Wirtschaftssanktionen gegen Russland: Die Regale sind immer noch voll
Der Westen hat es mit Sanktionen bislang nicht geschafft, Russland in die Knie zu zwingen. Dennoch droht dem Land eine lange Phase von Instabilität.
Auch zwei Jahre nach dem Beginn von Russlands Invasion in die Ukraine und den harten westlichen Sanktionen sind die Regale in Moskauer Geschäften voll. In vielen Provinzstädten, insbesondere in den Regionen, die traditionell auf Militärproduktion spezialisiert sind, aber auch in den Regionen, die an China grenzen, herrscht Boomstimmung. Die russische Wirtschaft ist sehr weit entfernt von desaströsen Szenarien, die viele Anfang 2022 erwartet hatten.
Es gibt vier Gründe für diese Entwicklung. Erstens haben russische Unternehmen jahrzehntelange Erfahrung mit Arbeit im Krisenmodus. Sie waren in den vergangenen dreißig Jahren immer wieder mit gravierender Krisen konfrontiert und sind darin geübt, sich schnell, flexibel und effizient anzupassen.
Zweitens wird die russische Wirtschaft von hochprofessionellen Beamt*innen aus der russischen Zentralbank und dem Wirtschaftsministerium gesteuert, die es geschafft haben, eine große Bankenkrise im Frühling 2022 zu vermeiden. Drittens profitiert die russische Wirtschaft von dem Anstieg der Militärausgaben. Steigende Nachfrage nach Arbeitskräften in der Militärproduktion führt zu einem Anstieg der Löhne. Die Arbeitslosigkeit in Russland ist auf einem historischen Tiefpunkt.
Viertens hat der Globale Süden die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland nicht gekappt. China, Indien, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Türkei oder die Länder der Eurasischen Wirtschaftsunion profitieren massiv von den für sie jetzt viel günstigeren Handelsbedingungen mit Russland und bauen ihre Verflechtungen mit Russland aus, gleichzeitig versuchen sie, die Auswirkungen westlicher Sanktionen auf ihre Volkswirtschaften zu vermeiden.
Vereint hinter dem Autokraten
Bereits nach den ersten Sanktionswellen gab es Zweifel an ihrer politischen Effektivität. Diese bezogen sich jedoch primär auf den sogenannten Rally-Round-the-Flag-Effekt: In vielen autoritären Ländern führen Sanktionen dazu, dass sich die Bevölkerung und die Eliten konsolidieren und hinter den Autokraten stellen.
Dadurch stärken Sanktionen ein Regime eher. Insbesondere liegt es daran, dass die Menschen keine Exitstrategie sehen. Sie gehen vielmehr davon aus, dass Sanktionen dauerhaft bestehen bleiben, egal was innenpolitisch passiert. Deswegen sehen sie keinen Grund, sich gegen das Regime zu stellen.
Zudem führen Sanktionsmaßnahmen oft dazu, dass gerade diejenigen Gruppen, die auf Kontakte zum Westen angewiesen sind, besonders darunter leiden. Arbeiter*innen einer Fabrik, die Waffen herstellt, spüren die Sanktionen deutlich weniger als Programmierer*innen, die für westliche Unternehmen tätig sind. Dabei sind doch die Programmierer*innen genau diejenigen, die eher regimekritisch eingestellt sind. Ergo, Sanktionen schaden den potenziellen Verbündeten des Westens viel stärker.
Beide Effekte sind in Russland zu beobachten. Doch auch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Sanktionen sind äußerst gering. Das liegt einerseits daran, dass der Westen offensichtlich seine wirtschaftliche Kraft im Verhältnis zu der des Globalen Südens und Chinas überschätzt hat. Zwar scheinen die Spitzentechnologien (noch) im Monopolbesitz des Westens zu sein, doch in vielen anderen Bereichen ist die Welt aus wirtschaftlicher Sicht viel diverser und polyzentrischer geworden.
Chance genutzt
Frauen im Krieg
So haben die Sanktionen beispielsweise die russische Autobranche lahmgelegt, die größtenteils unter Kontrolle der westlichen Konzerne stand oder mit diesen Konzernen intensiv zusammengearbeitet hat. Dennoch gibt es in Russland nach wie vor einen Automarkt.
Chinesische Firmen haben die Chance genutzt und so ist Russland zum größten Importeur chinesischer Autos weltweit geworden. Man kann zwar darüber streiten, ob diese Modelle so leistungsstark sind wie VW oder Opel. Doch ein Mindestmaß an Qualitätsstandards erfüllen auch sie.
Andererseits hat sich das Design der Sanktionen aus politischer und wirtschaftlicher Sicht alles andere als durchdacht erwiesen. Und das, obwohl bereits vor dem Krieg mehrmals über Sanktionspläne gesprochen wurde, die die Regierungen der EU-Staaten und der USA vorbereiteten.
Zum Teil sollten mit den Sanktionen widersprüchliche Ziele erreicht werden. So hat der Westen zum Beispiel den russischen Finanzsektor massiv sanktioniert und viele russische Banken von globalen Zahlungssystemen abgekoppelt mit dem Ziel, Lieferungen militärisch wichtiger Güter nach Russland zu stoppen. Ohne eine Teilnahme an internationalen Zahlungssystemen ist der internationale Handel massiv erschwert.
Die Kluft wächst
Aber gleichzeitig verhinderten diesen Sanktionen auch, dass russische Unternehmer*innen und Bürger*innen Kapital aus Russland schafften. Und heftige Sanktionen gegen Oligarchen haben dazu geführt, dass sie ihr Geld, soweit möglich, in Russland investierten, was die russische Wirtschaft stärkte.
Ist die russische Wirtschaftsentwicklung seit dem Jahr 2022 also eine Erfolgsgeschichte? Daran kann man zweifeln, aus nachvollziehbaren Gründen. Auch wenn es zu keinem unmittelbaren wirtschaftlichen Kollaps gekommen ist, kann unter den aktuellen Bedingungen von einem stabilen Wachstum keine Rede sein.
Russland braucht, wie alle Schwellenländer, nicht nur positive, sondern deutlich höhere Wachstumsraten als die westlichen Nationen, um wirtschaftlich aufzuholen. Langfristig wird die Kluft zwischen Russland und den führenden Wirtschaftsnationen der Welt immer größer werden.
Dabei darf man nicht vergessen, dass wir in den kommenden Jahren auch auf der globalen Ebene auf eine Schwächung des Wirtschaftswachstums zusteuern. Außerdem gibt es eine andere Quelle potenzieller wirtschaftlicher Instabilität, die viel gefährlicher für Russland sein kann als alle westlichen Sanktionen – das ist das russische Regime selbst.
Neue Mobilmachung
Umverteilungskämpfe unter Wladimir Putins Eliten oder eine neue Mobilmachung können die russische Wirtschaft dermaßen negativ beeinflussen, wie keine Maßnahme des Westens es je vermag. Und die Wahrscheinlichkeit, dass Putin ökonomisch gesehen selbst den Ast absägt, auf dem er sitzt, bleibt groß.
So könnte Wladimir Putin etwa zu massiven Enteignungsmaßnahmen bei russischen Unternehmen greifen, um auf diese Weise die ihm gegenüber loyalen Oligarchen zu unterstützen. Das würde die Arbeit dieser Unternehmen extrem erschweren.
Und bereits heute gibt es Beispiele für politisch motivierte Enteignungen, auch in Fällen, wo diese Unternehmen seit den frühen neunziger Jahren in privater Hand waren. Ein derartiges Vorgehen verunsichert Geschäftsleute stark und lässt kein effizientes Wirtschaften mehr zu.
Protektionistische Maßnahmen der russischen Regierung zugunsten befreundeter Wirtschaftsgruppen könnten Investoren und Handelspartner aus dem Globalen Süden abschrecken. Und Versuche, die Wirtschaft „manuell“ zu steuern, etwa Produktionsziele zu setzen oder Preise zu manipulieren, würden die Anpassungsfähigkeit der russischen Unternehmen weiter reduzieren.
Alexander Libman ist Professor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Osteuropa und Russland an der Freien Universität Berlin
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