Wirtschaftpolitik in China: Erfolgsrezept Welthandel
Freihandel war seit jeher Kern der G20-Politik. China wurde damit wohlhabend. Unter der Bevölkerung ist die Kluft zwischen Arm und Reich aber enorm.
Mais und Soja aus den Weiten Idahos, Rindfleisch aus Texas und Kentucky, die Filmindustrie aus Hollywood, Autos von Ford, GM und Chrysler – mit dem Beitritt der Volksrepublik würde das bevölkerungsreichste Land der Welt dazu gebracht werden, seine Märkte zu öffnen, glaubte er. Und die Amerikaner wären ganz vorne dabei. China wiederum würde sich mit der Öffnung seiner Märkte nach und nach auch politisch öffnen, glaubte Clinton. Mit dem Freihandel werde es auch ein freies China geben.
Doch es ist anders gekommen. Die Kommunistische Partei Chinas regiert das Land weiter mit harter Hand. Und für die USA hat sich das Versprechen eines neuen, gigantischen Absatzmarkts, den sich der damalige US-Präsident ausgemalt hatte, auch nicht annähernd erfüllt. Vielmehr haben Fabriken in China, seit das Land 2001 der WTO beitrat, mehr als 80 Prozent der weltweit verkauften Kühlschränke und Klimaanlagen hergestellt, 70 Prozent aller Mobiltelefone, 80 Prozent aller Solarpaneele und jedes zweite Paar Schuhe.
Mikrochips und Elektroautos statt Billigprodukte
Und es sind schon lange nicht mehr nur Billigprodukte, mit denen die Volksrepublik den Rest der Welt überschwemmt. Auch auf dem Hochtechnologiesektor haben die Chinesen kräftig aufgeholt: Mikrochips, Elektroautos, Hochgeschwindigkeitszüge, demnächst sogar Passagierflugzeuge – es gibt kaum einen Bereich, in dem China nicht an die Weltspitze strebt.
Das lässt sich auch an den aktuellen Handelszahlen ablesen. Allein 2016 führte China rund eine halbe Billion US-Dollar mehr aus, als es einführte. Vor allem die USA beklagen das exorbitante Handelsdefizit gegenüber der Volksrepublik. Es betrug im vergangenen Jahr fast 370 Milliarden Dollar. Ähnlich hoch liegt der Überschuss der Chinesen auch beim Handel mit der EU. Nur mit Deutschland ist Chinas Handelsbilanz weitgehend ausgeglichen.
Am 7. und 8. Juli treffen sich in Hamburg die Staatschefs der größten Industrie- und Schwellenstaaten zum G20-Gipfel. Die taz berichtet dazu in einem laufend aktualisierten Schwerpunkt und ab dem 1. Juli mit täglich 8 Sonderseiten.
Dieses extreme Ungleichgewicht hat längst nicht nur US-Präsident Donald Trump alarmiert, der aus diesem Grund plant, sein Land künftig wirtschaftlich sehr viel stärker als bisher abzuschotten. Schon vor ihm haben immer wieder US-Politiker auf dieses gewaltige Missverhältnis hingewiesen und China die Schuld an dem Schwund von Millionen von Industriearbeitsplätzen in den USA gegeben.
Die wirtschaftsstärkste Nation der Welt wird von einem Land überrollt, das vor zwei Jahrzehnten noch ein armes Entwicklungsland war. Wie konnte es dazu kommen? Tatsächlich hat Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation auf einen Schlag einen gigantischen Produzenten auf den Weltmarkt katapultiert, der die bisherigen Platzhirsche rasch das Fürchten lehrte.
Niedrige Löhne und kein Arbeitsschutz
China hatte zur Jahrtausendwende gegenüber Europa und Nordamerika gleich mehrere Vorteile: In der Bevölkerung herrschte großer Nachholbedarf; Firmenbosse aus aller Welt mussten sich in China sehr viel weniger um Arbeitsschutz- und Umweltbestimmungen kümmern als in den meisten westlichen Ländern. Vor allem aber verfügte das Land über ein riesiges Heer von Arbeitskräften, die bereit waren, zu sehr niedrigen Löhnen zu schuften.
Zugleich boomte der Warenverkehr in aller Welt. Die Erde schrumpfte, weil Transport kaum noch etwas kostete und das Internet die entferntesten Standorte miteinander verband. Unternehmer ließen Komponenten dort herstellen, wo sie gerade am günstigsten waren. Und China bot sich für diese Firmen als besonders günstiger Produktionsstandort an.
Die Volksrepublik gehört denn auch zu den größten Nutznießern dieser Globalisierung. Chinas Einbindung in die Weltmärkte ist es zu verdanken, dass das Riesenreich innerhalb von zwei Jahrzehnten von einem rückständigen Land zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufsteigen konnte. In den 1990er Jahren lebte noch jeder Vierte der 1,3 Milliarden Chinesen unterhalb der Armutsgrenze. Heute sind es weniger als 10 Prozent. Jetzt kann sich mehr als ein Drittel der Bevölkerung ein eigenes Auto leisten, viele können regelmäßig Weltreisen machen und besitzen mindestens eine Eigentumswohnung. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen hat sich mehr als verfünffacht.
Konzerne in Staatshand
Nur: Sosehr die WTO-Aufnahme Chinas Wirtschaft belebt hat – völlig frei und offen ist sie all die Jahre gar nicht gewesen. Und sie ist es auch weiterhin nicht. Vielmehr verstand es die chinesische Regierung, eben nur so viel ihrer Märkte zu öffnen, wie es dem eigenen Land Vorteile bringt. „Bis heute hält sie große Betriebe und Unternehmen in Staatshand“, kritisiert etwa die EU-Handelskammer in Peking, deren europäische Mitgliedsunternehmen immer wieder damit zu kämpfen haben, dass sie bei der Vergabe von Aufträgen gegenüber der chinesischen Konkurrenz benachteiligt werden. Die chinesische Führung fördert und subventioniert gezielt Industrien, die sie für wichtig erachtet.
Vor allem ein Faktor hat Chinas Exportindustrie beflügelt: Trotz der Marktliberalisierung gibt Chinas Führung bis heute seine Landeswährung, den Renminbi, nicht frei. Vielmehr koppelt sie ihn zu einem mehr oder minder festen Wechselkurs an den US-Dollar.
Auf diese Weise will die chinesische Führung die Kontrolle über den Kapitalverkehr behalten. Mit diesem sehr effektiven Instrument konnte sie die chinesischen Exporte äußerst günstig machen und die Konkurrenz auf den Weltmärkten ausstechen.
Zugleich hat China gigantische Reserven im Ausland angehäuft. Denn die mit dem Export erzielten Devisen der chinesischen Produzenten landen nicht direkt auf eigenen Konten dieser Firmen, wie es bei einem System mit freien Wechselkursen üblich ist – sondern bei der Zentralbank. Die Währungshüter händigen im Gegenzug chinesische Renminbis aus. Den Wert allerdings bestimmen sie selbst. Über viele Jahre war er niedriger als das, was ein freier Devisenmarkt ergeben hätte.
Die dabei von der Zentralbank erzielten Devisenüberschüsse ließen so Chinas Währungsreserven ansteigen. Sie liegen derzeit bei über drei Billionen Dollar. Mangels Alternativen hat die chinesische Zentralbank einen Großteil dieses Geldes in US-amerikanische Staatsanleihen gesteckt.
„Chimerica“ nennt der britische Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson diese informelle Allianz. Anders als es jetzt Trump darstellt, war dies keineswegs nur zum Nachteil der USA: Das aufstrebende China versorgte die USA günstig mit Kapital. Die US-Amerikaner konnten mehr konsumieren, als sie produzierten. Und sie konnten einen immer weiter wachsenden Staatshaushalt finanzieren, nicht zuletzt ihre Kriege im Nahen Osten. China wiederum konnte mehr produzieren, als es andernfalls hätte absetzen können, und seine rasch wachsenden Ersparnisse in der Weltwährung Dollar anlegen.
Tatsächlich waren die nuller Jahre auf diese Weise geprägt von einer nicht erwarteten Symbiose zwischen den USA und China: Zwei rivalisierende Mächte, die sich eigentlich sowohl ideologisch als auch geostrategisch gegenüberstehen, verschränkten ihre Ökonomien so sehr, dass sie zu einer Zusammenarbeit fanden, ohne jemals formal einen Deal ausgehandelt zu haben. Es gab keine Absprachen. Man ließ sich gegenseitig gewähren. Der „Freihandel“ machte das möglich.
Doch spätestens die schwere Finanzkrise von 2008 hat diese Konstellation massiv infrage gestellt. Denn in den Augen wohl der meisten US-Amerikaner kam von dem aus den chinesischen Überschüssen erwirtschafteten Kapital wenig bei ihnen an, sondern es landete auf den Finanzmärkten. In Aktien und anderen Wertpapieren investierten vor allem Wohlhabende. Viele Amerikaner nehmen den großen Überschuss, den China gegenüber den USA erzielte und bis heute erzielt, als Bedrohung für ihre Jobs wahr.
Chimerica, „die große Schimäre der Weltwirtschaft“, wie Ferguson sie bezeichnete, erweist sich inzwischen allerdings auch für China als nicht nachhaltig. In keiner großen Volkswirtschaft ist die Kluft zwischen den Einkommen und Vermögen so gewaltig gewachsen wie in der Volksrepublik der vergangenen zehn Jahre.
China ist das Land mit den meisten Milliardären
Und das alles geschah in einem Land, das sich offiziell noch immer als kommunistisch bezeichnet: China ist inzwischen das Land mit den weltweit meisten Milliardären. Wie aus einer Studie der Peking Universität von 2015 hervorging, kontrolliert das oberste eine Prozent der Bevölkerung mehr als ein Drittel des gesamten Volksvermögens, während das untere Viertel nur über ein Prozent verfügt.
„Die Führung in Peking hat erkannt, dass sie mit den Billigexporten auf Dauer nicht weitermachen kann, sondern den eigenen Bürgern mehr Konsummöglichkeiten eröffnen muss“, sagt der Pekinger Ökonom Hu Xingdou. Weniger Ausfuhren also und eine Stärkung der Binnenwirtschaft ist nun das Rezept der chinesischen Führung – was nichts anderes heißt, als dass auch die Volksrepublik ihre Märkte künftig stärker abschotten wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?