Wilders beendet Rechtsregierung: Neuwahlen in den Niederlanden
Weil ihm die Asylpolitik zu lax war, hat Rechtspopulist Wilders die rechte Koalition in den Niederlanden aufgekündigt. Die Empörung ist groß.
Die Krise ausgelöst hat Wilders, der beschlossen hatte, mit seiner Partei die Regierung zu verlassen. Auf X hatte sich Wilders, der selbst kein Teil des Kabinetts war, beklagt, dass es „keine Unterstützung für unsere Asyl-Pläne“ und „keine Änderung des Koalitionsvertrags“ gebe.
Fazit: „Die PVV verlässt die Koalition.“ Grund dafür war Streit über Asylpolitik, der vor einer Woche die ohnehin instabile Koalition zusätzlich unter Druck gesetzt hatte. Die PVV, die Ende 2023 mit großem Vorsprung die Parlamentswahlen gewonnen hatte, forderte in einem spontan präsentierten Zehnpunkteplan eine drastische Verschärfung und wollte zu diesem Zweck den Koalitionsvertrag ändern.
Die Koalition war erst ein Jahr alt
Dieser war erst vor einem Jahr nach mühsamen Verhandlungen mit der liberal-rechten Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD), dem konservativen Nieuw Sociaal Contract (NSC) sowie der BoerBurgerBeweging (BBB) zustande gekommen. Das Ziel: die niederländischen Asylkriterien zu den „strengsten Europas“ zu machen.
Wilders, dessen Partei seit dem Antritt der Koalition letzten Sommer mit der umstrittenen Marjolein Faber das Ministerium für Asyl und Migration besetzt, stellte den anderen drei Parteien quasi ein Ultimatum: entweder sie stimmen den Forderungen der PVV zu, oder die Rechtspopulist*innen „seien weg“.
Zu den Forderungen zählte, die Grenzen für Asylbewerber*innen zu schließen, Zehntausende Geflüchtete aus Syrien in die vermeintlich sicheren Gebiete des Landes zurückzuschicken. Personen mit Aufenthaltsstatus, die wegen mangelndem Wohnraum noch in Gemeinschaftsunterkünften wohnten, sollten diese verlassen, die Unterkünfte geschlossen, zudem der Familiennachzug vorübergehend ausgesetzt werden.
Dass die PVV damit allein stand, wurde schnell deutlich. Insbesondere seitens des im gemäßigt-konservativen Spektrum verankerten NSC, einer Abspaltung der Christdemokrat*innen, gab es erhebliche Bedenken dagegen, den Koalitionsvertrag zu ändern.
Krisengespräche
Nach Krisengesprächen am Montag hatten sich die Anzeichen bereits verdichtet, dass die seit ihrem Antritt zerstrittene und instabile Koalition diesen Konflikt nicht überstehen würde. Wilders kündigte am späten Montagabend an, über die Lage „noch eine Nacht zu schlafen“, doch es sehe „nicht gut aus“. Am Dienstagmorgen war dann nach einer kurzen Besprechung klar, dass die Regierung Geschichte ist.
Wie tief die Kluft zwischen den Parteien war, zeigte sich an den ersten Reaktionen. Wilders selbst betonte in niederländischen Medien, er habe „für die strengste Asylpolitik und nicht den Untergang der Niederlande“ unterzeichnet. Da ihm die „früheren Koalitionspartner*innen“ für diese Art der Verschärfung keine Garantien hätten geben können, sei der PVV keine andere Möglichkeit geblieben.
Dilan Yeşilgöz, Fraktionsvorsitzende der VVD, fand diesen Schritt „unglaublich verantwortungslos“ und warf Wilders eigennütziges Handeln vor. Der PVV-Chef wolle keine Verantwortung tragen, während „die Leute zu Hause wegen ihrer Rechnungen wach liegen und wir Kriege auf dem Kontinent haben“.
Auch Caroline van der Plas, Fraktionsvorsitzende der agrarisch orientierten BoerBurgerBeweging (BBB), die der PVV näher steht als VVD und NSC, räumte ein, Wilders habe den Koalitionspartnern „kein bisschen Spielraum für Verhandlungen“ gelassen. Der Beschluss der PVV sei „unverantwortlich“, zudem präsentiere Wilders den eigenen Wähler:innen „demnächst eine linke Regierung auf dem Tablett“, spielte van der Plas auf Neuwahlen an.
Wilders dürfte an Forderungen zu Asyl festhalten
Die Oppositionsparteien Volt und SP forderten bereits am frühen Dienstag Neuwahlen. Dem schloss sich später auch Frans Timmermans, Vorsitzender der größten Oppositions-Fraktion von PvdA/GroenLinks, an. Aus den Regierungsfraktionen sprach sich VVD-Chefin Yesilgöz für Neuwahlen aus und forderte auf X: „Deutlichkeit und ein starkes Kabinett.“ Nicolien van Vroonhoven, Chefin des NSC, brachte indes die Option einer Minderheitsregierung ins Gespräch.
Klar ist, dass die PVV weiterhin auf die Themen Asyl, Migration und Identität setzen wird. Sie sind der Hauptgrund für den Wahlerfolg von 2023. Dabei sind sie sich einig mit anderen extrem Rechten in Europa – und bestens vernetzt: Erst am Wochenende war Wilders in Budapest auf der gleichen Konferenz wie AfD-Chefin Alice Weidel aufgetreten.
Unabhängig von der aktuellen Empörung über Wilders’ Vorgehen haben VVD, NSC und BBB durchaus inhaltliche Überschneidungen mit der PVV. Zudem war es VVD-Ministerpräsident Mark Rutte, der vor rund zwei Jahren seine Mitte-rechts-Koalition aufkündigte – für strengere Regeln beim Familiennachzug.
Zur Neuwahl wird es voraussichtlich im Herbst kommen.
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