Wirtschaftskrise in Europa: In Spanien geht das Licht aus
Millionen Menschen wird der Strom abgedreht, weil sie ihre Rechnungen nicht zahlen können. Zwangsgeräumte leben in Straßentunneln.
MADRID taz | Rund 1,4 Millionen Haushalte in Spanien standen im vergangenen Jahr ohne Strom da. Die Elektrizitätswerke drehten den Strom ab, weil sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen konnten. Diese Zahl hat die größte spanische Tageszeitung El País ermittelt. Besonders im Winter ist dies besonders hart – in vielen spanischen Haushalten wird mangels anderer Einrichtungen mit Strom geheizt.
Die Stromrechnung ist für viele der erste Schritt in eine Armutsspirale, aus der es in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit und Sparpolitik kein Zurück mehr gibt. Seit 2007 ist der Strompreis um 60 Prozent gestiegen. Statt die Großen der Branche zu belasten, die monopolartig über Versorgung und Transportnetze verfügen, wurden die Einspeisevergütung für Erneuerbare Energien gestrichen.
Künftig sollen selbst die zahlen, die Strom mit kleinen Solaranlagen zum Eigenkonsum produzieren. Unternehmen wie Endesa und Iberdrola erhalten dagegen Zuschüsse für nicht ausgelastete Kraftwerke, die in den Jahren des Booms gebaut wurden.
Es kommt nicht von ungefähr, dass sich seit Beginn der Krise die Zahl der Stromabschaltungen mehr als verdoppelt hat. Die Zahl der Arbeitslosen liegt mittlerweile bei über sechs Millionen Menschen. In rund zwei Millionen Familien hat kein einziges Mitglied Arbeit.
Zwangsgeräumte sitzen auf der Straße
2012 verloren über 100.000 Haushalte ihre Wohnung, weil sie Kredit oder Miete nicht mehr bedienen konnten. Seit Beginn der Krise 2008 wurden über eine halbe Million Zwangsräumungsverfahren verhandelt. Die Betroffenen sitzen auf der Straße. Die Schulden bleiben. Denn die Bank nimmt die Wohnung zu einem Schätzwert zurück, der oft nur die Hälfte des noch ausstehende Kredites deckt.
Dieser Tage sorgten Bilder für Aufsehen, die Menschen zeigen, die vor der Kälte zum Übernachten in verkehrsreiche Straßentunnel der Hauptstadt Madrid flüchten. Dort gehört die Ausgabe von gespendeten Lebensmitteln durch Freiwillige in vielen Stadtteilen zum Straßenbild.
Ein Volksbegehren, den Zwangsgeräumten mögen – wie in anderen Ländern, darunter die USA, üblich – bei Schlüsselabgabe die Schulden erlassen werden, scheiterte im April diesen Jahres an der konservativen Regierungsmehrheit im Parlament. Ein Antrag der Oppositionsparteien, die Regierung möchte doch wenigstens im Winter Strombezug zur unabdingbaren Grundversorgung erklären, die nicht abgestellt werden darf, wurde vergangenen Woche von den Konservativen ebenfalls abgelehnt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung