Wirtschaftsreformen in Venezuela: Facelifting für den Bolívar
Experten vergleichen die Reformen von Präsident Nicolás Maduros bereits mit einer Schönheitsoperation: außen Änderung, aber kein Wandel im Inneren.
Erste Änderungen traten am Montag in Kraft, darunter die Einführung neuer Bolívar-Geldscheine. Banken blieben am Montagmorgen allerdings geschlossen, während sie sich darauf vorbereiteten, den neuen „souveränen Bolívar“ auszugeben.
„Ihr müsst Geduld haben“, sagte ein Ladenbesitzer am Wochenende den wartenden Kunden, die sein Getreide kaufen wollten. Viele andere Geschäfte blieben geschlossen – zu unklar war zunächst, welche Preise sie für ihre Waren setzen sollten.
Oppositionspolitiker haben für Dienstag zu landesweiten Streiks und Protesten gegen die sozialistische Regierung aufgerufen. Falls die Massen tatsächlich auf die Straßen strömen sollten, wäre dies die erste große Demonstration seit mehr als einem Jahr.
Eine Tasse Kaffee für zwei Millionen Bolivar
Die Hyperinflation macht es schwer, im Land derzeit überhaupt noch Papiergeld zu finden: Bisher war die größte Note der 100 000-Bolívar-Schein, der auf dem Schwarzmarkt derzeit weniger als drei Cent wert ist. Eine Tasse Kaffee kostet aktuell mehr als zwei Millionen Bolívar. Die neuen Scheine sollen die Werte zwei bis 500 umfassen und entsprechen derzeit 200 000 bis 50 Millionen Bolívar.
Im Kampf gegen die Inflation entschied sich die Regierung 2008 unter dem damaligen Präsidenten Hugo Chávez schon einmal, drei Nullen aus der Währung zu streichen. Unter Experten gilt die Währungsreform als Aktion ohne gute Aussichten. „Die Redenominierung des Bolívar wird wohl so sein, als ob er unter dem Messer eines berühmten Schönheitschirurgen von Caracas läge“, schrieb Wirtschaftswissenschaftler Steve Hanke von der Johns Hopkins University in einem Gastbeitrag für das Magazin „Forbes“. „Die Optik ändert sich, aber in der Realität ändert sich nichts. Was den Bolívar erwartet ist ein Facelifting.“
Die Regierung schmiedet indes eifrig Pläne. Maduro will die Benzinpreise Ende September auf internationales Niveau anheben. Ziel ist demnach, den Schmuggel über die Grenzen hinweg einzudämmen. In keinem Land der Welt ist Benzin so billig wie in Venezuela – eine Erinnerung daran, dass das Land einst eines der wohlhabendsten in Lateinamerika war, mit den größten Ölvorkommen der Welt. Der Einbruch des Ölpreises, Korruption und Misswirtschaft in zwei Jahrzehnten sozialistischer Führung haben die Wirtschaft aber in ein historisches Tief getrieben – und das Land in eine politische Krise gestürzt. Die Ölförderung ist auf das Niveau von 1947 gefallen. Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass die Inflation dieses Jahr eine Million Prozent übersteigen wird.
Konkret hat Maduro unterdessen eine Übergangsphase angekündigt, in der neue und alte Banknoten zugleich im Umlauf sein sollen. Für zusätzliche Verwirrung sorgte seine Ansage, Löhne, Preise und Renten an den Petro knüpfen zu wollen – eine im Februar angekündigte Kryptowährung, die noch nicht in Umlauf gebracht worden ist. Ein Petro werde 60 Dollar entsprechen und das Ziel sei, einen an die digitale Währung gebundenen Wechselkurs zu erreichen, sagte Maduro.
Chaos und Verwirrung
„Die kommenden Tage werden sehr verwirrend für die Konsumenten und den Privatsektor, besonders für Einzelhändler“, sagt Asdrubal Oliveros, der Chef der in Caracas ansässigen Wirtschaftsanalysefirma Ecoanalítica. „Es ist ein chaotisches Szenario.“
Um der Bevölkerung Linderung zu verschaffen, hat die sozialistische Regierung erklärt, den Mindestlohn um mehr als 3000 Prozent steigern zu wollen. Was die Maßnahme ab dem 1. September bewirken wird, ist unklar. Schon im vergangenen Jahr hatte Maduro den Mindestlohn um 60 Prozent angezogen.
Ein Oppositionsbündnis aus Politik und Gewerkschaften glaubt nicht an eine Besserung der Lage. „Die angekündigten Maßnahmen sind kein wirtschaftlicher Erholungsplan für unser Land“, sagt Oppositionsführer Andrés Velásquez. „Im Gegenteil, sie bedeuten mehr Hunger, mehr Ruin, mehr Armut, mehr Leid, mehr Schmerz, mehr Inflation, eine weitere Verschlechterung der Wirtschaft.“
Auch Ladenbesitzer sind unsicher. Sie fürchten, ein plötzlicher Anstieg des Mindestlohns werde es ihnen unmöglich machen, ihre Mitarbeiter zu bezahlen, ohne zugleich die Preise anzuziehen. Jesús Pacheco, der in seiner Metzgerei in Caracas sechs Leute beschäftigt, geht davon aus, Arbeiter entlassen zu müssen, wenn er im Geschäft bleiben will. Denn die Preise aus dem Schlachthaus seien bald sicher zu hoch. „Wir werden Waren kaufen, die teurer sind. Wir müssen Mitarbeiter feuern. Was soll man sonst machen?“
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