähltes Märchen, Verfasser unbekannt. In einer geschlossenen Flasche ist das perlende Kohlendioxid nämlich im Sekt gelöst, da der Korken einen Gegendruck erzeugt. Ist „plopp“ der Gegendruck weg, entweicht das Gas relativ schnell. Da hilft auch kein Silberlöffelchen im Flaschenhals. „Das Kohlendioxid rauscht voll Karacho durch die Öffnung am Löffel vorbei“, sagt Thomas Vilgis, der Lebensmittelphysiker von der Gießener Justus-Liebig-Universität. Auf jeden Fall sollte man einen geöffneten Sekt aber im Kühlschrank aufbewahren, denn niedrige Temperaturen halten das Gas besser in Lösung, Kohlensäure entweicht langsamer. Zudem hilft: ein Spannverschluss. „Damit hält sich der Schampus so lala für einen Tag im Kühlschrank“, meint Vilgis.
Schmeckt die Bioweihnachtsgans aus der Region besser als die Turbogans aus Osteuropa?
Ja, weil sie ein besseres Gänseleben hatte. Tiere aus Osteuropa haben meist eine kürzere Mastdauer und weniger Auslauf. Teils werden sie lebendig gerupft oder für Stopfleber gemästet, was nicht gekennzeichnet werden muss. In Deutschland ist dies verboten, die Haltung muss jedoch erkennbar sein. Die Mastdauer ist hierzulande auch generell länger. Federvieh mit Biosiegel oder aus „Freilandhaltung“ wird besonders langsam gepäppelt und hat viel Bewegungsfreiheit. So setzt es weniger Fett an und das Fleisch wird fein marmoriert. Auch die artgerechte Ernährung auf der Weide verleiht der Gänsekeule in der Regel ein besseres Aroma.
Familien streiten öfter an Weihnachten als während des Jahres.
Wahrscheinlich ja. Zahlen dazu gibt es nicht, aber viele Faktoren tragen dazu bei, dass an Weihnachten öfter mal die Fetzen fliegen. Schon alleine, weil in nicht wenigen Familien nur selten im Jahr so viele Mitglieder zusammen kommen. „Viel Ungesagtes hat sich über das Jahr angestaut“, sagt Marcel Schütz, Soziologieporfessor an der Hamburger Northern Business School. „Dann die vielen Vorbereitungen vor Weihnachten und die hohen Erwartungen an die Harmonie.“ Alles soll perfekt sein. Gleichzeitig herrscht für kurze Zeit eine relativ strikte soziale Anordnung mit Regeln und Normen, die vor allem Jüngere hinterfragen. Menschen, die in ihren Heimatort zurückgehen, sind zudem vielleicht genervt von den vielen Besuchen bei Verwandten und Nachbarn. „Ihnen fällt die Decke auf den Kopf, die Reizbarkeit steigt“, sagt Schütz. Das alles kann leicht dazu führen, dass aus Banalitäten ein Streit entsteht. Ein trauriger Hinweis auf das erhöhte Stressniveau an Weihnachten ist auch die Tatsache, dass über die Feststage die Fälle häuslicher Gewalt ansteigen.
Rotkohl hat keine Nährstoffe mehr, da er zerkocht ist.
Das kommt auf die Zubereitung an. In Kohlsorten findet sich Ascorbigen, das sich beim Kochen spaltet und Vitamin C freilässt. Teils findet sich also mehr Vitamin C in gekochtem Kohl als in rohem. Allerdings sollte man nun das Ganze nicht zu lange köcheln, da das frei gewordene Vitamin C sonst wieder inaktiviert wird. „Die Zugabe von Rotwein oder Essig verzögert den Abbau etwas“, sagt Thomas Vilgis, Experte in Sachen Lebensmittelphysik. „Ein weiterer Trick ist, vorher kurz bei 60 bis 70 Grad zu blanchieren, denn das inaktiviert Enzyme, die den Vitamin-C-Abbau vorantreiben.“ 20 Minuten Garzeit sollten es dann maximal sein. Hitze macht Kohl auch besser verdaulich. Zudem werden phenolische Substanzen frei, die gegen Krebs feien sollen. Die Mineralstoffe im Rotkohl werden beim Kochen ins Kochwasser gespült, darum den Kohl lieber in wenig Flüssigkeit garen und diese mitessen. Der Ballaststoffgehalt ist bei beiden Varianten gleich und kann sich sehen lassen.
Essen wir wirklich mehr an Weihnachten?
Ja, die meisten Menschen schon. Eine Übersichtsstudie aus dem Jahr 2017 in verschiedenen Industrieländern zeigte, dass von Ende November bis Anfang Januar die Menschen im Schnitt 400 bis 900 Gramm auf den Hüften zulegten. Gerade über die Festtage ist die Gefahr des Andickens besonders hoch. „Eine Ursache kann der sogenannte ‚Social facilitation‘-Effekt sein“, sagt Nanette Ströbele-Benschop, Ernährungspsychologin an der Universität Hohenheim. „Je mehr Personen zusammen essen, desto länger ist die Mahlzeitendauer und desto mehr wird konsumiert.“ An Weihnachten werde zudem meistens extra viel und extra gut gekocht. Auch Alkohol, der ebenso Kalorien liefert, fließt an Feiertagen mehr als sonst.
Macht Schokolade glücklich?
Das stimmt. Allerdings sind nicht die theoretisch stimmungsaufhellenden Inhaltsstoffe wie Tryptophan oder Theobromin aus der Kakaobohne dafür verantwortlich. Diese wirken zwar auf das Gehirn, finden sich aber in der Schoki nicht in ausreichenden Mengen, schon gar nicht in der beliebten Milchschokolade. Der Haupteffekt ist hedonistischer Art: „Schokolade hat sensorische Eigenschaften, wie den Schmelz oder die Süße, die für viele Menschen sehr angenehm und genussvoll sind“, sagt die Ernährungspsychologin Nanette Ströbele-Benschop. Kakaobutter schmilzt bei Körpertemperatur, Zucker signalisiert „Kalorien!“. Das aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn. Weiter könnte die Prägung in der Kindheit eine Rolle spielen. Damals haben viele gelernt, dass Süßigkeiten für Belohnung stehen.
Hilft Schnaps beim Verdauen?
Das ist ein Mythos. Alkohol bremst die Magenentleerung sogar etwas. Aber: Prozentiges vermittelt kurzfristig Entspannung, da Alkohol die Blutgefäße weitet und die Muskelzellen, auch im Magen, locker macht. Bei einem Bitterschnaps sind es dann auch die Kräuter, die die Produktion von Magensäure mit ihren eiweißspaltenden Enzymen ankurbeln und daher das Essen besser zerlegt wird. Man fühlt sich weniger voll. Durch Bitterstoffe wird auch mehr Gallensäure gebildet und in den Dünndarm geschickt, um Fette abzubauen. Besser als Alkohol sind aber Bitterstoffe aus einem Espresso. Auch Kräuter (als Tee) und Gewürze wirken verdauungsfördernd. Beifuß im Gänsebraten oder Majoran in Würstchen schmecken darum nicht nur gut, sondern lassen das Völlegefühl gar nicht so leicht aufkommen.
Das schöne Weihnachtsfestgeschirr lässt das Essen besser schmecken.
Kerzenschein, Dekozweige, Goldrandgeschirr, Silberbesteck und Kristallgläser sind nicht nur einfach schön anzusehen. „Studien zufolge kann ein positives, einladendes Ambiente den Genuss steigern“, sagt die Ernährungspsychologin Nanette Ströbele-Benschop. Speisen schmecken von weißen Tellern zum Beispiel süßer und intensiver als auf einem schwarzen Teller serviert. Auch rotes Geschirr ist eher appetithemmend. Warum Farben offenbar psychologisch wirken, wird noch spekuliert. So könnten evolutionsbiologische Erfahrungen eine Rolle spielen. Rot steht eher für Alarm, rote Beeren können schließlich sehr giftig sein. Es lohnt sich zudem, das Silberbesteck hervorzukramen: Echtsilber nimmt schnell die Temperatur der Speisen an, was die Geschmackswahrnehmung steigert.
Die Weihnachtsfestfamilie verkleinert sich stetig.
Dazu gibt es keine Zahlen. Aber Soziologe Marcel Schütz meint: „Es ist sicher so, dass in der Vergangenheit durch traditionellere Strukturen und Gewohnheiten in der Familie die Weihnachtsfestivitäten größer ausfielen.“ Die klassische Familie sei zwar auch an Weihnachten noch ziemlich oft vertreten, aber eben nicht mehr alle Tanten, Neffen und Cousins. Laut Schütz wird auf dem Land noch etwas konservativer gefeiert, also mit der Großfamilie und nach bestimmten Ritualen, während divers-multikulturell beeinflusste urbane Milieus mit Traditionen brechen und auch mal Freunde zur Familienfeier mitgebracht werden.
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